Amerikas Frauen rächen sich
von Marah Göttsch (29.11.2024)
Ein verurteilter Sexualstraftäter besetzt erneut das Amt des US-Präsidenten. Donald Trumps Wahlsieg macht viele Frauen in den USA fassungslos und wütend, unter anderem weil sie befürchten, dass die Abtreibungsregelungen weiter verschärft werden. Einige greifen deshalb zu radikalen Maßnahmen: dem “4B-Movement”.
Hat die feministische Bewegung auch in Deutschland eine Zukunft?
Illustration: Margo Sibel Koneberg
“If you’re a woman in this country, do not have sex”, appeliert ein amerikanischer TikToker an Frauen, die in den USA leben. Wenn du eine Frau in diesem Land bist, hab’ kein Sex. Videos wie diese schwappen nach der US-Wahl über den großen Teich auch auf ForYou-Pages und Timelines deutscher User:innen. Gemeint ist das sogenannte “4B-Movement”, das seine Wurzeln eigentlich in Südkorea hat: bihon, bichulsan, biyeonae, bisekseu. Kein Sex mit Männern, kein Kinderkriegen, keine Dates mit Männern, keine Ehe. Was 2018 als Tweet einer Koreanerin an ihre weiblichen Follower:innen begann, wurde in Südkorea zu einer echten feministischen Bewegung, um sich aus dem “Korsett” der stark patriarchal geprägten Gesellschaft des Landes zu befreien.
Trumps Wahlsieg macht vielen (Frauen) Angst
Vor allem nach den US-Wahlen werden Stimmen, die sich für das 4B-Movement aussprechen, auch unter amerikanischen Frauen lauter – denn sie sind sauer und enttäuscht. Immer wieder sieht man Frauen auf TikTok, die mit den Tränen kämpfen, während sie andere Frauen dazu aufrufen, Männer zu “boykottieren”.
Das Motto: Wer gegen unsere Rechte wählt, den heiraten wir nicht und dessen Kinder tragen wir nicht aus.
Was den Anschein schierer Verzweiflung und Wut macht, ist am Ende des Tages wohl genau das: Denn Amerikas Männer (und Frauen!) wählten Anfang November zum zweiten Mal einen verurteilten Sexualtstraftäter in das “höchste Amt der Welt”. Mit der Ernennung dreier konservativer Richter:innen in den Supreme Court während seiner ersten Amtszeit, sorgte Trump dafür, dass das seit 1973 geltende individuelle Recht auf Abtreibung, “Roe v. Wade”, seit 2022 nicht mehr durch die Verfassung der Vereinigten Staaten geschützt ist.
Auch im diesjährigen Wahlkampf waren Schwangerschaftsabbrüche ein zentrales Thema, mit dem Trump versuchte, Wähler:innen zu rekrutieren – mit Erfolg.
Doch reproduktive Rechte sind mehr als ein Wahlkampf-Gegenstand
Während rechtsextreme Influencer wie Nick Fuentes mit Aussagen wie “Guess what?! Guys win again. And yes, we control your bodies. It’s your body and my choice”, in den sozialen Medien viral gehen, schätzen Forscher:innen wie Amanda Jean Stevenson, dass die sogenannte Müttersterblichkeit mit einem landesweiten Abtreibungsverbot in den USA erheblich in die Höhe steigen würde:
Im ersten Jahr eines totalen Verbots, würden die Todesfälle ihrer Schätzung nach um 7 Prozent steigen, in den Folgejahren um 21 Prozent.
Schwarze Frauen wären von einem vollständigen Abtreibungsverbot am stärksten betroffen, mit einem Anstieg der Todesfälle um 33 Prozent in den Jahren darauf.
Schon jetzt gibt es immer wieder Berichte über Frauen, die wegen der strengen Abtreibungsregelungen in einigen Staaten in den USA an ihren Schwangerschaften sterben. Eine von ihnen war Josseli Barnica, eine Texanerin, die eine Fehlgeburt erlitt und erst nach 40 Stunden den Zugang zu einer Abtreibung erhielt. Laut des “Texas abortion bans” dürfen Ärzt:innen nämlich nur dann eine Abtreibung durchführen, wenn es sich um einen nicht genau definierten “medizinischen Notfall” handelt. Dass die 28-Jährige mit starken Krämpfen und Blutungen zu kämpfen hatte, weil sie offensichtlich eine Fehlgeburt erlitt, wurde wohl als nicht dringlich genug für einen Schwangerschaftsabbruch gesehen – schließlich schlug das Herz ihres ungeborenen Fetuses noch.
