Albtraum Situationship? Gedanken zur Serie „Fleabag“
Von Maike Dorn (27.12.2023)
Spoilerwarnung!
Dieses Mal meint sie es ernst. Sie sagt es ohne Ironie, ohne zu fluchen und ohne zu lachen. „Ich liebe dich.“ Er nimmt ihre Hand. „Das wird vorbeigehen.“ Dann geht er und sie bleibt allein an der Bushaltestelle zurück. Aus der Dunkelheit taucht leise ein Fuchs auf und schaut zu ihr herüber. „Er ist da lang“, sagt sie und deutet nach links. Der Fuchs läuft in dieselbe Richtung, in der der Priester eben verschwunden ist. Nach einer Weile steht auch sie auf, schaut ein letztes Mal in die Kamera und dreht uns den Rücken zu, als die Musik einsetzt.
Illustration: Margo Sibel Koneberg
I just kept hoping, I just kept hoping
The way would become clear
I spent all this time
Try’na play nice
And fight my way here
So, I just kept dreamin‘, yeah, I just kept dreamin‘
It wa’n’t very hard
I spent all this time
Try’na figure out why
Nobody on my side
See, I’ve been having me a real hard time
But it feels so nice to know I’m gonna be alright
This Feeling – Alabama Shakes
Eine komplizierte Liebe
Es ist das Ende der Geschichte einer Frau mit leerem Herzen und ohne Freunde, die sich in einen katholischen Priester verliebt. Die britische Schauspielerin und Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge hat mit „Fleabag“ in der gleichnamigen Serie eine Figur erschaffen, die sich in der ersten Staffel stark und sympathisch durch ihr chaotisches Leben kämpft. Gelegentlich bricht jedoch aus ihr heraus, wie verloren und wie schuldig sie sich die meiste Zeit fühlt. Sie hat das furchtbare Gefühl, eine perverse, egoistische, apathische, zynische, verdorbene und moralisch kaputte Person zu sein, die sich selbst nicht einmal als Feministin bezeichnen kann. Sie wird verfolgt von dem Tod ihrer besten Freundin, den seltsamen Beziehungsdynamiken in ihrer Familie und vom Thema Männer. In Beziehungen hält sie es nie lange aus, trotzdem kann sie nicht ohne. Den Traum von der perfekten Beziehung hat sie schon längst aufgegeben.
Die vierte Wand
Das Besondere an der Serie ist das Durchbrechen der vierten Wand – ein Prinzip, das ursprünglich aus dem Theater kommt. Tatsächlich war „Fleabag“ ursprünglich ein Theaterstück – eine Art One-Woman-Show. Die drei Wände der Theaterbühne werden in den meisten Produktionen durch eine imaginäre vierte Wand zwischen den Schauspielern und Schauspielerinnen und dem Publikum ergänzt. Für das Publikum ist die Wand durchsichtig, für die andere Seite jedoch nicht. Die Akteure in der Geschichte wissen also nicht, dass sie beobachtet werden und ignorieren das Publikum. Bei „Fleabag“ ist es anders, denn die Protagonistin spricht regelmäßig mit dem Publikum und kommentiert ihr Leben in dem Wissen, dass immer jemand zuschaut und über sie urteilt.
Der Priester
Die zweite Staffel von „Fleabag“ ist eine Liebesgeschichte. Fleabag trifft auf jemanden mit einer ähnlichen Beziehung zur vierten Wand. Auch dem Priester ist bewusst, dass er beobachtet und jede seiner Taten beurteilt wird – von Gott. Als sich Fleabag und der Priester kennenlernen, hat sie Männern gerade abgeschworen und bleibt erst auf Distanz, kann der Versuchung aber nicht lange widerstehen. Es wird näher, dann unangenehm nah. Von Anfang an weiß jeder, dass diese Beziehung keine gute Idee ist. Ihre Schwester weiß es, ihre Therapeutin weiß es und Fleabag selbst weiß es auch, während sie zu Hause googelt, ob katholische Priester Sex haben dürfen. Auch die Zuschauer sehen immer wieder Anzeichen dafür, dass die Liebesgeschichte nicht funktionieren wird. Trotzdem gibt es zwischendurch immer wieder diese Momente, in denen alle an ein gutes Ende glauben. Es überwiegt etwas, das stärker als der Zweifel ist: Hoffnung.
