von Magnus Lieser (22.Sep.2025)
TW: Dieser Artikel beinhaltet Beschreibungen von Krankheitssymptomen des Morbus Crohn (Blut, Stuhl, Schmerzen), die einige Leser:innen als beunruhigend empfinden könnten.
Als ich aufwachte, schwamm ich noch im Nebel der Narkose. Alles war weich, wattig und entspannt. “Wie geht es Ihnen?”, drang eine Stimme zu mir vor, die ich dem Arzt zuordnen konnte. “Gut, noch ziemlich benebelt.”, brachte ich mit viel Mühe hervor. “Alles klar, dann kommen Sie doch einfach gleich ins Besprechungszimmer!”, flüsterte die Stimme des Arztes wie durch Watte in meine Richtung und er verließ den Raum.
Kurze Zeit darauf bekam ich dann die Diagnose auf das, was mich seit 2 Jahren immer wieder lahmlegte: Morbus Crohn. Erst eine Darmspiegelung brachte das Ergebnis. Aber was genau ist Morbus Crohn?
Morbus Crohn ist eine Autoimmunerkrankung, die im gesamten Verdauungstrakt auftreten kann. Dabei greift das eigene Immunsystem körpereigene Zellen an und verursacht so Entzündungen. Häufig ist aber der Darm betroffen. Die Krankheit verläuft in Schüben, also Zeitspannen, in denen die Krankheit aktiv ist. Dazwischen liegen Perioden, in denen die Erkrankung ruht. Diese Phase nennt sich Remission. Die Ursache der Erkrankung ist nicht abschließend geklärt. Ein Anteil der Patient:innen hat ein bestimmtes mutiertes Gen, was den Ausbruch der Krankheit begünstigen kann. Sie ist nicht ansteckend und entwickelt sich häufig zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr. Des Weiteren kommt die Erkrankung wesentlich häufiger in den westlichen Industrieländern vor als im Rest der Welt. Gründe dafür sind der Lebensstil dieser Länder. Insbesondere die Stresskultur, die sich dort etabliert hat, und die Ernährung (hochverarbeitete Lebensmittel, Fertigprodukte, etc.) begünstigen das Auftreten der Erkrankung. 1)

Illustration: Margo Sibel Koneberg
Aber von vorne: Wann hat das alles angefangen und warum hat es Jahre gedauert, bis ich eine Diagnose bekam?
Wir drehen das Rad der Zeit in den November 2021 zurück, als ich meine Vorabitur-Klausuren geschrieben habe. Immer wieder hatte ich seltsame, starke Bauchkrämpfe, Durchfälle und später auch Blut im Stuhl. Das Ganze baute sich schleichend über mehrere Wochen auf. Es fühlte sich an wie ein kleines Feuer, das schleichend immer größer wurde und in mir eine Hitze verbreitete, die ich so nie kannte. Zu Beginn dachte ich, ich hätte vielleicht etwas Schlechtes gegessen oder es würde sich mit gängigen Medikamenten lösen lassen. Dies war nicht der Fall. Es wurde so schlimm, dass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Ich traute mich nicht richtig darüber zu reden, da diese Art von Thema bis dahin für mich ein Tabuthema war. Daher fiel mir der Schritt, zum Arzt zu gehen, schwer.
Dort überwies man mich sofort mit Verdacht auf Blinddarmentzündung ins Krankenhaus und es passierte erstmal 8 Tage lang nichts. Ich aß fast nichts, da man immer OP-bereit sein wollte, falls es schlimmer werden würde. Der Stationsarzt glaubte mir nicht – er war der festen Überzeugung, ich würde das alles simulieren, damit ich keine Klausuren schreiben müsse (ich war zu dem Zeitpunkt schon fertig mit allen Klausuren). Nach 8 Tagen in
Krankenhausisolation (Besuche waren innerhalb der Pandemie schwer limitiert) wurde ich zum MRT geschickt. Danach wurde ich mit Ibuprofen und Buscopan in der Hand entlassen, es wäre eine harmlose Darmentzündung gewesen. Kurze Zeit später wurde es tatsächlich besser, aber nach 4-5 Wochen geringer Nahrungsaufnahme und Durchfällen hatte ich bereits 10kg abgenommen. Ich dachte mir nur wenig dabei und lebte mein Leben weiter. Schließlich kamen jetzt im Januar die richtigen Abiturklausuren.
