“Hab‘ wieder gelernt, mich selbst zu lieben”
von Emilie Bitsch
Borderline ist eine schwere psychische Erkrankung, die ernst genommen und professionell behandelt werden muss. In Deutschland leiden etwa 3% der Bevölkerung an Borderline. Dabei sind Frauen doppelt so oft betroffen als Männer. Lena Stark, gerade 18 Jahre alt geworden, musste aufgrund ihrer Krankheit die Schule abbrechen. Borderline wurde bei ihr, im Gegensatz zu vielen anderen, früh diagnostiziert. Heute kann sie offen darüber reden, wie sie sich während den letzten Jahren gefühlt hat.
Illustration: Karoline Hummel
Borderline ist eine komplexe Krankheit. Viele stempeln sie als etwas Schlechtes ab. Wie würdest du für dich selbst Borderline erklären?
Ich glaube, dass jeder, der Borderline hat, anders darauf antwortet. Bei mir ist es so, dass ich das gar nicht so negativ sehe. Auch nur dadurch, weil ich’s schon unter Kontrolle habe. Ich finde, dass man böse oder gemein ist, stimmt auf der einen Seite. Wenn man eine Episode hat, dann weiß man nicht mehr so richtig, was man macht. Du fühlst alles stärker als andere Leute und es ist alles extremer für dich. Du kommst viel viel schwerer über Sachen, die dir passiert sind, hinweg. Aber genauso schnell und hart wie es kommt, geht es auch wieder. Borderline ist für mich einfach etwas, bei dem du dich mit deinen Gefühlen viel mehr auseinandersetzen musst als andere.
Was ist für dich eine Episode?
Das ist meistens, wenn ich halt getriggert werde durch irgendwelche Streitereien. Das kann auch mal ganz random kommen. Wenn mich am Tag Leute nerven oder irgendwas zu mir sagen, was mir in dem Moment einfach nicht passt, dann kann ich das noch runterschlucken. Innerlich staut sich das dann aber an. Bis dann irgendein Punkt kommt, der dann ist, wie ein roter Faden, der reißt. Es wird verschwommen im Kopf, du nimmst die Umgebung nicht mehr richtig wahr. Du weißt nicht mehr, was du sagst. Du sagst nur das Schlimmste und du wirst aggressiv. Das hast du in dem Moment nicht mehr unter Kontrolle und du wirst auch risikofreudiger. Wenn du mal sauer bist, haust du mal irgendwo gegen und du spürst es nicht. Es ist einfach wie, als würdest du neben dir stehen und dich angucken. Man merkt dann erst, was man eigentlich abgezogen hat, wenn es abgeklungen ist. Oder man kann sich nicht mehr an alles erinnern. Nur von Erzählungen und dann fragt man sich “Ja was war mit mir los”. Du bist halt wie ein anderer Mensch, wenn du in so einer Episode bist.
Du weißt nicht, seit wann du das hast. Könntest du trotzdem einen Zeitpunkt nennen, wo du bemerkt hast, dass irgendwas ist?
So richtig gemerkt habe ich es mit 14. Ich muss sagen, dass ich sicher bin, dass es angefangen hat, als ich Alkohol getrunken habe. Wenn du Alkohol trinkst, dann wird das alles noch extremer. Wenn du dann getriggert wirst, dann ist es das Schlimmste auf der Welt, weil es das nochmal verstärkt. Aber meine Eltern haben mir gesagt, dass es denen schon im Kindesalter bei mir aufgefallen ist. Die dachten aber damals, dass es nur kindlicher Zorn ist. Ich habe mich aber erst beruhigt, als ich mir in die Haut gekniffen habe und das ist eigentlich nicht normal. Also ich habe schon immer ‘ne ganz kurze Reißleine gehabt. Ich hatte schon frühe Anzeichen. Deswegen kann’s auch sein, dass ich’s einfach von Geburt an hab und das gar nicht wirklich durch irgendwas ausgelöst wurde. Ich hab’ kein Trauma – wahrscheinlich – aber es kann auch sein, dass es vererbbar ist.
Wie stark beeinflusst dich das im Alltag?
Ich muss sagen, damals, als es noch stärker war, hat mich das sehr beeinträchtigt. Da lag’s auch daran, dass ich gleichzeitig Depressionen hatte. Ich bin morgens wegen Depressionen nicht aus dem Bett gekommen. Als ich aber dann aufgestanden bin, wurde ich wütend wegen dem Borderline. Von Zeit zu Zeit hat es sich so ergeben, dass ich immer mehr Fehltage hatte. Meine Eltern wussten es da noch nicht. Ich hab’ irgendwann mal mit ihnen geredet und wir sind zum Arzt gegangen. Der meinte auch, dass es besser ist, wenn ich erstmal nicht in die Schule gehe. Vor allem hatte ich dort Blackouts. Du sitzt dann da und spürst deine Hände nicht mehr, es ist alles verschwommen und dir wird schwarz vor Augen. Das hatte ich ganz oft, weil ich mich nicht konzentrieren konnte und so viel in meinem Kopf war. Es hat mich auch beeinflusst, wenn ich unterwegs mit Freunden war und irgendwas passiert ist, was mich getriggert hat. Aber sonst gerade in den Momenten, wo man es unter Kontrolle hat, beeinträchtigt es einen nicht wirklich. Du merkst schon, dass es irgendwo da ist, weil es Schübe gibt, aber die sind halt viel schwächer. Mittlerweile kann ich einschätzen, wann es passiert.
Du redest, egal mit wem, sehr offen über deine Krankheit. Warum machst du das?
Weil ich auf viele Menschen getroffen bin, die davon so ein richtig schlimmes Bild haben. Erstens will ich, dass die Leute das ein bisschen sanfter sehen und mehr Einsicht zeigen. Zweitens erwarte ich auch, wenn man mich kennt, dass man mich so mag wie ich bin und dass man damit umgehen kann. Dass man irgendwie eine Beziehung schafft, in der sowas ein offenes Thema ist und keins für was man sich schämen müsste. Ich werde damit offen umgehen, weil wenn das jemand nicht akzeptiert, dann ist es für mich von Anfang an einfach nichts. Lieber weiß ich es direkt, als dass es mit der Zeit rauskommt und unnötig eine Beziehung aufgebaut wurde. Sowas will ich vermeiden, weil das wiederum wieder ein Triggerpunkt wäre.
Wie geht’s dir jetzt?
Gerade geht’s mir echt sehr gut. Es hat sich vieles geändert im letzten halben Jahr. Ich hab’ in der Zeit, wo ich in der Tagesklinik war, so richtig zu mir gefunden. Hab‘ wieder gelernt, mich selbst zu lieben, hab wieder gelernt, mehr auf mich zu achten, weil wenn du in deiner Borderline drin bist, dann vernachlässigst du dich selbst. Du bist dann bei deinen Triggerpunkten gefangen und beschäftigst dich nur damit, aber nicht mit dir selbst. Zu Hause ist alles super, meine Eltern können mittlerweile gut damit umgehen, mein Freund und meine Freunde auch, also mittlerweile hat sich alles gelegt und es ist alles auch auf einem guten Weg. Und ich hoffe mal, dass es so bleibt.
Illustration: Karoline Hummel
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