Ungleichgewicht
Obwohl „Fleabag“ nur eine Geschichte ist, kann jeder diese Dynamik nachvollziehen, der schon einmal in eine Situationship geraten ist. Zwei Menschen lernen sich kennen und kommen sich näher, aber es steht etwas zwischen ihnen. Vielleicht ist der eine in einer offenen Beziehung, vielleicht lebt der andere gerade einfach seine Freiheit aus. Vielleicht hat der eine Bindungsängste, vielleicht hat der andere keine Lust auf Verantwortung. Es gibt viele Konstellationen, eine nach außen hin komplizierter als die andere. Trotzdem sind Gefühle im Spiel, die das ganze Konstrukt irgendwie zusammenhalten. Solange viel kommuniziert wird und sich die Gefühle nicht ändern, kann diese Form der Nicht-Beziehung für beide gut funktionieren. Aber so ist es selten. Früher oder später entsteht ein Ungleichgewicht.
Hoffnung
Jemanden in einer offenen Beziehung zu daten, ist zwar nicht das gleiche, wie sich in einen katholischen Priester zu verlieben, aber zu Beginn beider Geschichten ist klar, dass es nicht einfach wird. Jeder von uns ist Protagonist in seiner eigenen Geschichte, gleichzeitig ist jeder von uns Zuschauer bei den Geschichten der anderen. Würde jede Situationship heutzutage auf einer Theaterbühne spielen, würden sich die Zuschauer zuerst denken: „Das geht nicht gut aus.“ Doch dann würden sie sich mitreißen lassen von der Hoffnung. Und würden die Protagonisten der Situationships genauso die vierte Wand durchbrechen und mit den Zuschauern reden können, würden sie vielleicht sagen: „Ich weiß, es ist eine dumme Idee, aber schauen wir mal, wohin es führt.“ Wohin es führt, ist selten wirklich vorhersehbar und das macht uns unsicher. So häufig wie Situationships heutzutage geführt werden, stellt sich die Frage: Warum tun wir uns das an?
Liebe
Am Ende der zweiten Staffel von „Fleabag“ hält der Priester eine Rede über die Liebe. In der deutschen Übersetzung klingt sie so: „Liebe ist grauenvoll. Sie ist schmerzhaft. Sie jagt einem Angst ein. Sie führt zu Selbstzweifeln. Du verurteilst dich dafür. Du entfernst dich von den anderen Menschen in deinem Leben. Du wirst selbstsüchtig. Du wirst unheimlich. Du wirst besessen von deiner Frisur. Du wirst brutal. Ihretwegen tust und sagst du Dinge, die du nie von dir erwartet hättest. Wir wollen nichts anderes, doch wenn wir lieben, ist es die Hölle. Also ist es kein Wunder, dass wir das auf keinen Fall allein tun wollen. Ich habe gelernt, wenn du mit Liebe geboren wirst, musst du entscheiden, was du damit machst. Man spricht darüber sehr viel. Es fühlt sich richtig an und deswegen ist es einfach. Ich bin nicht sicher ob das wahr ist. Es erfordert Stärke, zu wissen, was richtig ist. Und Liebe ist nichts für Menschen, die schwach sind. Denn wer Romatiker ist, der braucht verdammt viel Hoffnung.“
Vielleicht ist genau das der Grund dafür, dass so viele Situationships existieren – wir sind Romatiker. Wir träumen uns eine gemeinsame Zukunft und wir hoffen, dass alles so läuft, wie wir es uns wünschen. Aber Träume von einer perfekten Beziehung gehen manchmal einfach nicht in Erfüllung. Zu den vielen Dingen, die wir aus „Fleabag“ lernen können, gehört dies: Wenn Fleabag nach ihrer Niederlage erhobenen Hauptes die Szene verlassen kann, dann können das auch alle, die in letzter Zeit in der Liebe verloren haben.
Wer jetzt neugierig geworden ist, kann sich hier schon mal auf „Fleabag“ einstimmen:
English version (automated translation):
Situationship nightmare? Thoughts on the „Fleabag“ series
by Maike Dorn (27.12.2023)
Spoiler warning!
This time she’s serious. She says it without irony, without swearing and without laughing. „I love you.“ He takes her hand. „This will pass.“ Then he leaves and she is left alone at the bus stop. A fox quietly emerges from the darkness and looks over at her. „He’s that way,“ she says and points to the left. The fox runs in the same direction in which the priest has just disappeared. After a while, she stands up too, looks at the camera one last time and turns her back to us as the music starts.