Dann war sehr lange Zeit alles ruhig. Das Abitur war geschafft, mir ging es gesundheitlich wieder gut. Wir befinden uns jetzt im August 2022. Da fing alles wieder abrupt an: Ich konnte das Haus nicht verlassen, war entkräftet, konnte kaum Essen und musste ständig auf die Toilette. Das Feuer in mir brannte lichterloh – wieder ohne erkennbaren Grund. Wieder ging es für mich ins Krankenhaus. – Wieder mit dem Verdacht auf eine Blinddarmentzündung. Dieses Mal wurde aber schnell gehandelt: ich bekam starke Schmerzmittel, die auch direkt entzündungshemmend wirkten. Damit wurde es dann wieder besser. Aber auch hier habe ich erneut 10kg an Gewicht verloren und war ab diesem Zeitpunkt untergewichtig.
Dann begann ich im Oktober 2022 mein Studium an der TU Darmstadt. Richtig wohl fühlte ich mich dort nie. Das erste Mal ausziehen von daheim, dann direkt in eine andere Stadt und nur wenige Menschen dort kennen – das war einfach seltsam. Der Stoff der Vorlesungen überforderte mich oft, weil ich einfach das nötige Vorwissen nie hatte. Ich habe mich häufig allein und richtig dumm gefühlt. Oft plagten mich einfach Selbstzweifel: An meiner Studienwahl und ob ich nicht einfach zu dumm dafür wäre. Aber ich versuchte weiterzumachen, obwohl irgendwas in mir dagegen war.
Im Frühjahr 2023 entschloss ich mich dazu, endlich herauszufinden, was wirklich mit mir los ist. Mein Bauch war zwar lange ruhig gewesen, aber ich traute dem Frieden einfach nicht. Es fühlte sich an, als würde innerhalb der Schübe ein Feuer in mir lodern, das nicht mit Wasser zu löschen war und keiner wusste wie man es überhaupt unter Kontrolle bringen kann. Ich machte einen Termin bei einem Spezialarzt aus – einem Gastroenterologen. Die Vorlaufzeit betrug 6 Monate, also musste ich bis Ende Oktober 2023 abwarten.
Im Oktober wurden etliche Tests gemacht und Proben genommen, und im Dezember eine Magen- & Darmspiegelung durchgeführt. Danach kam die Diagnose Morbus Crohn. Der Moment war erleichternd, aber auch beschwerend zu gleich. Endlich hatte das Feuer, die Hitze, das Unbekannte in mir, einen Namen.
Andererseits gilt die Krankheit als nicht heilbar und man muss lernen mit ihr umzugehen. Der Arzt sprach davon, dass man sein Leben umstellen müsse. Für mich war das damals eine seltsame Vorstellung. Andere Ernährung, andere Alltagsplanung und viele weitere Kleinigkeiten. Aber durch verschiedene Möglichkeiten von Medikamenten sei eine lange Remission möglich. Er erzählte mir, dass viele Patient:innen mit Morbus Crohn Schübe oft in mental anstrengenden Phasen ihres Lebens bekommen. Die Schübe haben also u.a. psychosomatische Auslöser. Das war mir bis dahin nie aufgefallen – änderte in meinem Leben aber sehr viel. Ich entschloss mich daraufhin einen Psychotherapieplatz zu beantragen; als Stütze für meine fortbestehenden Studienzweifel an der TU und um mein Leben stressärmer zu gestalten. Nach einiger Wartezeit hatte ich das Glück, bei einer sehr kompetenten Psychotherapeutin in Behandlung zu kommen.
