Das Leben mit Kopftuch
von Sila Selin Noyan
Ob auf der Straße, in der Bahn oder auch im Supermarkt: überall muss Aylin A. mit Rassismus leben. Aylin A. ist 21 Jahre alt und studiert Psychologie. Sie selbst ist hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, mit 16 Jahren hat sie sich dazu entschieden, ein Kopftuch zu tragen. Seitdem hat sich das Leben der 21-Jährigen in vielerlei Hinsicht verändert und sie steht oft vor neuen Herausforderungen. In einem Interview erzählt Aylin A. über ihr Leben mit einem Kopftuch in Deutschland.
Wann haben Sie sich dazu entschieden, das Kopftuch zu tragen?
Ich habe mit 16 Jahren angefangen, ein Kopftuch zu tragen. Der Wandel kam natürlich nicht von einem Tag auf den anderen. Das war vielmehr ein längerer Prozess. Ich war schon immer ein gläubiger Mensch, beziehungsweise war der Glaube immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Mir wurde von Kind auf die Religion beigebracht und mit der Zeit habe ich mich immer mehr mit meiner Religion auseinandergesetzt. Je mehr ich das getan habe, desto mehr hat sie mir gefallen und ich habe angefangen, sie zu praktizieren. Irgendwann kam dann der Wunsch nach dem Kopftuch und den habe ich dann auch in der zehnten Klasse umgesetzt.
Wie hat Ihre Umgebung darauf reagiert?
Meine Umgebung hat sehr gemischt reagiert. Es gab sehr viele positive und auch negative Reaktionen. Meine Familie zum Beispiel hat im ersten Moment Widerstand gezeigt, allerdings nicht, weil sie dagegen waren, sondern weil sie Angst um mich hatten. Mit dem Kopftuch kommen nämlich täglich neue Herausforderungen, die man vorher so nicht hatte.
Eine andere Reaktion, die ich niemals vergessen werde, ist die von einem ehemaligen Mitschüler: Als ich am ersten Tag mit dem Kopftuch in der Schule war, kam mein Mitschüler etwas später in den Unterricht. Als er durch die Tür kam, hat er mich erstmal zwei bis drei Minuten angestarrt und hat sich dann wie immer neben mich gesetzt. Auf seinem Platz hat er dann zu mir gesagt: “Wenn du uns heute in die Luft sprengen möchtest, dann lass mich doch überleben”. Das war eines meiner ersten Erlebnisse mit dem Kopftuch und ab dann war mir klar: Das ist jetzt die Realität.
Hatten Sie durch das Kopftuch konkrete Nachteile, zum Beispiel in der beruflichen Laufbahn?
Durch die überdurchschnittlich häufigen Diskriminierungen von Personen mit Kopftuch am Arbeitsplatz merkt man natürlich sehr stark, welche Nachteile das Tragen eines Kopftuchs mit sich bringt. Kommentare wie, dass ich nicht ins Bewerberprofil passen würde, obwohl ich alle Kriterien erfülle, habe ich bei Bewerbungen auch schon sehr oft gehört. Als ich mein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Schule absolvieren wollte, war mein Kopftuch auch wieder ein Problem, da die Kinder angeblich meine Mimik und Gestik durch meinen bedeckten Hals nicht erkennen könnten. Da stellt sich für mich wieder die Frage: Wie schränkt die Bedeckung von meinem Hals meine Mimik im Gesicht ein?
Diese Erlebnisse sind nur ein kleiner Teil von den vielen Situationen, in denen ich durch mein Kopftuch benachteiligt wurde. Manchmal wird das offen artikuliert und gesagt, dass es an meinem Kopftuch liegen würde, aber oft kann man sich das auch einfach denken.
Wie nehmen Sie den Rassismus wahr?
Es besteht bis heute noch Alltagsrassismus. Täglich kriege ich immer sehr viele Blicke zugeworfen und habe oft das Gefühl, von Grund auf nicht wirklich ernst genommen oder auch ignoriert zu werden. Oft frage ich mich dann: Liegt das jetzt an meinem Kopftuch oder haben die Menschen einfach nur einen schlechten Tag? Gerade, weil man so geprägt ist, dass die Gesellschaft auf einen so negativ blickt, entsteht teilweise schon automatisch eine verzerrte Wahrnehmung. Letztendlich ist es trotzdem ein Fakt, dass es nicht nur die eigene Wahrnehmung ist, sondern dass rassistische Bemerkungen auch wirklich Realität sind.
