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Wieso wir trotz steigender Queerfeindlichkeit nicht die Hoffnung verlieren sollten

von Ellie Haase (10.09.2024)

Der deutschlandweite politische Rechtsruck macht sich auch in Darmstadt bemerkbar. Was bietet unsere Stadt für Anlaufstellen für LGBTQIA+-Personen und gibt es überhaupt noch Hoffnung auf eine Besserung für die Lebenssituation queerer Menschen?

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Als queere Person ist es heutzutage schwieriger denn je, ohne Diskriminierung in unserem gesellschaftlichen Alltag zu existieren. Es war schon immer nicht leicht, aber durch politische Phänomene wie den europaweit spürbaren Rechtsruck und steigende Zahlen von Angriffen auf queere Personen, ist die Bewältigung des täglichen Lebens in den letzten Jahren nicht gerade einfacher geworden. Betroffen von dieser unschönen Veränderung in der Gesinnung der Gesellschaft sind aber nicht ausschließlich queere Menschen. Auch andere marginalisierte Gruppen wie Behinderte, Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen* erleben eine ähnliche Eskalation von Diskriminierung und Hass. Wenn all diese Faktoren zusammenkommen, kann das überwältigend und angsteinflößend sein. Ich frage mich: Werden queere Menschen je eine Auszeit von all dem bekommen können und die Möglichkeit haben, einen normalen Alltag ohne Anfeindungen zu erleben?

LSBT*IQ/LGBTQIA+
Das Akronym „LSBT*IQ“ steht umgangssprachlich für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans*, Intergeschlechtlich und Queer. Der Stern zwischen dem T und dem I steht stellvertretend für die unendliche Vielfalt aller anderen sexuellen und geschlechtlichen Ausprägungen. „LGBTQIA+“ meint im Prinzip das gleiche, kommt aber aus dem englischsprachigen Raum. Einziger Unterschied: die Ergänzung des „A“, also der Nennung von asexuellen Menschen. Das Plus ersetzt in dieser Version den Stern, der sich in der deutschen Variante etabliert hat.

Der politische Wandel macht mir Angst. Auch, dass nach der Europawahl rechtspopulistische Parteien, insbesondere die AfD, die politische Landschaft verändern – und zwar nicht gerade ins Positive. Diese Parteien propagieren eine Politik der Ausgrenzung und Intoleranz, die sich gegen die Rechte queerer Menschen richtet. Die AfD hat wiederholt Forderungen nach einer Rückkehr zu „traditionellen Familienwerten“ und der Ablehnung der „Gender-Ideologie“ laut gemacht. Solche Rhetorik schürt nicht nur Vorurteile, sondern fördert auch ein Klima der Feindseligkeit gegenüber queeren Menschen.

Diese Akzeptanz von rechtsextremen Ideologien führt zu einem Anstieg von psychischer und physischer Gewalt gegen queere Personen, leider auch hier in Darmstadt. Vornehmlich, aber nicht exklusiv exklusiv bei Trans* und Non-Binary Personen. Angriffe reichen teilweise von verbalen Beleidigungen über körperliche Übergriffe bis hin zu tödlicher Gewalt. Die Dunkelziffer solcher Vorfälle dürfte noch weit höher als die offiziellen Zahlen liegen, da viele Opfer aus Angst vor weiteren Anfeindungen keine Anzeige erstatten. Diese Art der Ausgrenzung passiert in den unterschiedlichsten Lebensbereichen ‒ sei es in der Uni, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum. Homophobe und transphobe Äußerungen sind keine Seltenheit und führen immer häufiger dazu, dass viele queere Menschen ihre Identität verstecken, um nicht ins Visier von Diskriminierung zu geraten.

