Bangen um den Osthang
Wohin mit Darmstadts Kulturszene?
Von Louisa Albert (11.Dez.2024)
Ein Zollstock wedelt in der Luft, an ihm befestigt ist eine dünne Seite Papier. “OHA bleibt”, ist darauf zu lesen. Mehr braucht es kaum, um zusammenzufassen, um was es den etwa 300 Leuten geht, die sich an diesem Sonntag auf dem Luisenplatz versammelt haben. Der Osthang, ein unkommerzieller Kulturort auf der Darmstädter Mathildenhöhe, zählt seine letzten Tage. Schon lange ist auf dem Gelände hinter dem Hochzeitsturm der Bau eines Infozentrums geplant, nun sind die Pläne konkret und der Osthang soll weichen. Das nennt Steff Fuchs, der vor der versammelten Menge ins Mikrofon spricht, eine “Tragödie”. Er ist Mitglied in der Darmstädter Wählervereinigung „Uffbasse“, die sich schon lange im Stadtparlament für die Erhaltung des Osthangs einsetze. „Es sind Orte wie der Osthang, die eine Stadt lebens- und liebenswert machen“, betont er und nennt den Prozess rund um die Bewerbung der Stadt zum Weltkulturerbe ein “Prestigeprojekt”.
Illustration: Margo Sibel Koneberg
Seit 2021 darf sich Darmstadt Welterbe nennen, doch an diesen Titel sind Bedingungen geknüpft – wie eben die Einrichtung eines Infozentrums, das im Falle eines Neubaus auch mit hohen Kosten verbunden ist. Genau das kritisiert auch Rik Anhalt, der die Demo als Mitglied der Initiative “Osthang bleibt” an diesem sonnigen Wochenende mit organisiert hat. Um die 8 Millionen Euro sollen für das geplante Gebäude ausgegeben werden, Tendenz steigend. Geld, das gespart werden könnte, wenn das Infozentrum einfach in eine der leerstehenden Jugendstilvillen umverlegt würde. Diese seien “wie geschaffen für ein Besucherzentrum”, findet Anhalt. Parteien, die gegen den Erhalt des Geländes als Kulturort gestimmt hätten, verstünden weder die Idee des Jugendstils noch die des Welterbetitels. Dieser solle auch Kultur widerspiegeln und sich der Nachhaltigkeit verschreiben. “Wir fordern: Werdet eurer Verantwortung gerecht“, appelliert Anhalt an die Stadt.
Dass der “fette Neubau” vielen gegen den Strich geht, wird schnell deutlich. Zu wertvoll ist ihnen das Gelände, das seit 2014 einen Ort für verschiedenste Kunstformen und -projekte geboten hat. Entstanden ist der Osthang damals im Rahmen einer internationalen Summer School für experimentelles Bauen – genau 100 Jahre nach der letzten Gesamtausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie. Gelebte Kultur und Geschichte also, die nun zu einem Ende kommen soll. “Wir brauchen den Osthang”, sagt auch Clara, die sich bei Foodsharing Darmstadt engagiert, und fasst damit zusammen, was vermutlich viele der Versammelten denken. Der Osthang ermögliche als moderne Experimentierfläche Begegnungen, die so sonst nicht möglich wären und stelle auch eine wichtige Grünfläche in Darmstadt dar. Unversiegelte Flächen und Bäume seien unverzichtbar für eine Stadt, die sich Klimaneutralität zum Ziel gesetzt hat. Auch Foodsharing Darmstadt veranstaltete auf dem Ortgang Events, genau wie viele andere Organisationen.
Von Flohmärkten, zu Ausstellungen über Workshops bis hin zu Festivals – der Osthang hatte immer viel zu bieten und stellt für viele Darmstädter:innen einen Ort mit besonderem Wert dar. Es überrascht also nicht, dass die von der Initiative “Osthang bleibt” initiierte Petition innerhalb weniger Tage schon mehr als 1800 Unterschriften sammeln konnte. Der Osthang liegt den Menschen am Herzen, das wird auch hier auf der Demo deutlich. Es wird kritisiert, erklärt und gefordert, dann setzt sich die Menge in Bewegung. “Auf zu dem Ort, an dem die Sonne in Darmstadt am allerlängsten scheint”, ruft der vorerst letzte Redner. Die Demo zieht los, es wird Musik gespielt und wer an diesem Nachmittag auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs ist, der kann hören, wie die Leute rufen: “Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns den Osthang klaut.” Am Schloss vorbei geht es Richtung Darmstadtium und bis hoch zur Mathildenhöhe. Dort kommt der Zug zum Stehen und es werden weitere Reden gehalten. Auch Mitglieder:innen des OHA e.V.s kommen zu Wort. An der Organisation der Demo sei der e.V. nicht beteiligt gewesen, trotzdem freue man sich sehr über das Engagement aller Teilnehmenden. Von vielen Seiten wird bedauert und kritisiert, dass der e.V. im gesamten Prozess der Bauplanung nicht miteinbezogen wurde. Trotzdem werde gemeinsam mit der Stadtpolitik versucht, an Lösungen zu arbeiten, erklären zwei Vertreter:innen des e.V.s. Entscheidend sei der Ausgang der Stadtverordnetenversammlung am Dienstag*.
