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„Den Druck aufrecht erhalten“

Stefan Diefenbach & Wandel in der katholische Kirche

VON MAYA-KATHARINA SCHULZ

Lebendiges Treiben herrscht in der Berger Straße, der längsten Einkaufsstraße Frankfurts im Herzen von Bornheim. Mittendrin liegt der Weltladen, den Stefan Diefenbach (57) vor 17 Jahren eröffnete. Nun sitzt er – die Kaffeetasse neben sich – auf den Stufen der St.-Josefs-Kirche. Hier im Innenhof zwischen Weltladen und Kirche ist es angenehm kühl an diesem sommerlichen Nachmittag. Wenn Diefenbachs Leben ein Buch wäre, dann wäre dieser Ort der Übergang zwischen zwei Kapiteln.

Diefenbach war 25 Jahre lang Mitglied in einer Ordensgemeinschaft, er war der „Familienpriester“ in seinem Freundeskreis. Bis er sich outete. Wenn man an „Wandel“ denkt, dann ist die katholische Kirche, diese uralte Institution, nicht unbedingt das erste Stichwort, das einem einfällt. Doch Diefenbach vereint beides miteinander. Im Januar strahlt die ARD den Dokumentarfilm „Wie Gott uns schuf“ aus. Darin geht es um die Initiative „OutInChurch“ für die sich MitarbeiterInnen der katholischen Kirche in Deutschland engagieren. Sie haben sich als homo-, bi-, trans*-, oder intersexuell, als queer oder non-binär geoutet und dafür schwerwiegende berufliche Konsequenzen in Kauf nehmen müssen. Als einer von 125 Menschen ist auch Diefenbach in dem Film zu sehen.

Tagesschau-Beitrag zur Dokumentation „Wie Gott uns schuf“

In der Berger Straße ist er ein bekanntes Gesicht. Immer wieder winken ihm Vorbeigehende jeden Alters fröhlich zu oder wechseln ein paar Worte mit ihm. „Der seelsorgliche Aspekt der Priesterarbeit spielt weiterhin eine große Rolle für mich“, erklärt er. Auch Netzwerken sei schon immer ein Teil von ihm gewesen. In der Kirche sei er immer mit einem großen Korb voller Dinge unterwegs gewesen, die er jemandem zurückgeben wollte oder für jemand anderen gefunden hatte.

Geboren ist Diefenbach in Lahnstein in der Nähe von Koblenz und aufgewachsen „wie in einem mittelalterlichen Handwerksbetrieb“ – in der Metzgerei, die seine Eltern dort in dritter Generation betreiben. Weil sie sehr viel arbeiten müssen, findet Diefenbach den Laden oft auch „ziemlich blöd“. Doch die Erfahrungen aus dem Geschäft kommen ihm heute im Weltladen zugute. „Meine Eltern haben dem Pfarrer nicht gerade die Tür eingerannt, aber der Bezug zur Kirche war auch in meiner Kindheit immer da“, resümiert er. So durchläuft er die klassische katholische Sozialisation: Taufe, Erstkommunion, Firmung, Messdiener, Lektor. Er ist im Reli-Leistungskurs und engagiert sich neben der Schule in der Jugendarbeit der örtlichen Klostergemeinschaft. „Ich wollte gerne mehr wissen, tiefer eintauchen in die Bibel einerseits und in die Geschichte der Kirche andererseits.“ Diefenbach tritt in die Ordensgemeinschaft ein und beginnt nach dem Abitur in Münster katholische Theologie zu studieren. Das Studium, das neben Latein, Griechisch und Hebräisch auch einen Philosophie-Schwerpunkt hat begeistert ihn: „Ich wäre einmal beinahe wegen Thomas von Aquin, einem mittelalterlichen Philosophen, überfahren worden, weil wir so vertieft diskutiert haben, dass ich einfach auf die Straße gelatscht war“, erinnert sich Diefenbach.

Stefan Diefenbach mit Regenbogenfahne in der Hand - vor dem Weltladen in Frankfurt
Foto: Stefan Diefenbach

Dass er homosexuell ist realisiert er in seinen Zwanzigern. „Ich war bei einem Schulkameraden, wir haben uns unterhalten und Kaffee getrunken. Plötzlich kam ein anderer Mann herein, hat ihn geküsst und sich neben ihn gesetzt. Da liefen bei mir zwei Sachen ab: Das eine war mein Kopf, der rief: ‚Das geht doch nicht!‘ – das andere war mein Herz, das fühlte: ‚Wow, das ist aber schön!‘ Dieses Schlüsselerlebnis hat etwas in mir angerührt, das sicherlich schon vorher da war, für das ich jedoch nie Worte gefunden hatte.“ Der Schulfreund bemerkt Diefenbachs Irritation, gibt ihm das Buch „Schwul, na und?“ – die Aufklärungsliteratur dieser Zeit mit.