Darmstädter Anlaufstellen
Diese dauerhafte Belastung kann zu schweren psychischen Schäden führen, einschließlich Depressionen und Angststörungen. So zeigt die Studie „Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI*-Menschen“ des DIW Berlin, dass LGBTQIA+-Personen ein deutlich höheres Risiko für diese Art der Erkrankungen als heterosexuelle und cisgender Menschen aufweisen. Psychologische Unterstützung und sichere Räume sind daher unfassbar wichtig, um zu helfen, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Glücklicherweise sind wir hier in Darmstadt mit unserem queeren Zentrum sowie einem LSBT*IQ-Beauftragten ganz gut aufgestellt.

Der Verein „vielbunt“ bietet einen sicheren Raum als Anlaufstelle für queere Menschen. Seit 2017 befindet sich in der Oetinger Villa das von vielbunt geleitete queere Zentrum mit diversen Angeboten zur Beratung, Vermittlung und Unterstützung von LGBTQIA+-Personen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wertvoll es ist, dass es hier in Darmstadt einen Ort gibt, der, frei von Vorurteilen und Ausgrenzung, queeren Menschen Unterstützung bietet. Die Stadt Darmstadt stellt in Form eines LSBT*IQ-Beauftragten ebenfalls eine Anlaufstelle für die queere Bevölkerung bereit. Leon J. Reinel leitet diese noch relativ junge Koordinationsstelle, mit der die Vernetzung der Community vor Ort unterstützt und für mehr Akzeptanz in einer vielfältigen Stadtgemeinschaft gesorgt werden soll. 

Der Weg zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft ist lang und steinig. Es bedarf kontinuierlicher Anstrengungen, um Vorurteile abzubauen und ein Klima der Akzeptanz und Gleichberechtigung zu schaffen. Politische Veränderungen, Bildung und Sensibilisierung spielen in diesem Prozess daher eine äußerst wichtige Rolle. Es liegt in der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen, sich aktiv gegen Benachteiligung und Ausgrenzung einzusetzen und für die Rechte und Würde aller Menschen zu kämpfen! Auch wenn wir hier in Darmstadt nicht von den Veränderungen der feindseligen Gesinnung vieler Menschen verschont bleiben, ist es doch gut zu wissen, dass wir durch diverse Anlaufstellen und Angebote ein starkes Netzwerk an hilfsbereiten und verständnisvollen Personen haben, an das wir uns im Ernstfall wenden können.

Nur durch Begegnungen, Gespräche und gemeinsames Handeln wie die Teilnahme an Demonstrationen (Demos gegen rechts, CSD etc.) und einem aufmerksamen Blick in unserem Alltag können wir eine Zukunft gestalten, in der niemand aufgrund ihrer oder seiner Identität diskriminiert wird. Es liegt in der Hand von uns allen, Barrieren abzubauen und für solch eine bessere Zukunft zu kämpfen.

CSD:
Das Akronym „CSD“ steht umgangssprachlich für den Christopher Street Day. Er dient als Gedenk- und Demonstrationstag für queere Menschen überall auf der Welt. Typischerweise wird so in Form einer Demoparade gegen Diskriminierung und Ausgrenzung gekämpft. Es wird aber auch getanzt, gelacht und sich mit anderen queeren Menschen ausgetauscht. Die deutschlandweit bekanntesten und größten CSD-Paraden finden jährlich in Köln und Berlin statt.


Hinweis der Redaktion:
Darüber, dass sich der Anstieg von psychischer und physischer Gewalt gegen queere Personen leider auch in Darmstadt bemerkbar macht, könnt ihr euch zum Beispiel in diesem Video informieren:

English version (automated translation):

Why We Shouldn’t Lose Hope Despite Rising Queerphobia

by Ellie Haase (10.09.2024)

The nationwide political shift to the right is also noticeable in Darmstadt. What kind of support services does our city offer for LGBTQIA+ individuals, and is there still any hope for an improvement in the living situation of queer people?

illustration: Margo Sibel Koneberg

As a queer person, it is more difficult than ever to exist in our daily social life without facing discrimination. It has never been easy, but due to political phenomena like the noticeable rightward shift across Europe and the increasing number of attacks on queer people, coping with everyday life has not exactly become easier in recent years. However, this unfortunate shift in societal attitudes does not only affect queer people. Other marginalized groups, such as people with disabilities, individuals with a migration background, and women*, also experience a similar escalation of discrimination and hatred. When all these factors come together, it can be overwhelming and frightening. I wonder: will queer people ever be able to take a break from all of this and have the chance to live a normal life without hostility?

