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Niki de Saint Phalle

von Maike Dorn

Hinter moderner Kunst steht heutzutage nicht selten eine durchscheinende, feministische Grundmotivation. Die Frauenbewegung ist nicht nur am internationalen Frauentag am 8. März oder generell im feministischen März ein großes gesellschaftliches Thema – Feminismus ist allgegenwärtig. Bewundernswert sind jedoch besonders die Frauen, die den Grundstein dafür gelegt haben. Lange genug gehörte die Kunstwelt zu den männerdominierten Gebieten. Einzug in die Kunst hielt der Feminismus in den 1960er Jahren. Mit unkonventionellen Techniken und häufig viel Wut stellten mutige Künstlerinnen ihr Bild von Weiblichkeit in den Mittelpunkt. Niki de Saint Phalle ist eine von ihnen.

Bekannt ist die französisch-amerikanische Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930–2002) für ihre “Nanas” – große und bunte Skulpturen, Weiblichkeit in Übergröße. Doch die Nanas sind nur eine Station ihrer künstlerischen Entwicklung. Die Kunsthalle SCHIRN in Frankfurt am Main zeigt in der aktuellen Ausstellung noch bis zum 21. Mai rund 100 Arbei­ten der feministischen Künstlerin aus den fünf Jahr­zehn­ten ihres künstlerischen Schaf­fens. 

Schüsse auf das Patriarchat 

Betreten die Besucher:innen den ersten Ausstellungsraum, sehen sie sich zuerst mit den Werken konfrontiert, die Niki de Saint Phalle erstmals weltweite Aufmerksamkeit bescherten. Die erste Phase ihrer Kunst Anfang der 1960er-Jahre war nicht fröhlich und bunt wie die Nanas. Die sogenannten Schießbilder sind gewaltsame Kunst. Erst formte Niki große, plastische Bilder aus Pappmaché und arbeitete bunte Farbbeutel mit ein. Dann zog sie ihren weißen Schießanzug an, der ebenfalls ausgestellt ist, nahm ein Gewehr und schoss auf ihre Bilder. Wie sie in der Dokumentation “Wer ist das Monster – du oder ich?” selbst sagt, schoss sie gegen die Männer, gegen die Gesellschaft, gegen das Bild von Kunst. Ihre Kunst war geprägt von Wut und die Werke mit Löchern und Farbspritzern sind Sinnbilder eines Kriegs ohne Opfer. Sie wollte ihre eigenen Bilder bluten sehen. Niki schoss sogar vor Publikum auf modellierte Köpfe von amerikanischen Staatsoberhäuptern. Sie schoss auf Kennedy, bevor er erschossen wurde. Für sie war es ein Angriff auf das Patriarchat und auf die Macht der Männer. Es war ein feministischer Racheakt, der ihr in der männerdominierten Künstlerszene international Aufmerksamkeit bescherte. Irgendwann musste sie nach eigener Aussage aufhören mit ihren Schießbildern. Das Monster, das sie in sich spürte, ihre zerstörerische, schöpferische Kraft, war süchtig nach diesen Momenten der Ekstase und der Zerstörung. 

Seelisches Chaos   

Mit dem Ende der Schießbilder kam eine Wende in ihrem Inneren und in ihrer Arbeit. Es wird nicht der einzige Umbruch in ihrem Stil bleiben. Diesen Eindruck erlangen auch die Ausstellungsbesucher:innen, sobald sie den ersten Raum mit den Schießbildern verlassen. Als nächstes sind Werke einer Künstlerin zu sehen, die nicht länger von Wut getrieben ist, sondern ihren persönlichen Schmerz verarbeitet. Sie schuf chaotische Landschaften aus zerbrochenem Geschirr, Rasierklingen, Handschuhen, Puppen und Plastikobjekten. Außerdem gestaltete sie häufig Frauen in verschiedenen Rollen: die Braut, die Mutter, die Hure. Sie rebellierte gegen diese Rollen, die ihr in ihrem bisherigen Leben alle schon auferlegt wurden. Auf der anderen Seite des Raumes sind in einem Schaukasten kleine Zeichnungen zu sehen – Kindheitserinnerungen. Hinter der Fassade der alten französischen Adelsfamilie erlebte Niki sexuellen Missbrauch durch ihren Vater und litt unter der strengen Erziehung ihrer Mutter. Als Mädchen aus gutem Hause wurde sie für den Heiratsmarkt erzogen und sie modelte als attraktive junge Frau für Magazine wie Life, Elle und Vogue. Doch in der Rolle der Ehefrau und Mutter konnte sie sich nie wiederfinden. Nach einem schweren Nervenzusammenbruch 1953 sah Niki in der Kunst eine Chance, das Chaos ihrer Seele zu beruhigen.

Die Mutter der Nanas 

Auf dem weiteren Weg durch die Ausstellung treffen Besucher:innen nun auf die Nanas. Für Niki waren die bunten Skulpturen “fröhliche Geschöpfe ohne Schmerz”. Die Nanas verherrlichen die Frau und brechen mit gesellschaftlich vorherrschenden Schönheitsidealen. “Einige machte ich so groß, dass ein Mann ihnen gegenüber klein war.” Die Nanas wurden zu ihrem Markenzeichen und im Laufe der Jahre international ausgestellt, zum Beispiel in Hannover, Stockholm, Zürich, New York und Paris. Einige liebten sie sofort, einige hassten sie. Sie entsprachen nicht dem Zeitgeist und sie auszustellen war mutig. Auch wenn Niki de Saint Phalle häufig als Visionärin bezeichnet wird, ließ sie sich die Künstlerin nach eigener Aussage von ihren Gefühlen und ihrem Instinkt leiten, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Normen oder Grenzen. Mit ihrer Kunst in Zeiten der zweiten großen Frauenbewegung in den 1960/1970er Jahren wurde sie zur Ikone. 1966 baute sie für das Stockholmer Moderna Museet eine begehbare Nana, die durch den Geburtskanal betreten werden konnte. Im Innern befanden sich ein Ausstellungsraum, ein Café und ein Kino. Die Künstlerin war selbst vom großen Erfolg der Ausstellung überrascht. Als 1974 drei von Niki geschaffene Nanas am Leibnizufer in Hannover aufgestellt wurden, gab es laute Proteste, doch die Nana-Fans konnten sich durchsetzen. Bis heute gehören sie zu den Wahrzeichen der Stadt. 

Reflexion und Meditation 

Im hinteren Teil der Ausstellungshalle ist die Farbe der Wände von pink über lila zu einem dunklen blau verlaufen und an den Wänden sind überall glitzernde Lichtreflexionen zu sehen. Spiegel und Mosaike zieren Skulpturen wie den “Tempel aller Religionen”, den begehbaren Totenkopf der Meditation oder eine Spiegelsäule, wie sie auch in ihrem “Tarotgarten” zu finden sind, den Niki zusammen mit ihrem Partner und Künstlerkollegen Jean Tinguely und einheimischen Handwerkern von 1978 bis 1998 in der Toskana erbaute. Die Spiegel hatten für Niki eine besondere Bedeutung: sie reflektieren das Schlechte, das alle Menschen in sich haben, doch sie reflektieren auch die wunderbare Natur. Niki schuf den Tarotgarten für die Menschen als Ort der Meditation. Er war eines der letzten großen Projekte der Künstlerin, die sich mit allen Außenseitern identifizierte. Mit ihrer Wut auf das Patriarchat, dem Neid auf die Freiheit der Männer in diesem System und der Kritik der weiblichen Idealbilder war sie allerdings nie allein, wie alle weiteren feministischen Bewegungen zeigen.

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