Der Weg zur Besserung: die Flammen werden kleiner
Dort kristallisierte sich einiges heraus: Ich beschloss, die TU zu verlassen und an die h_da zu wechseln (In Retroperspektive eine wirklich gute Entscheidung!). Ich lernte Entspannungstechniken für den Alltag und stellte fest, dass Stress, den ich mir selbst machte, meinem Morbus Crohn oft die Möglichkeit gab, sich in Form von Schüben zu zeigen.
Medikamentös habe ich zuerst eine lange Kortisontherapie durchlebt. Dabei habe ich wieder gut 15kg zugenommen – ein guter Punkt für mich. Allerdings wirkte das Kortison nach einiger Zeit nicht mehr. Daher wurde ich danach auf ein Biologika umgestellt. Das wird alle zwei Wochen mit einer automatischen Spritze (Autoinjektor) in die Oberschenkel gespritzt. Allerdings kann das Immunsystem gegen diese Art von Medikament Antikörper bilden, sodass sie irgendwann nicht mehr wirken. Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl von Alternativen der gleichen Medikamentenklasse oder ganz andere Klassen. Regelmäßige Check-Up’s sind daher sehr wichtig.
Wie hält man das Feuer klein? – Stressbewältigung als Kernelement
So viel zu meiner Vorgeschichte mit der Krankheit Morbus Crohn. Aber inwiefern beeinträchtigt das alles jetzt mein Studium? Wie bereits erwähnt, äußert sich Morbus Crohn häufig in stressigen Situationen im Leben, auf die das “Bauchhirn” sensibel reagiert. Das heißt, insbesondere in Klausurenphasen kann ein Schub auftreten – alles andere als ideal, um sich auf Prüfungen vorzubereiten.
Also was tun, wenn man nun gestresst ist? Egal ob chronisch krank oder gesund – grundlegend muss man sich dessen erstmal bewusstwerden: Okay, ich bin gerade gestresst. Aber was jetzt? Es gibt viele Wege, die nach Rom führen. Für mich sind Atemtechniken, Meditationen und Achtsamkeitsübungen sehr hilfreich.
Eine klassische Atemübung wäre zum Beispiel: 6 Sekunden einatmen, 7 Sekunden den Atem halten und 8 Sekunden ausatmen – das Ganze dann etwa 5-10 Minuten lang wiederholen. Dabei macht man sich den Fluss des Sauerstoffes im Körper bewusst und konzentriert sich exakt auf diese Sache – und lässt alle weiteren Gedanken vorbeiziehen – wie eine kleine Wolke am Himmel.
Eine gute Achtsamkeitsübung umfasst das Beschreiben von Gegenständen, als würde man diese einer blinden Person beschreiben. Ideal dafür sind Bäume, Gärten oder einfach Landschaften. Andere Menschen empfinden ganz andere Aktivitäten als entspannend. Zum Beispiel tanzen, Musik hören oder Sport treiben. Das ist etwas vollkommen Individuelles. Wichtig ist erstmal herauszufinden, was einen persönlich entspannen kann.
Der nächste Schritt geht dann an die Wurzel – alles zuvor hat nur die Äste und Blätter des Stresses gestutzt. Daher ist es wichtig sich bewusst zu werden, wieso man momentan gestresst ist. Klar, Klausuren, Abgaben, Lernen, usw. ist da oft die Antwort. Aber wieso? Wir gehen vielleicht auch einfach häufig falsch an diese Sachen heran.
Geht denn die Welt morgen für uns unter, wenn eine Klausur nicht bestanden ist? Wird jemand in 10 Jahren nachfragen, was da am Ende für eine Note im Modul XYZ stand? Oder wie viele Anläufe man für das Bestehen einer Klausur gebraucht hat? Oder ob man in Regelstudienzeit studiert hat? Die Antwort sollte idealerweise “Nein!” lauten.