Sowas wird dann oft durch verbale Erlebnisse deutlich. Kommentare von Lehrkräften oder auch Bemerkungen auf der Straße kommen täglich vor. In der Schule kam beispielsweise mal ein Lehrer auf mich zu und hat gefragt, seit wann ich mich so kleiden würde und dass ich ihm doch vorher besser gefallen hätte. Ein anderes Beispiel: Eine Freundin und ich, beide mit Kopftuch, waren am Flughafen in Italien. Da kam ein Mann und hat eine Sicherheitskraft angesprochen und auf einen alleinstehenden Koffer in der Ecke gezeigt. Daraufhin wurde auf uns gezeigt und darum gebeten, man solle den Koffer mal kontrollieren. Das war ein auffälliger Vorwurf, dass die Angst besteht, dass wir als einzige Kopftuch tragenden Menschen alles in die Luft jagen könnten.
Wie fühlen Sie sich dabei?
Diese ganzen Erlebnisse sind teilweise nur Kleinigkeiten, die sich mit der Zeit auf jeden Fall häufen. Die Angst, dauerhaft durch mein Kopftuch stereotypisiert zu werden, verfolgt mich natürlich auch. Solche Bemerkungen verletzen einen sehr, denn woher nehmen sich diese Menschen das Recht, mir solche Vorurteile an den Kopf zu werfen? Dadurch kommt man dann irgendwann an einen Punkt, an dem man wirklich glaubt: Ich gehöre nicht dazu, ich bin anders.
Hierbei hilft mir das Reflektieren sehr, denn in der Situation selbst kann man solche negativen Bemerkungen oft nicht registrieren. Diese Reaktion entsteht oft durch den Schock und man möchte aus solchen Situationen einfach nur flüchten. Deshalb habe ich auch angefangen, meine rassistischen Erlebnisse zu verschriftlichen. Ich habe nämlich Angst, dass ich sonst diese Erfahrungen vergesse oder auch verdränge. Denn es ist mir sehr wichtig, mich selbst daran zu erinnern, dass mich diese Bemerkungen verletzt haben und ich möchte auch andere darauf aufmerksam machen.
Nicht alles ist offener Rassismus, vieles läuft unbewusst oder ist „gut gemeint“. Erleben Sie das häufiger?
Ja, solche “gut gemeinten” Kommentare kommen sehr oft vor. Bemerkungen wie “Du sprichst ja sehr gut Deutsch”, ist mit einer der Standardkommentare in meinem Leben. Wo sich für mich dann auch wieder die Frage stellt: Wieso sollte mein Deutsch nicht gut sein, ich bin hier geboren und aufgewachsen? Auch wenn das alles nur gut gemeint ist, geben sie mir wieder das Gefühl, nicht dazuzugehören, obwohl ich nie das Gefühl hatte, anders zu sein.
Was muss man Ihrer Meinung nach noch in der Gesellschaft machen, um diesen Rassismus zu minimieren?
Der Rassismus wird niemals aufhören, aber ich glaube, durch gesellschaftliche Veränderungen wird es irgendwann einfacher, das Problem zu benennen und darauf aufmerksam zu machen.
Zudem wird das Thema in den Schulen immer noch zu wenig behandelt. Das ist gerade so wichtig, da man schon in der Schule damit konfrontiert wird. Auch Lehrkräfte sollten dazu noch mehr aufgeklärt werden, wie man mit dem Thema umgeht und auch den Rassismus historisch im Unterricht behandeln. Das ist natürlich nicht die einzige Lösung, aber es ist auf jeden Fall ein wichtiger Teil davon.
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Der Artikel ist sehr interessant und auch sehr flüssig und einfach zum Lesen. Das Thema sollte viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Danke für den Beitrag! Bitte mehr!
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