Die letzte kurve
Wie mein Autounfall meine Sicht auf das Leben veränderte
Von Katharina Nüßlein (11.Jun.2025)
Unfälle, Schicksalschläge und Verluste geschehen, das ist uns allen bewusst. Es passiert nur in Filmen und in den Nachrichten – das dachte ich bis letzten Sommer auch. Sie fühlen sich so weit weg an, bis man selbst von ihnen betroffen ist.
“Bist du dir sicher, dass du bei dem Wetter fahren möchtest?”, fragte mich meine Oma noch an diesem Morgen. Eigentlich spielte ich sowieso mit dem Gedanken, die letzte Stunde des Foto-Seminars zu schwänzen. Normalerweise lohnt es sich nicht, 25 Minuten Autobahn zu fahren, um für einen 90-minütigen Kurs in der Uni zu sitzen.
Wie immer in Eile, zog ich mir etwas an, föhnte meine Haare, schnappte mir einen Shake und los ging’s. Es schüttete, doch ich kannte die Strecke in und auswendig. Seit nun einem Jahr fuhr ich jeden Tag mit meinem kleinen Fiat 500 den Weg über die Autobahn zur Hochschule.
„Was sollte also passieren?“

Foto: Katharina Nüßlein / Edit: Margo Sibel Koneberg
Als ich auf die Autobahn auffuhr, hörte es tatsächlich auf zu regnen. Auf den Weg konzentrierte ich mich schon lange nicht mehr – er wurde zur Routine, über die ich nicht mehr nachdenken musste. Ich beschäftigte mich also mit der Musik, überholte hier und da einige Autos und war relativ schnell unterwegs. Denn wie immer, war ich zwar nicht zu späthatte aber einen knappen Zeitraum, um pünktlich zu kommen. Trotz meines kleinen Fiats traute ich mich über 120 km/h zu fahren. Manchmal waren es etwas mehr. Es gibt auf der Strecke nur wenige Abschnitte mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich kannte jede Kurve, jeden Hubbel und jede Stelle, an der man leicht abbremsen musste, um auf der Spur zu bleiben.
Ich überholte also kurz vor der Ausfahrt noch eine letzte Person, wartete einige hundert Meter und traf auf meine letzte Kurve mit diesem Auto. Mit der rechten Hand setzte ich das letzte Mal den Blinker und danach kam mir alles vor, wie in Zeitlupe. Ich zog nach rechts, um wieder einzuscheren und hatte das Gefühl nur noch auf zwei Reifen zu stehen. Ich trat auf die Bremse, meine vordere Achse brach und wurde zusammen mit dem rechten Autoreifen davongeschleudert. Ich schlitterte über beide Spuren, mal nach rechts – mal nach links. Immer mehr Airbags sprangen auf. Mit meinen Händen krallte ich mich in der Hoffnung, irgendwie das Auto zum Stehen zu bekommen, so stark am Lenkrad fest, dass ich einige meiner aufgeklebten Nägel verlor. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst zu sterben.
“Ich möchte nicht, dass es hier und jetzt endet”, dachte ich mir, als die Leitplanke in Zeitlupe immer näher kam.
Mit einer unbeschreiblichen Wucht prallte ich seitlich dagegen, das Auto kam zum Stehen, meine Scheibe zersprang und überall rauchte es. Geistesgegenwärtig schnappte ich mir eine Warnweste, riss die Tür, sprang nach draußen und landete etwas wackelig auf dem Seitenstreifen. 500 Meter vor meiner Ausfahrt, neben meinem geliebten Auto – aber auf beiden Beinen. Mir ging es gut; kein anderes Fahrzeug war in Sicht; wo mein Reifen war, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht.“Wen ruft man denn da an?”, war mein einziger Gedanke.
Zwei liebe Männer hielten an und riefen die Polizei. Als ich mir mein Auto anschaute, wusste ich, dass ich mich von ihm verabschieden musste. Es war das Auto, das ich mir zum 18. Geburtstag gekauft hatte, und mein erstes. Es war mein treuer Begleiter, mit dem ich so viele Erinnerungen sammeln durfte, die nun rauchend auf der Autobahn dahinschwanden. Alle ersten Erinnerungen und letzten Male mit diesem Auto sind in der Leitplanke geblieben. Ich musste ein Kapitel abschließen, von dem ich dachte, dass es mich noch eine Weile begleitet.