Mittlerweile ist die Sonne fast untergegangen, die Luft ist kalt und die Demo neigt sich dem Ende zu. Aber was wäre eine Osthang-Veranstaltung ohne ein anschließendes Zusammenkommen und so strömen alle im Anschluss auf das Gelände. Eine Band fängt an zu spielen, die Leute tanzen, es wird geredet und gelacht. Trotzdem wird auch jetzt nicht vergessen, aus welchem Grund heute alle hier sind. “Ich komme aus einem Land, das etwas wie hier vielleicht nicht erlauben würde”, sagt Umut, einer der Demo-Teilnehmenden. “Deswegen denke ich, dass es unsere Verantwortung ist, unsere Stimme zu erheben und zu sagen, wenn uns etwas wichtig ist.” Der Osthang sei für ihn ein Ort, an dem man den Kopf frei bekommen könne, ein Ort, der für Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein stehe. Ein paar Meter daneben steht eine weitere Freundesgruppe und unterhält sich. Einer von ihnen ist Jannik. “Ich finde es wichtig, das Ganze in einer Chronologie der Verdrängung und Vertreibung zu betrachten von Kulturräumen und von linken Räumen“, betont er und spielt damit auch auf die Kündigung der Proberäume der “Alten Glasbläserei” an. Über 20 Bands verloren im vergangenen Jahr ihren Treffpunkt neben dem Darmstädter Müllheizkraftwerk, ein alternatives Gebäude wurde nicht zur Verfügung gestellt. Auch dem Osthang droht nun ein ähnliches Schicksal.
Dass der Bedarf nach einem unkommerziellen kulturellen Treffpunkt in Darmstadt vorhanden ist, haben die letzten zehn Jahre gezeigt. Wo dieser Treffpunkt in Zukunft seinen Standort haben wird, ist unklar, doch eines haben das Engagement der zahlreichen Freiwilligen, die gesammelten Unterschriften und die 300 Teilnehmenden der Demonstration deutlich gemacht: Die Idee des Osthangs wird weiterleben. OHA bleibt. Und wenn schon nicht am Osthang selbst, dann zumindest in den Herzen all derer, die hier in den letzten Jahren Erinnerungen geschaffen haben.
*Anmerkung der Redaktion: Der Antrag “Neuer Ort für den OHA e.V.” der Darmstädter Linksfraktion wurde bei der Stadtverordnetenversammlung am 10.12.2024 abgelehnt. Eine Garantie für ein alternatives Gelände bleibt so also weiterhin nicht gegeben, trotzdem hört die Suche nach Lösungen nicht auf. Eine der diskutierten Möglichkeiten ist beispielsweise die Bereitstellung eines Grundstücks im Fördergebiet Pallaswiesenviertel/ Mornewegviertel (PaMo).
English version (automated translation):
Fearing for the osthang
Where Will Darmstadt’s Cultural Scene Go?
