Allerta, allerta – radikal für die Zukunft: Warum Fridays for Future zurecht radikaler werden muss.
von Lucia Junker
Kommentar
Im März 2019 fand der erste globale Klimastreik von Fridays for Future statt. Über 1,8 Millionen Menschen gingen weltweit protestieren. Schüler:innen streikten die Schule. Zuerst echauffierten sich Politiker:innen, danach lobten sie die Schüler:innen für ihren Mut und dann war Fridays for Future Thema Nummer eins in großen Talkshows. Der Bundestag verabschiedete ein Klimapäckchen, das nach einer Klage durch Klimaaktivist:innen, vom Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig eingestuft wurde. Die Über-18-Jährigen wählten eine neue Regierung und damit auch einen sogenannter „Klimakanzler“. Doch was hat sich geändert? Kein Wahlprogramm hätte das 1,5 Grad-Ziel erreicht und folglich auch kein Koalitionsvertrag. Das Tempolimit wird nicht eingeführt und Atomkraft wird von der EU offiziell als nachhaltig eingestuft. Der Kampf gegen den Klimawandel spitzt sich zu – also das sollte er.
Viele Gen-Zler:innen fühlen sich verarscht! Fast 3 Jahren gingen sie auf die Straße, organisierten Demos und redeten mit Politker:innen. Sie protestierten friedlich. Sicherlich hat Fridays for Future vieles erreicht, doch angesichts der dramatischen Situation sicherlich noch nicht genug. Da kommt also die Frage auf, wie es weitergeht, wenn das alles nicht reicht? Einige Fridays for Future Aktivist:innen riefen in Interviews mit der taz oder der Zeit zu radikaleren Protestformen auf! Oh nein – da ist das böse Wort gefallen: radikal! Driftet Fridays for Future weiter nach links? Spiegel-Kolumnisten fragen sich ernsthaft: „Muss ich befürchten, dass meine Kinder zu Terroristen werden, wenn sie demnächst wieder bei »Fridays for Future« mitgehen?“
August 2021, Frankfurt am Main. Fridays for Future Aktivist:innen blockieren Straßen im Bankenviertel. Währenddessen werden in den Hochhäusern um sie herum zahlreiche Deals abgeschlossen – die Commerzbank investiert in fossile Energien und mehrere Autos mit „Nimm das Greta“-Aufkleber stoßen fleißig Co2 aus, gleichzeitig schürt Christian Lindner in Berlin das Feindbild des Berliner-Lastenrad-Bullerbüs. Und da erdreistet sich Fridays for Future, eine Straße für zwei ganze Stunden lahm zu legen!
Diese Protestform wird “ziviler Ungehorsam” genannt – und Fridays for Future nutzt ihn nicht zum ersten Mal. Der Ursprung der Bewegung, die Schulstreiks, waren ebenfalls ziviler Ungehorsam. Also wieso gilt es jetzt als radikal, sich auf die Straße zu hocken? Die Straßenblockaden nutzte jüngst auch die Klimainitiative „die letzte Generation“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält diese für das falsche Mittel, denn das treffe ja auch die Falschen!
Kevin hat da etwas nicht ganz verstanden. „System change – not climate change“– noch so eine radikale Parole der Terror-Fridays – bedeutet genau das! Wenn der Klimawandel gestoppt werden soll, muss sich das System ändern, also auch unsere tägliche Infrastruktur! Oh nein – da haben wir sie wieder, die Terror-Fridays – sie wollen das System stürzen! Ist das jetzt nicht schon ein Fall für den Verfassungsschutz? Das bringt CDU-Politiker DeVries ins Spiel: „Sollte sich [….] die Ablehnung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie die Akzeptanz von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele weiter verbreiten, könne Fridays for Future ein Fall für den Verfassungsschutz werden.“ Ihr lasst den Terror-Fridays doch keine andere Wahl! Wer mit der Zukunft der Jugend spielt, muss deren Reaktion ertragen. Von teils 14-Jährigen als Terrorist:innen zu sprechen ist hier der fragwürdige Part. Außerdem sind Straßenblockaden durch Schüler:innen noch lange kein Fall für den Verfassungsschutz.
Fridays for Future geht einen Schritt in die richtige Richtung, sie passen sich der Zeit an. Der Klimawandel wartet nicht und außergewöhnliche Zeiten benötigen nun mal außergewöhnliche Maßnahmen. Im letzten Jahr wurde der Klimakrise durch die Coronadebatte Aufmerksamkeit genommen, Fridays for Future muss also umso mehr darum kämpfen, in den Köpfen zu bleiben. In einer globalen Pandemie sind Massendemonstrationen vielleicht nicht mehr die geeignetste Protestform. Die Aktivist:innen müssen also kreativer und auch radikaler werden, denn der Klimawandel wartet nicht. In der Vergangenheit hatte Fridays for Future Erfolg, weil ihre Protestform, der Schulstreik, Aufmerksamkeit erregte. Es ist also nur logisch, dass sie nun überlegen, zu neuen aufmerksamkeitsstarken Mitteln zu greifen. Die Debatten um die „Radikalisierung“ der Klimabewegung versuchen Fridays for Future ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen und sie lenken vom eigentlichen Thema ab: dem Klimawandel. Dem sollten wir unsere Aufmerksamkeit widmen und die Proteste ernst nehmen. Fridays for Future muss nicht nett sein, denn der Klimawandel ist es definitiv nicht!
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