Erst war ich sauer auf meinen Fiat, weil er mich fast umgebracht hatte, bis ich realisierte, dass er mich heil zum stehen kommen lassen hat. Was danach auf der Autobahn passierte, lässt sich als reiner Fiebertraum beschreiben. Neben ratlosen Polizist:innen, der Feuerwehr, die die letzten Reste zusammenkehrte, lag ich im Krankenwagen mit Blaulicht und einer Halskrause auf dem Weg ins Krankenhaus. Mir kullerten die Tränen, weil ich wusste, dass die Versicherung nun teurer werden würde und sich geliebte Menschen Sorgen um mich machen würden. Dass bei dem Unfall etwas Ernsthaftes mit mir passiert sein könnte, kam mir nicht in den Sinn.
“Junge Dame, sie sind mit 130 km/h gegen die Leitplanke geknallt“, wurde mir auf dem Weg in den Schockraum gesagt. Das wusste ich natürlich, aber die Ausmaße der Wucht des Aufpralls wurden mir erst die Tage darauf bewusst, als ich die schwarz-blauen Flecken überall an meinem Körper sah. Glücklicherweise waren das jedoch die einzigen Verletzungen, die ich davongetragen habe.
Als Kind habe ich nie darüber nachgedacht, dass die Autobahn ein gefährlicher Ort sein könnte. Stundenlang habe ich neben meinen Eltern gesessen und wir sind jedes Mal mühelos und ohne Zwischenfälle in den Urlaub gefahren.
„Heute halte ich immer noch bei jedem Spurwechsel die Luft an, habe nasse Hände auf der Autobahn und träume regelmäßig von dem Moment, als ich in der Leitplanke landete.“
Eine Ursache wurde nie gefunden, weshalb ich bei jeder ruckartigen Bewegung auf der Straße immernoch zusammenzucke. Panik macht sich in mir breit, wenn jemand anderes nicht die Spur halten kann oder zu schnell fährt.
Durch meinen Unfall wurde mir bewusst, dass das Leben endlich ist. Wenn ich heute in einem Stau stehe, rege ich mich nicht mehr über den Zeitverlust auf, sondern bin einfach nur froh darüber, nicht die Verunfallte zu sein. Ich fahre heute lieber langsam über die Autobahn und komme später an, als gar nicht. Mir ist bewusst geworden, dass Noten in der Uni und materielle Dinge nichtig sind. Am Ende sind es die Menschen und Erinnerungen, die dein Leben bestimmen.
English version (automated translation:)
the last turn
How My Car Accident Changed My View on Life
By Katharina Nüßlein (11.Apr.2025)
Accidents, strokes of fate, and losses happen—that’s something we’re all aware of. It only happens in movies and on the news—that’s what I used to think until last summer. They feel so far away, until you experience them yourself.
„Are you sure you want to drive in this weather?“ my grandma asked me that morning. I had already been thinking about skipping the last hour of my photography seminar. Usually, it doesn’t make sense to drive 25 minutes on the highway just to sit through a 90-minute university course.
As always in a rush, I threw on some clothes, blow-dried my hair, grabbed a shake, and headed out. It was pouring, but I knew the route inside out. For over a year now, I had been driving my little Fiat 500 on the highway to university every day.
„So what could possibly go wrong?„

Photo: Katharina Nüßlein / Edit: Margo Sibel Koneberg
As I entered the highway, the rain actually stopped. I had long stopped focusing on the route—it had become a routine I didn’t have to think about. So I focused on the music, overtook a few cars here and there, and was driving relatively fast. As usual, I wasn’t exactly late, but the timing was tight. Despite my small Fiat, I dared to drive over 120 km/h. Sometimes a bit more. There are only a few speed-limited sections on that stretch. I knew every curve, every bump, and every spot where I had to brake slightly to stay in my lane.