By Louisa Albert (11.Dez.2024)
A measuring tape waves in the air, with a thin piece of paper attached. „OHA stays,“ it reads. That’s all it takes to summarize what matters to the roughly 300 people gathered on Darmstadt’s Luisenplatz this Sunday. The Osthang, a non-commercial cultural venue on Darmstadt’s Mathildenhöhe, is counting its final days. Plans for an information center on the site behind the Hochzeitsturm have long been in the works. Now they are becoming concrete, and the Osthang is set to make way. Steff Fuchs, speaking into the microphone before the gathered crowd, calls this a „tragedy.“ Fuchs is a member of Darmstadt’s „Uffbasse“ voters‘ association, which has long advocated for preserving the Osthang in the city parliament. „It’s places like the Osthang that make a city livable and lovable,“ he emphasizes, describing Darmstadt’s application for UNESCO World Heritage status as a „prestige project.“
Illustration: Margo Sibel Koneberg
Darmstadt earned the World Heritage title in 2021, but the designation comes with conditions—including the establishment of an information center, which would involve high costs if a new building is constructed. Rik Anhalt, a member of the „Osthang bleibt“ initiative and co-organizer of this weekend’s sunny demonstration, criticizes these costs. The planned building is expected to cost around 8 million euros, with estimates rising. „This money could be saved if the information center were simply relocated to one of the vacant Jugendstil villas,“ Anhalt argues. These villas, he says, are „perfectly suited for a visitor center.“ He claims that parties opposing the Osthang’s preservation as a cultural venue „neither understand the concept of Jugendstil nor the spirit of the World Heritage title.“ The title should reflect culture and a commitment to sustainability. „We demand that you take responsibility,“ Anhalt appeals to the city.
It quickly becomes clear that the „massive new construction“ rubs many the wrong way. The site is simply too valuable for the community. Since 2014, it has provided space for diverse art forms and projects. The Osthang was born from an international summer school on experimental building—exactly 100 years after the last major exhibition of the Darmstadt Artists’ Colony. It’s a living piece of culture and history that now faces an end. „We need the Osthang,“ says Clara, who volunteers with Foodsharing Darmstadt. Her sentiment likely reflects the thoughts of many in the crowd. The Osthang serves as a modern experimental space enabling encounters that would otherwise be impossible. It also represents an important green space in Darmstadt. Unsealed areas and trees are essential for a city aiming to achieve climate neutrality. Like many other organizations, Foodsharing Darmstadt has held events at the Osthang.
From flea markets and exhibitions to workshops and festivals, the Osthang has always had much to offer. For many Darmstadt residents, it’s a place of special significance. Unsurprisingly, a petition initiated by the „Osthang bleibt“ initiative has already gathered more than 1,800 signatures within days. The Osthang clearly holds a place in people’s hearts, as evidenced at this demonstration. After speeches filled with criticism, explanations, and demands, the crowd begins to move. „Let’s head to the place where the sun shines the longest in Darmstadt,“ the final speaker calls out. The demonstration marches onward, with music playing. Those strolling through the Christmas market can hear the chants: „We are here, we are loud, because you’re stealing the Osthang from us!“ The march passes the castle, heads toward the Darmstadtium, and finally climbs up to the Mathildenhöhe. There, the crowd stops, and more speeches are made. Members of the OHA e.V. also speak.
Although the association wasn’t involved in organizing the demonstration, they express gratitude for the participants’ engagement. Many lament and criticize that OHA was excluded from the entire building planning process. Nonetheless, they explain that efforts are being made alongside local politicians to find solutions. „The outcome of Tuesday’s city council meeting will be decisive,“ the association representatives note.
As the sun sets and the air turns cold, the demonstration comes to an end. But what would an Osthang event be without a gathering afterward? People flock to the site, where a band begins to play. Dancing, chatting, and laughter ensue, though the reason for the gathering is not forgotten. „I come from a country where something like this might not even be allowed,“ says Umut, one of the demonstrators. „That’s why I think it’s our responsibility to speak up when something is important to us.“ For him, the Osthang is a place to clear his mind—a site representing sustainability and responsibility. A few meters away, another group of friends is talking. One of them, Jannik, shares his thoughts: „It’s important to view this as part of a broader pattern of displacement and eviction of cultural and leftist spaces.“ He also references the eviction of the rehearsal spaces at the “Old Glassblowing Workshop,” where over 20 bands lost their meeting place last year without being provided an alternative. Now, the Osthang faces a similar fate.
The past ten years have shown that Darmstadt needs a non-commercial cultural meeting point. Where that space will be in the future remains uncertain. However, one thing is clear from the dedication of the volunteers, the signatures collected, and the 300 demonstrators: the idea of the Osthang will live on. „OHA stays.“ If not at the Osthang itself, then at least in the hearts of those who have created memories there over the years.
Editor’s Note: The Darmstadt Left Party’s motion, „New Location for OHA e.V.“, was rejected during the city council meeting on December 10, 2024. There is still no guarantee of an alternative site, but the search for solutions continues. One option being discussed is providing land in the Pallaswiesenviertel/Mornewegviertel development area (PaMo).
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