Der Schweiß der Ungleichheit

von Berivan Medi (30.Jul.2025)

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Wer leidet am meisten unter der Hitze?

Hitzewelle in Europa. Wieder einmal. Der Asphalt flimmert, Bahnschienen verbiegen sich, das Thermometer kratzt an der 40-Grad-Marke. In den Medien sprechen Politiker:innen von „Klimaanpassung“ und „Resilienz“. Tipps kursieren: viel trinken, im Schatten bleiben, nicht zu viel bewegen. Wer kann, arbeitet im Homeoffice. Wer sich’s leisten kann, fährt zum See oder startet den Ventilator. Doch diese Hitze ist nicht nur eine Wettererscheinung – sie ist ein Brennglas sozialer Ungleichheit. Der Klimawandel trifft uns alle. Aber nicht alle gleich. Denn wie du Hitze erlebst, hängt stark davon ab, wer du bist, wo du lebst – und was du besitzt.

Klimagerechtigkeit beginnt bei 40 Grad

Schon heute sterben in deutschen Städten hunderte Menschen pro Jahr an den Folgen extremer Hitze. Laut RKI sind es vor allem ältere Menschen, chronisch Kranke und Menschen ohne festen Wohnsitz. Was oft vergessen wird: Auch die soziale Herkunft spielt eine entscheidende Rolle. Wer in einer schlecht isolierten Dachgeschosswohnung lebt, oder in einem dicht bebauten Stadtteil ohne Bäume, hat schlechtere Karten. Klimaanlagen sind teuer, Ventilatoren helfen nur begrenzt – und beides kostet Strom, der auch nicht billiger wird.

In Großstädten wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg zeigen Studien, dass einkommensschwache Viertel deutlich stärker unter großer Hitze leiden. Während Villenviertel im Schatten alter Bäume liegen, ist es in sozialen Brennpunkten nicht nur wärmer, sondern auch gefährlicher – für Körper, Psyche und das Begehen des Alltags. Wer in Pflegeberufen, auf dem Bau, in Lieferdiensten oder der Gastronomie arbeitet, kann sich der Hitze nicht einfach entziehen. Hitzefrei? Gibt’s nicht für alle.

Globaler Süden: Zwischen Gluthitze und Ausbeutung

Ein Blick über die Grenzen hinaus zeigt: Die größte Ungerechtigkeit liegt nicht nur in deutschen Innenstädten – sondern im globalen Machtgefüge. Länder wie Kenia, Bangladesch oder Pakistan leiden seit Jahren unter extremen Wetterereignisse: Dürren, Wasserknappheit, tödliche Hitzewellen. Doch die Länder, die am stärksten betroffen sind, haben historisch am wenigsten zur Klimakrise beigetragen. Im Jahr 2024 führten massive Hitzewellen in Ostafrika zu Ernteausfällen, Wassermangel und einem enormen Anstieg von Krankheiten wie Cholera. Gleichzeitig wurden in den selben Regionen weiterhin Blumen für europäische Supermärkte gezüchtet – in wasserintensiven Monokulturen, die für den Export bestimmt sind. Während dort die Böden austrocknen, kaufen wir Rosen für 2,99 bei Rewe. Der globale Norden profitiert – der globale Süden schwitzt. Diese Ungleichheit hat System. Der „ökologische Fußabdruck“ Europas basiert auf der Externalisierung von Umwelt- und Gesundheitskosten. Kurz gesagt: Unser Wohlstand entsteht auf dem Rücken anderer.

Klimawandel als Klassenfrage

Wir sprechen viel über CO₂-Reduktion, über E-Autos, Solaranlagen und nachhaltigen Konsum. Doch all das sind Maßnahmen, die häufig nur privilegierten Schichten zugänglich sind. Wer Miete zahlt anstatt ein Eigenheim zu besitzen, kann keine Photovoltaik aufs Dach bauen. Wer auf das Auto angewiesen ist, weil Bus und Bahn nicht ausreichend ausgebaut sind, hat wenig Wahl. Klimaschutz darf keine Lifestyle-Frage sein, sondern muss sozial gedacht werden. Sonst bleibt er exklusiv – und damit ungerecht.

Besonders deutlich wird das an einem scheinbar banalen Thema: Wasser. In vielen Regionen der Welt ist Wasser längst zur Luxusressource geworden. Während Golfplätze grün gehalten werden und Pools gefüllt sind, kämpfen Millionen Menschen um sauberes Trinkwasser. Auch in Europa mehren sich die Konflikte um Wasserrechte – zwischen Landwirtschaft, Industrie und Bevölkerung.

Der Körper als Klimakampfzone

Hitze ist nicht abstrakt – sie ist körperlich. Wer jemals in einem überfüllten Bus im Sommer gefahren ist, weiß, wie lähmend sie sein kann. Doch was passiert, wenn dein gesamter Alltag von dieser Lähmung bestimmt wird? Wenn du unter Medikamenten leidest, keine Möglichkeit hast, dich abzukühlen oder schlichtweg zu arm bist, um dir ein Leben außerhalb der glühenden Stadt zu leisten?

Körper werden im Klimawandel zum politischen Raum. Sie zeigen, was falsch läuft – in Schweiß, Erschöpfung und Not. Besonders betroffen sind Menschen, deren Stimmen ohnehin selten gehört werden: Alte, Arme, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete. Ihre Erfahrung der Klimakrise ist nicht die eines entfernten Zukunftsszenarios, sondern gelebter Alltag.

Was tun?

Klimagerechtigkeit bedeutet, dass nicht nur Emissionen gesenkt-, sondern auch Verhältnisse verändert werden. Es bedeutet, dass Städte begrünt und nicht nur „smart“ gemacht werden. Dass soziale Infrastruktur genauso wichtig ist wie technische Innovation. Und dass politische Maßnahmen nicht nur den Planeten, sondern auch die Menschen schützen – insbesondere die am stärksten gefährdeten.

Es braucht Hitzeschutzpläne, die sich nicht auf Hochglanzbroschüren beschränken. Es braucht Mietrecht, das Begrünung und Kühlung ermöglicht. Es braucht globale Solidarität – auch finanziell. Wer historisch am meisten zur Krise beigetragen hat, muss auch am meisten leisten, um sie abzufedern.