LSBT*IQ/LGBTQIA+
The acronym ‘LSBTIQ’ stands for Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersex, and Queer. The asterisk between the T and I represents the endless diversity of all other sexual and gender identities. ‘LGBTQIA+’ essentially means the same, but it comes from the English-speaking world. The only difference: the addition of ‘A,’ which includes asexual people. In this version, the plus sign replaces the asterisk that has become established in the German version.

The political shift frightens me. I also fear that after the European elections, right-wing populist parties, particularly the AfD, will change the political landscape—and not in a positive way. These parties promote a policy of exclusion and intolerance directed against the rights of queer people. The AfD has repeatedly called for a return to ‘traditional family values’ and a rejection of ‘gender ideology.’ Such rhetoric not only fosters prejudice but also promotes a hostile climate towards queer people.

This acceptance of far-right ideologies leads to an increase in psychological and physical violence against queer individuals, unfortunately also here in Darmstadt. Primarily, but not exclusively, among trans* and non-binary people. Attacks range from verbal insults to physical assaults and even deadly violence. The dark figure of such incidents is likely much higher than official numbers suggest, as many victims do not report these incidents out of fear of further hostility. This kind of exclusion occurs in various areas of life—whether at university, in the workplace, or in public spaces. Homophobic and transphobic statements are not uncommon and increasingly lead many queer people to hide their identities to avoid becoming targets of discrimination.

Darmstadt Support Services
This ongoing strain can lead to severe psychological damage, including depression and anxiety disorders. According to the study „Lower Chances of a Healthy Life for LGBTQI* People“ by DIW Berlin, LGBTQIA+ individuals are at significantly higher risk for these types of conditions compared to heterosexual and cisgender people. Psychological support and safe spaces are therefore incredibly important to help cope with these challenges. Fortunately, here in Darmstadt, we are quite well-equipped with our queer center and an LGBTQIA+ representative.

The organization „vielbunt“ provides a safe space as a point of contact for queer people. Since 2017, the queer center run by vielbunt has been located in the Oetinger Villa, offering various services for counseling, mediation, and support for LGBTQIA+ individuals. From my own experience, I know how valuable it is to have a place here in Darmstadt that offers support to queer people, free from prejudice and exclusion. The city of Darmstadt also provides a point of contact for the queer population through an LGBTQIA+ representative. Leon J. Reinel heads this relatively new coordination office, which aims to support the local community’s networking and promote greater acceptance in a diverse urban community.

The road to a truly inclusive society is long and difficult. Continuous efforts are required to break down prejudices and create a climate of acceptance and equality. Political change, education, and awareness play a crucial role in this process. It is the responsibility of each and every one of us to actively fight against disadvantage and exclusion and to stand up for the rights and dignity of all people! Even though we in Darmstadt are not spared from the hostile attitudes of many people, it is reassuring to know that, thanks to various support services and offerings, we have a strong network of helpful and understanding individuals we can turn to in times of need.

Only through encounters, conversations, and collective action—such as participating in demonstrations (e.g., anti-right-wing protests, CSD) and paying attention in our daily lives—can we create a future where no one is discriminated against because of their identity. It is up to all of us to break down barriers and fight for such a better future.

CSD:
The acronym „CSD“ stands for Christopher Street Day. It serves as a day of remembrance and protest for queer people worldwide. Typically, it involves a demonstration parade to fight against discrimination and exclusion. But it is also a time for dancing, laughing, and exchanging experiences with other queer people. The most famous and largest CSD parades in Germany are held annually in Cologne and Berlin.

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