Josseli Barnica starb ein paar Tage nach der Behandlung an einer Sepsis, die laut ihrer Autopsie durch Schwangerschaftsreste verursacht wurde.
Es sind Schicksale wie diese, die die Stimmen für ein 4B-Movement in Amerika lauter werden lassen – denn was weitere vier Jahre Trump-Regierung mit der Zukunft des Abtreibungsrechtes machen werden, ist ungewiss.
Wie blicken Frauen in Deutschland auf die Bewegung?
Auch in Deutschland verfolgten viele Menschen mit Sorge den US-Wahlkampf. Nach Trumps Sieg machte sich eine Art Weltschmerz in vielen Instagram-Stories breit: “No woman is free until all women are free”, keine Frau ist frei, solange nicht alle Frauen frei sind, ist nur einer der Posts, der sich mit den ersten Videos über das 4B-Movement mischte. “Ich habe zuerst auf TikTok davon gehört”, berichtet die 24-jährige Jonna aus Darmstadt: “Ich finde den Ansatz gar nicht mal so schlecht.
Denn das ganze Problem ist, wie selbstverständlich es für viele Männer scheint, mit Frauen Sex zu haben und später eine Frau zu heiraten, die für sie Kinder bekommt. Dabei ist da noch die Frau beteiligt, die eine eigene Meinung hat und über ihren Körper entscheiden kann”, findet sie. Doch sie habe auch Videos gesehen, die eher kontraproduktiv sind und Schönheitsideale, die Frauen vom Patriarchat auferlegt werden, reproduzieren: “Eines der ersten Videos, die ich gesehen habe, war von einer Frau, die sich im Zuge des 4B-Movements die Haare abrasiert hat. Das finde ich extrem problematisch, weil damit suggeriert wird, dass alle Frauen, die sich die Haare abrasieren oder wegen einer Krankheit keine haben, nicht attraktiv sind. Das schneidet Frauen in das eigene Fleisch”, findet Jonna.
Könnte die Bewegung auch zu uns nach Deutschland schwappen?
Laut der Bundesregierung sei die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern zwar erreicht, an der tatsächlichen, alltäglichen Gleichstellung arbeite man jedoch noch. So sollen bis 2030 zum Beispiel unbezahlte Pflege- und Hausarbeit anerkannt werden. Aktuell verbringen Frauen laut des statistischen Bundesamtes insgesamt jedoch immer noch durchschnittlich knapp 30 Stunden pro Woche mit unbezahlter Arbeit.
Außerdem soll jede Frau und jedes Mädchen bis 2030 “ungehindert Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und entsprechenden Rechten” haben. Gleichzeitig verbreiten sich in den Medien Bilder eines empörten CDU-Chefs und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, der es “skandalös” findet, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) letzte Woche einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von
Schwangerschaftsabbrüchen unterschrieb, da es sich um ein Thema handele, “das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“.
Judith Rahner, die Geschäftsführerin des deutschen Frauenrats, sagte in einem Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin report München, dass sie sich vorstellen könne, dass die 4B-Bewegung auch in Deutschland Fuß fassen wird. In puncto Gleichstellung habe die Ampel viel zu wenig getan, findet sie. Meret aus Stuttgart sieht eine Erfolgschance für die 4B-Bewegung in Deutschland im Moment noch nicht: “Ich finde die Bewegung ist auf Deutschland oder auch Amerika nicht unbedingt übertragbar. Frauen in Korea haben keine Mittel für einen „normalen“ Protest, sie müssen auf das Extremste zurückgreifen, weil dort die patriarchale Gewalt so weit fortgeschritten ist, dass Frauen dort nur noch als Geburtsmaschinen gesehen werden. Ich hoffe, dass wir es in Deutschland noch nicht nötig haben, auf so radikale Mittel zurückgreifen zu müssen”, sagt die 20-jährige.
English version (automated translation):
America’s Women Are Fighting Back
By Marah Göttsch (29.11.2024)
A convicted sex offender once again occupies the office of the U.S. president. Donald Trump’s electoral victory has left many women in the United States stunned and furious, not least because they fear further tightening of abortion laws. Some are responding with radical measures: the „4B Movement.“
Does the Feminist Movement Have a Future in Germany?
Illustration: Margo Sibel Koneberg
„If you’re a woman in this country, do not have sex,“ urges an American TikToker, addressing women living in the United States. Videos like this have crossed the Atlantic, appearing on the For You pages and timelines of German users after the U.S. election. The reference is to the so-called „4B Movement,“ which has its roots in South Korea: bihon (no marriage), bichulsan (no childbirth), biyeonae (no dating), and bisekseu (no sex with men).
