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„Da hätte ich schon rennen sollen“ – Marie über ihre toxische Beziehung

von Sarah Wagner-Borst (10.07.2024)

Bildquelle: ChatGPT

„Eine toxische Beziehung ist für mich wie in einem Spaßhaus zu sein: Irgendwie gibt es Stellen, bei denen man am liebsten alles vollkotzen will oder Angst hat, irgendwo durchzugehen. Das Komische ist, dass es natürlich manchmal Spaß gemacht hat und nicht alles scheiße war, aber man war halt trotzdem gefangen. Wenn man am Ende alles gepackt hat, ist einem noch ein bisschen schlecht, aber plötzlich ist alles irgendwie ruhig gewesen, als hätte jemand endlich auf Pause gedrückt. Toxisch war für mich, alles für diese Person über Bord zu werfen, was mir mal wichtig war, und das, was mich als Person ausgemacht hat, einfach fallen zu lassen. Ich habe mich komplett von ihm formen lassen, egal was er wollte, und ich glaube, das verlangt eine nicht-toxische Person von einem nicht.“

Das sind die Worte von Marie, sie ist 21 Jahre alt und studiert zur Zeit Soziale Arbeit in Darmstadt. Vor fünf Jahren war sie in einer toxischen Beziehung gefangen, Mitte 2021 trennte sie sich von ihrem Ex-Freund. Zu Beginn ihrer Beziehung war Marie gerade mal 16 Jahre, ihr damaliger Freund 25 Jahre alt – fast neun Jahre Altersunterschied. Marie beschreibt ihre damalige Beziehung als „abhängig“ und „ungesund“, vor allem hatte sie aber auch Angst. Angst vor dem Ungewissen, Angst vor der Unberechenbarkeit ihres Ex-Freundes. Angst davor, mal wieder im Zimmer eingesperrt zu werden. Angst davor, dass er ihr Handy durchsucht und irgendetwas findet, was ihm nicht gefällt. Es war vor allem „anstrengend“, „nervenaufreibend“ und „beschissen“. Ein weiteres Gefühl, das die junge Frau beschreibt, ist das Gefühl von Müdigkeit, immer wachsam und vor Kummer nie ausgeschlafen zu sein.

Sie erzählt, vor ein paar Jahren hätte man, wenn sie über „damals“ redete, noch die Angst in ihren Augen sehen können, aber heute ist das anders. Heute sitzt sie selbstbewusst und stark vor mir. Mit einer klaren und festen Stimme erzählt Marie ihre Geschichte: „Ich glaube, ich war in einer toxischen Beziehung, weil ich alles von mir weggedrückt habe. Ich dachte, mir könnte das gar nicht passieren und er sei gar nicht so toxisch, sondern einfach nur ein bisschen kaputt. Ich dachte, ich müsste ihn heilen oder ihm wenigstens helfen, für ihn da sein. Ich glaube aber, ich habe kein Helfersyndrom, sondern wollte einfach an dem festhalten, was am Anfang dieser Beziehung schön war.“

Marie erzählt von ihrer Kennenlerngeschichte: „Wir haben uns auf einer Kerb kennengelernt und dann haben wir irgendwie über Snapchat ein Date ausgemacht. Er hat aber von Anfang gesagt, dass er niemals mit mir zusammen sein könnte, weil ich viel zu jung sei. Und dass er mit sich ringen musste, mich anzuschreiben, weil er sich selbst so eklig dabei fand, eine so viel Jüngere anzuschreiben, aber einfach nicht anders konnte. Dann hat er sich auf meinem Handy als ‚Meister und Herrscher‘ eingespeichert. Da hätte ich schon rennen sollen.“

Die Studentin erklärt, dass am Anfang noch alles normal schien. Sie durfte „sogar“ noch feiern gehen. Ihrem Ex wäre es egal gewesen, mit wem sie dort gewesen sei, er hätte lediglich wissen wollen, wie sie nach Hause komme. Nach und nach schlichen sich dann jedoch Verhaltensweisen wie Kontrollzwang und Verbote ein. Diese Verbote wurden aber nie konkret ausgesprochen. Stattdessen habe er immer gedroht: „Wenn du A und B machst, bist du eine Hure.“ „Mit 17 Jahren“, erinnert sich Marie, „ sind wir zusammengezogen, dann ging es eigentlich erst richtig los.“