Zu dieser Erkenntnis zu gelangen, war für mich sehr viel Arbeit, aber sie hat mir geholfen, mein Studium zum besseren zu wandeln – trotz chronischer Erkrankung.
Was tut die Hochschule für CED-Kranke?
Eine weiteres für mich wichtiges Anliegen als Morbus Crohn-Patient, ist die Abdeckung der Toiletten an der Hochschule. So banal es auch klingen mag, aber es gibt Orte, an denen das nicht gegeben ist. Die h_da verfügt über reichlich Behinderten-WCs, die man mit dem Euro-WC-Schlüssel betreten kann, was für mich an schlechten Tagen sehr hilfreich ist.
“Was ist denn ein Euro-WC-Schlüssel?”, fragen sich jetzt vielleicht einige von euch. Der Euro-WC-Schlüssel ist ein universeller Schlüssel, der Menschen mit Beeinträchtigungen Zugang zu Behinderten-WC’s, vor allem in Deutschland und unseren Nachbarländern verschafft. Um einen solchen zu erhalten, muss man beim CBF Darmstadt e.V. (Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt und Umgebung) nachweisen, dass man diese Berechtigung besitzt (z.B. durch ein ärztliches Schreiben über die Beeinträchtigung oder einen Schwerbehindertenausweis) 2). Damit fühlt man sich gut aufgehoben und gewappnet – auch an schlechten Tagen, an denen sich kleinere Schübe bemerkbar machen.
Trotz dieses Wissens kann es natürlich Momente geben, in denen es dann doch Komplikationen gibt. Mir ist das zum Glück noch nicht passiert, aber es gibt den Nachteilsausgleich für alle Studierenden, die durch körperliche, psychische oder chronische Erkrankungen beeinträchtigt sind. Für genauere Details wendet man sich am besten an die zentrale Studienberatung. Mögliche Optionen umfassen die grundsätzliche Studienplanung, das heißt z.B. verlängerte Fristen, Änderungen bei Anwesenheitspflichten oder Ahnliches. Aber auch bei Prüfungen. Wenn ihr davon betroffen sein könntet, wendet euch direkt an die zentrale Studienberatung, um individuell abstimmen zu können, was für euch machbar ist. Es wird sich eine Lösung finden lassen.
Never judge a book by its cover
Abschließend möchte ich alle Leser:innen dazu aufrufen, Menschen mit nicht direkt sichtbaren Erkrankungen und Behinderungen zu unterstützen. Sei es im direkten Umfeld oder anderswo. Was leider öfter vorkommt, als man denkt, sind unpassende Kommentare bei der Nutzung von Behinderten-WC’s. Nicht selten musste ich mir schon sagen lassen, ich dürfe diese Toilette nicht nutzen, ich sei ja gesund. Doch nicht alle Erkrankungen sind eben von außen direkt sichtbar. “Never judge a book by its cover” ist hier das Motto, was zählt.
So, wenn ihr es bis hierhin geschafft habt, danke ich euch recht herzlich! Wenn ihr mehr über chronisch entzündliche Darmerkrankungen (kurz: CEDs) erfahren wollt, schaut doch mal beim “DCCV e.V.” oder bei “Crohn’s and Colitis UK” auf Instagram oder im Web vorbei. Bis dahin!
Quellen:
1) Farrag K, Rückert U, Schulz S et al. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen: Status quo und was die Zukunft bringen kann. Dtsch Arztebl 2023; 120 (27–28): A-1219/B-1043. https://www.aerzteblatt.de/archiv/chronisch-entzuendlichedarmerkrankungen-status-quo-und-was-die-zukunft-bringen-kann-42c11dd7-176d-42c1-a153-ed3b0f20f94a