What began in 2018 as a Korean woman’s tweet to her female followers has grown into a real feminist movement in South Korea. Its goal: to break free from the „corset“ of the country’s deeply patriarchal society.
Trump’s Victory Sparks Fear Among Women
After the U.S. elections, voices supporting the 4B Movement have grown louder among American women—driven by anger and disappointment. TikTok is awash with women fighting back tears as they call on others to „boycott“ men.
The message: If you vote against our rights, we won’t marry you or bear your children.
What may seem like sheer desperation and rage is, at its core, just that. In early November, American men (and women!) elected a convicted sex offender to „the highest office in the world“ for the second time. During his first term, Trump appointed three conservative justices to the Supreme Court, paving the way for the 2022 overturning of Roe v. Wade, the 1973 decision that had guaranteed an individual right to abortion under the U.S. Constitution.
Abortion rights were again a central topic in this year’s campaign, which Trump used to recruit voters—with success.
Reproductive Rights Are More Than a Campaign Issue
While far-right influencers like Nick Fuentes go viral with statements like, “Guess what?! Guys win again. And yes, we control your bodies. It’s your body and my choice,” researchers like Amanda Jean Stevenson estimate that a nationwide abortion ban in the U.S. would lead to a significant rise in maternal mortality.
In the first year of such a ban, deaths would increase by 7%, and by 21% in subsequent years. Black women, already disproportionately affected, would see a 33% increase in maternal mortality.
Reports of women dying due to strict abortion laws in some U.S. states are already surfacing. One such case was Josseli Barnica, a Texan woman who miscarried but had to wait 40 hours before being granted access to an abortion. Under Texas abortion laws, doctors can only perform the procedure in cases of a vaguely defined „medical emergency.“ The fact that Barnica was experiencing severe cramps and bleeding from an obvious miscarriage was deemed insufficient grounds for an abortion—after all, her unborn fetus still had a heartbeat.
Josseli Barnica died a few days later from sepsis caused by retained pregnancy tissue, according to her autopsy.
It is tragedies like these that amplify calls for a 4B Movement in America—especially as the future of abortion rights under another four years of Trump remains uncertain.
How Do German Women View the Movement?
Many in Germany followed the U.S. election campaign with concern. After Trump’s victory, a sense of global despair surfaced in countless Instagram stories. „No woman is free until all women are free“ was just one of the posts mixed in with early videos about the 4B Movement.
„I first heard about it on TikTok,“ says Jonna, a 24-year-old from Darmstadt. „I think the approach isn’t bad. The whole problem is how natural it seems to many men that they can have sex with women and later marry one who will have their children. But there’s a woman involved, who has her own opinions and can decide over her own body,“ she says.
However, Jonna also noticed videos that she found counterproductive, reproducing patriarchal beauty standards. „One of the first videos I saw was of a woman shaving her head as part of the 4B Movement. I find that extremely problematic because it suggests that women who shave their heads, or have no hair due to illness, aren’t attractive. It’s self-defeating,“ she argues.
Could the Movement Spread to Germany?
According to the German government, legal equality between men and women has been achieved, but work remains to ensure equality in daily life. For instance, by 2030, unpaid care and domestic work should be acknowledged. Currently, women spend an average of nearly 30 hours a week on unpaid labor, according to the Federal Statistical Office.
Moreover, every woman and girl should have „unrestricted access to sexual and reproductive health and related rights“ by 2030. At the same time, images of an outraged CDU leader Friedrich Merz have circulated in the media. Merz deemed it „scandalous“ that Chancellor Olaf Scholz (SPD) signed a draft law last week to decriminalize abortions. Merz argued that the issue is one of the most polarizing in Germany and risks sparking an „unnecessary social conflict.“
Judith Rahner, managing director of the German Women’s Council, told ARD’s Report München that she could imagine the 4B Movement gaining traction in Germany, criticizing the current government for not doing enough for gender equality.
However, Meret, a 20-year-old from Stuttgart, doubts the movement will find success in Germany anytime soon: „I think the movement isn’t necessarily transferable to Germany or even America. Women in Korea don’t have the means for ‘normal’ protests. They have to resort to extremes because patriarchal violence is so deeply entrenched there that women are seen only as baby machines. I hope we don’t ever reach the point in Germany where we have to turn to such radical measures,“ she says.
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