So shortly before the exit, I overtook one last person, waited a few hundred meters, and approached my final curve in that car. With my right hand, I used the turn signal one last time, and then everything felt like slow motion. I steered right to merge back in and suddenly felt like I was driving on only two wheels. I hit the brakes, my front axle broke, and together with the right front wheel, it was flung away. I skidded across both lanes—first to the right, then to the left. More and more airbags deployed. I clung to the steering wheel with my hands, hoping to somehow stop the car—gripping so tightly that I lost several of my press-on nails. It felt like an eternity, and for the first time in my life, I was afraid to die.
„I don’t want it to end here and now,“ I thought as the guardrail came closer in slow motion.
I slammed into it sideways with indescribable force, the car came to a stop, my window shattered, and smoke was everywhere. Instinctively, I grabbed a safety vest, flung the door open, jumped outside, and landed unsteadily on the shoulder. 500 meters before my exit, next to my beloved car—but on both feet. I was okay; no other vehicle in sight; I had no idea where my wheel had ended up. „Who do you even call in a moment like this?“ was my only thought.
Two kind men stopped and called the police. When I looked at my car, I knew I had to say goodbye to it. It was the car I had bought for my 18th birthday, my first. It had been my loyal companion, with which I had made so many memories—now dissipating in smoke on the highway. All those first memories and last moments with that car were left behind in the guardrail. I had to close a chapter I thought would stay with me for a while longer.
At first, I was angry at my Fiat for nearly killing me, until I realized it had actually brought me safely to a stop. What happened afterward on the highway felt like a fever dream. Alongside confused police officers and the fire department sweeping up the last remains, I lay in an ambulance with flashing lights and a neck brace, on the way to the hospital. Tears rolled down my cheeks because I knew the insurance would now be more expensive and that people I loved would be worried. The thought that something seriously bad could have happened to me hadn’t even crossed my mind.
„You hit the guardrail going 130 km/h, young lady,“ someone said as I was taken into the trauma room. I knew that, of course, but the impact’s force only sank in over the following days as I saw the black and blue bruises all over my body. Thankfully, those were the only injuries I sustained.
As a child, I never thought of the highway as a dangerous place. For hours, I sat next to my parents and every trip went smoothly and without incident.
„Today, I still hold my breath with every lane change, have sweaty palms on the highway, and regularly dream of the moment I hit the guardrail.„
A cause was never found, which is why every sudden movement on the road still makes me flinch. Panic rises in me when someone else can’t keep their lane or is driving too fast.
My accident made me realize how finite life is. When I’m stuck in traffic today, I no longer get upset about the lost time—I’m just glad I’m not the one in the accident. I now prefer driving slowly on the highway and arriving late rather than not arriving at all. I’ve realized that grades at university and material things don’t matter. In the end, it’s the people and memories that define your life.
- S(pr)ay it loudGraue Wände werden zu Kunst, während bei nächtlichen Streifzügen das Adrenalin kickt. Graffiti ist für viele Sprayer*innen gelebte Subkultur, in der sich FLINTA* langsam aber sicher ihren rechtmäßigen Platz erkämpfen.
- Wie viel Schwammstadt steckt in Darmstadt?Wer in die Einsteinstraße im Darmstädter Stadtteil Bessungen einbiegt, fühlt sich wie in die Zukunft versetzt. Es ist wie eine Vision vom perfekten und nachhaltigen Wohnen. Sieht so eine verantwortungsvolle Politik aus? Wie positioniert sich Darmstadt im Kampf gegen den Klimawandel? Und welche Rolle spielt dabei das Konzept von Schwammstädten?
- Leben und Studieren mit Morbus CrohnAls ich aufwachte, schwamm ich noch im Nebel der Narkose. Alles war weich, wattig und entspannt. “Wie geht es Ihnen?”, drang eine Stimme zu mir vor, die ich dem Arzt zuordnen konnte. “Gut, noch ziemlich benebelt.”, brachte ich mit viel Mühe hervor. “Alles klar, dann kommen Sie doch einfach gleich ins Besprechungszimmer!”, flüsterte die Stimme des Arztes wie durch Watte in meine Richtung und er verließ den Raum. Kurze Zeit darauf bekam ich dann die Diagnose auf das, was mich seit 2 Jahren immer wieder lahmlegte: Morbus Crohn.