Illustration: Margo Sibel Koneberg
I just kept hoping, I just kept hoping
The way would become clear
I spent all this time
Try’na play nice
And fight my way here
So, I just kept dreamin‘, yeah, I just kept dreamin‘
It wa’n’t very hard
I spent all this time
Try’na figure out why
Nobody on my side
See, I’ve been having me a real hard time
But it feels so nice to know I’m gonna be alright
This Feeling – Alabama Shakes
A complicated love
It is the end of the story of a woman with an empty heart and no friends who falls in love with a Catholic priest. British actress and screenwriter Phoebe Waller-Bridge has created a character in the series of the same name, „Fleabag“, who struggles through her chaotic life in a strong and likeable manner in the first season. Occasionally, however, it bursts out of her how lost and guilty she feels most of the time. She has a terrible feeling of being a perverted, selfish, apathetic, cynical, spoiled and morally broken person who can’t even call herself a feminist. She is haunted by the death of her best friend, the strange relationship dynamics in her family and the issue of men. She never lasts long in relationships, yet she can’t do without them. She has long since given up her dream of the perfect relationship.
The fourth wall
The special thing about the series is the breaking of the fourth wall – a principle that originally comes from the theater. In fact, „Fleabag“ was originally a play – a kind of one-woman show. In most productions, the three walls of the theater stage are supplemented by an imaginary fourth wall between the actors and actresses and the audience. The wall is transparent to the audience, but not to the other side. The actors in the story are therefore unaware that they are being watched and ignore the audience. In „Fleabag“ it is different, because the protagonist regularly talks to the audience and comments on her life in the knowledge that someone is always watching and judging her.
The priest
The second season of „Fleabag“ is a love story. Fleabag meets someone with a similar relationship to the fourth wall. The priest is also aware that he is being watched and that his every action is being judged – by God. When Fleabag and the priest meet, she has just sworn off men and initially keeps her distance, but cannot resist the temptation for long. It gets closer, then uncomfortably close. Right from the start, everyone knows that this relationship is not a good idea. Her sister knows it, her therapist knows it and Fleabag herself knows it too, while at home she googles whether Catholic priests are allowed to have sex. The audience also sees repeated signs that the love story is not going to work out. Nevertheless, there are always those moments in between when everyone believes in a happy ending. Something prevails that is stronger than doubt: hope.
Imbalance
Although „Fleabag“ is just a story, anyone who has ever been in a situation can relate to this dynamic. Two people get to know each other and become closer, but something stands between them. Maybe one is in an open relationship, maybe the other is simply living out their freedom. Maybe one person is afraid of commitment, maybe the other doesn’t feel like taking on responsibility. There are many constellations, one outwardly more complicated than the other. Nevertheless, there are feelings at play that somehow hold the whole construct together. As long as there is a lot of communication and the feelings don’t change, this form of non-relationship can work well for both parties. But it rarely does. Sooner or later, an imbalance arises.
Hope
Dating someone in an open relationship is not the same as falling in love with a Catholic priest, but at the beginning of both stories it is clear that it will not be easy. Each of us is the protagonist in our own story, and at the same time each of us is a spectator in the stories of the others. If every Situationship were set on a theater stage today, the audience would first think: „This won’t end well.“ But then they would let themselves be carried away by hope. And if the protagonists of the situationships could break through the fourth wall and talk to the audience in the same way, they might say: „I know it’s a stupid idea, but let’s see where it leads.“ Where it leads is rarely really predictable and that makes us unsure. As often as situationships are conducted these days, the question arises: why are we doing this to ourselves?
Love
At the end of the second season of „Fleabag“, the priest gives a speech about love. In the German translation, it sounds like this: „Love is horrible. It is painful. It scares you. It leads to self-doubt. You condemn yourself for it. You distance yourself from the other people in your life. You become selfish. You become creepy. You become obsessed with your hairstyle. You become brutal. You do and say things because of them that you would never have expected of yourself. We don’t want anything else, but when we love, it’s hell. So it’s no wonder we definitely don’t want to do it alone. I’ve learned that if you’re born with love, you have to decide what you’re going to do with it. People talk about it a lot. It feels right and that’s why it’s easy. I’m not sure if that’s true. It takes strength to know what is right. And love is not for people who are weak. Because if you’re a romantic, you need a hell of a lot of hope.“
Perhaps that is precisely the reason why so many situationships exist – we are romantics. We dream of a future together and we hope that everything will work out the way we want it to. But dreams of a perfect relationship sometimes just don’t come true. One of the many things we can learn from „Fleabag“ is this: If Fleabag can leave the scene with her head held high after her defeat, then so can everyone who has lost a love recently.
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