Zu Beginn will Marie, ihren Freund:innen und ihrer Familie nichts erzählen. Sie erklärt, sie habe sich für das Verhalten ihres Ex-Freundes geschämt. Sie wollte ihn nicht in ein schlechtes Licht stellen. Natürlich habe sie die Beziehung immer wieder hinterfragt, aber sie sei trotzdem geblieben. „Er wollte nicht, dass ich mir ein Tattoo stechen lasse und hat gesagt, es sei dreckig und ich würde dann aussehen wie eine Assi-Bratze. Obwohl er in der Vergangenheit selbst überlegt hatte, sich seinen kompletten Arm voll zu tätowieren. Irgendwas hat in mir dann einfach Klick gemacht und auf einmal ging alles ganz schnell. Zu der Zeit war ich noch in der Schule und habe eine Woche später mit Freundinnen darüber geredet. Mein Physiklehrer bekam unser Gespräch mit und hat nach der Stunde mit mir darüber geredet. Am gleichen Tag noch bin ich ausgezogen.“ Während die Studentin über ihre Trennung berichtet, rollt eine kleine Träne ihre Wange herunter. Im gleichen Moment wischt sie diese sacht mit ihrer Hand weg und lächelt ein wenig.

Eines der ersten Dinge, die Marie nach der Trennung tat, war das Stechen eines Tattoos. Heute trägt sie den Engel mit Stolz unter ihrer Haut. Auch wenn sie sich das Motiv heute so nicht mehr stechen lassen würde, gibt der Engel ihr viel Kraft.

Anders als es oftmals scheint, war nach der Trennung das Schlimmste noch nicht vorbei. Das Gefühl, ständig verfolgt zu werden, begleitete Marie sehr lange. Dieses Gefühl wurde durch das andauernde Auftauchen des Ex-Freundes verstärkt. Durch den Versuch, sie immer wieder zu kontaktieren, egal wie, über Freunde oder auf ihrer Arbeit. Auch ihre eigene Entwicklung fiel Marie besonders schwer: „Diese toxischen Eigenschaften, die man selbst von so einer Person annimmt. Erst als Verteidigung und dann sind sie irgendwie drin. Das erst mal zu erkennen und dann zu ändern. Solche Verhaltensmuster sich wieder abzugewöhnen, war hardcore.“

Eines dieser Verhaltensmuster sei zum Beispiel das Thema Streit gewesen. „Das erst mal wieder respektvoll hinzukriegen, zu streiten, war einfach nur krass. Ich habe am Anfang gar nicht gecheckt, warum mein neuer Freund mich nicht anschreit oder beleidigt. Dann habe ich es meistens bei Leuten so weit provoziert, dass ich am Ende die Reaktion bekommen habe, die ich gewohnt war, also einfach nur asozial.“ Marie erzählt, dass sie auch heute noch manchmal Probleme damit habe, es aber schon viel besser geworden sei. Es sei einfach ein langwieriger Prozess, diese Angewohnheiten, die ihr damals geholfen haben, zu „überleben“, irgendwann abzulegen.

Ein wichtiger Anker in der Zeit nach der Trennung war vor allem ihre Familie. Ohne die hätte sie das niemals hinbekommen. Besonders wichtig sei es außerdem gewesen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und die Augen nicht weiterhin zu verschließen.

Im Januar 2022 lernte Marie ihren neuen Freund kennen. Sie nickt mit voller Sicherheit, während sie über ihn spricht: „Top, die Wette gilt.“ Im März dieses Jahres sind die beiden zusammengezogen. Wenn man in ihre neue Wohnung kommt, hängt an einem Spiegel ein Brief von ihren Großeltern, den sie ihr zum Einzug gegeben haben. Die glückliche Studentin liest strahlend vor: „Zuhause ist ein Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit, das Zuhause ist dort, wo man sich geborgen fühlt.“

„Ich glaube, ich habe mein Zuhause gefunden“, fügt sie nach einer kleinen Pause hinzu und grinst.

English version (automated translation):

„I should have run by then“ – Marie on her toxic relationship

by Sarah Wagner-Borst (10.07.2024)

image source: chatGPT

„For me, a toxic relationship is like being in a fun house: Somehow there are parts where you want to puke all over everything or you’re afraid of going through somewhere. The funny thing is that sometimes it was fun and not everything sucked, but you were still trapped. When you’ve packed everything in at the end, you still feel a bit sick, but suddenly everything was somehow calm, as if someone had finally pressed pause. It was toxic for me to throw everything that used to be important to me overboard for this person and simply let go of what made me who I was. I let him mold me completely, no matter what he wanted, and I don’t think that’s what a non-toxic person asks of you.“

These are the words of Marie, who is 21 years old and is currently studying social work in Darmstadt. Five years ago, she was trapped in a toxic relationship and split up with her ex-boyfriend in mid-2021. At the beginning of their relationship, Marie was just 16 years old and her boyfriend at the time was 25 – almost nine years of age difference. Marie describes her relationship at the time as „dependent“ and „unhealthy“, but above all she was afraid. Fear of the unknown, fear of her ex-boyfriend’s unpredictability. Fear of being locked in her room again. Afraid that he would go through her cell phone and find something he didn’t like. Above all, it was „exhausting“, „nerve-wracking“ and „shitty“. Another feeling that the young woman describes is the feeling of tiredness, of always being alert and never being able to get a good night’s sleep.

She says that a few years ago, when she talked about „back then“, you could still see the fear in her eyes, but today it’s different. Today she sits in front of me, confident and strong. Marie tells her story in a clear and firm voice: „I think I was in a toxic relationship because I pushed everything away from me. I thought it couldn’t happen to me and that he wasn’t so toxic, just a bit broken. I thought I had to heal him or at least help him, be there for him. But I don’t think I have helper syndrome, I just wanted to hold on to what was nice at the beginning of the relationship.“

Marie tells the story of how she got to know him: „We met at a funfair and then we somehow arranged a date via Snapchat. But he said from the start that he could never be with me because I was far too young. And that he had to wrestle with himself to write to me because he found it so disgusting to write to someone so much younger, but just couldn’t help himself. Then he saved himself as ‚master and ruler‘ on my cell phone. I should have run by then.“

The student explains that everything seemed normal at the beginning. She was „even“ allowed to go out partying. Her ex didn’t care who she was there with, he just wanted to know how she got home. Gradually, however, behaviors such as obsessive control and prohibitions crept in. However, these prohibitions were never actually enforced. Instead, he always threatened: „If you do A and B, you’re a whore.“ „When we were 17,“ Marie remembers, „we moved in together and that’s when it really started.“

At the beginning, Marie doesn’t want to tell her friends or family anything. She explains that she was ashamed of her ex-boyfriend’s behavior. She didn’t want to put him in a bad light. Of course, she kept questioning the relationship, but she stayed anyway. „He didn’t want me to get a tattoo and said it was dirty and would make me look like an asshole. Although he had considered getting a tattoo on his entire arm in the past. Something just clicked inside me and suddenly everything happened very quickly. I was still at school at the time and talked about it with friends a week later. My physics teacher overheard our conversation and talked to me about it after the lesson. I moved out the same day.“ As the student talks about her break-up, a small tear rolls down her cheek. At the same time, she gently wipes it away with her hand and smiles a little.

One of the first things Marie did after the break-up was to get a tattoo. Today, she wears the angel proudly under her skin. Even if she wouldn’t have the motif engraved today, the angel gives her a lot of strength.

Contrary to what it often seems, the worst was not over after the break-up. The feeling of being constantly pursued accompanied Marie for a very long time. This feeling was intensified by the constant appearance of her ex-boyfriend. By trying to contact her again and again, no matter how, through friends or at work. Marie also found her own development particularly difficult: „These toxic characteristics that you take on from a person like that. First as a defense and then they’re somehow inside. First recognizing that and then changing it. Getting rid of these patterns of behavior was hardcore.“

One of these behavioral patterns, for example, was arguing. „First of all, getting back to arguing respectfully was just crass. At the beginning, I didn’t even realize why my new boyfriend wasn’t shouting at me or insulting me. Then I usually provoked people to the point where I ended up getting the reaction I was used to, which was just antisocial.“ Marie says that she still has problems with it sometimes, but that it has gotten a lot better. It was simply a lengthy process to eventually get rid of these habits that helped her to „survive“ back then.

Her family was an important anchor in the time after the separation. She would never have managed without them. It was also particularly important to come to terms with herself and not continue to close her eyes.

Marie met her new boyfriend in January 2022. She nods with complete certainty as she talks about him: „Top, the bet is on.“ The two moved in together in March of this year. When you enter her new apartment, there is a letter from her grandparents hanging on a mirror, which they gave her when she moved in. The happy student reads it aloud, beaming: „Home is a feeling of freedom and contentment, home is where you feel safe and secure.“

„I think I’ve found my home,“ she adds after a short pause and grins.

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