Im Orden spielt die neue Erkenntnis zunächst keine große Rolle. Erst viele Jahre später trifft Diefenbach eine Entscheidung: „Als ich 40 war, ist mein Großvater bei uns zuhause gestorben. An dessen Totenbett sprang mich die Frage an – und ließ mich nicht mehr los – auf welches Leben ich denn selbst einmal zurückblicken möchte. Möchte ich der geachtete Ordenspriester sein, der aber immer etwas von sich versteckt? Oder möchte ich mich ehrlich machen und zu dem stehen, was doch ein nicht ganz unwichtiger Teil von mir ist?“ Auf diesen Gedanken folgt ein Ringen, das über zwei Jahre andauert. Diefenbach spricht mit vielen Freunden außerhalb der Kirche, erlebt größtenteils positive Reaktionen in seinem privaten Umfeld. Irgendwann steht seine Entscheidung fest. Bei einem Treffen des Leitungsgremiums der Ordensgemeinschaft vertraut sich Diefenbach seinen Ordensbrüdern an. Auf seine mutigen Worte folgt Schweigen, bis er aufgefordert wird, den Raum zu verlassen. „Das war für mich ein absoluter Tiefpunkt. Gleichzeitig war ich auch sehr stolz auf meine Ehrlichkeit. In dieser absoluten Schwäche, diesem Sich-Nackt-Machen, lag auch eine enorme Stärke. Eine paradoxe Erfahrung.“

„Das war für mich ein absoluter Tiefpunkt. Gleichzeitig war ich auch sehr stolz auf meine Ehrlichkeit.“

Stefan Diefenbach

Auf dem Weg sich ein neues Leben aufzubauen, eröffnet Diefenbach mit einer Kollegin den Weltladen. „Da haben dann auch wieder alle geglaubt wir wären zusammen. Aber in einer Sitzung haben wir Klarheit geschaffen. Wir haben gesagt: ‚Wir suchen beide einen Mann, aber nicht denselben.‘ Dann haben die Leute es verstanden.“ In den ersten Jahren nach seinem offiziellen Outing in der Kirche plagen Diefenbach häufig Alpträume. „Da ging es meist darum, dass ich mich endlich entscheiden, endlich Klarheit schaffen muss und immer, wenn ich aufwachte, merkte ich `wow, ich habs ja schon!‘. Es brauchte Zeit, bis das innerlich durch war.“

Die aus dieser Erfahrung gewonnene Stärke möchte Diefenbach nutzen: „Für mich war klar, dass ich zur Veränderung beitragen möchte. Als jemand, der Theologie studiert hat und der sich in den Arbeitsweisen und Strukturen der katholischen Kirche auskennt, möchte ich meine Expertise und meine Fähigkeiten für die Veränderung einsetzen, für LGBTIQ-Personen in der katholischen Kirche.“ In Zusammenarbeit mit dem Stadtdekan bringt Diefenbach ein seelsorgliches Angebot für Lesben und Schwule in der Kirche auf den Weg – „leider noch nicht für BTIQ-Personen, da gibt es leider noch ein bisschen Widerstand, aber daran arbeiten wir!“, so Diefenbach entschlossen. Das Angebot wird gut angenommen, im letzten Jahr erreicht es sogar die Bistumsebene, die Dinge seien also durchaus in Bewegung. „Man braucht viel langen Atem, muss viele dicke Bretter bohren. Und man muss dranbleiben und den Druck aufrechterhalten.“ Mit Druck meint er insbesondere intelligente Aktionen „so, wie bei Greenpeace. Die machen ja auch nicht jeden Tag etwas, aber wenn sie etwas machen, dann ist das so ein Päng! So entwickeln sich Dinge wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und der die Dinge in Bewegung bringt.“ Im „Apostel“, der Zeitschrift der Ordensgemeinschaft in der Diefenbach Mitglied war, erscheint 2021 ein Interview zu Homosexualität in der Kirche. „Der Provinzial erzählte mir dann, eine Frau hätte den ‚Apostel‘ daraufhin abbestellt, aber 15 Menschen hätten ihn neu abonniert. Das sei doch eigentlich ein ganz guter Schnitt. Der Wandel geschieht also, und wenn man die Lupe nur groß genug wählt, sieht man den Fortschritt“, witzelt Diefenbach.

„Da ging es meist darum, dass ich mich entscheiden, endlich Klarheit schaffen muss und immer, wenn ich aufwachte, merkte ich `wow, ich habs ja schon!‘.“

Stefan Diefenbach

Wichtig ist ihm auch, der Kirche zu zeigen, dass es nicht nur „junge, flippige Leute“ sind die Veränderung fordern, sondern dass sich auch Menschen im Alter von 70 oder noch mehr Jahren einen Wandel der Kirche wünschen und sich dafür auf Katholiken- und Kirchentagen die Füße plattstehen.

Als der OutInChurch-Film im Januar veröffentlicht wird ist Diefenbach nervös. „Mich selbst im Fernsehen zu sehen und zu hören, das ist seltsam!“ Doch dann regnet es positive Rückmeldungen. „In der Doku ist nur ein kurzer Teil aus meinem Interview zu sehen, aber es kamen so viele Reaktionen auch aus Lahnstein und aus meiner Grundschule, von Menschen, die ich 20 Jahre nicht gesehen habe. Das war sehr beeindruckend!“ Mittlerweile gibt es eine weitere Gruppe, die Diefenbach moderiert und die sich „out im Bistum Limburg“ nennt. „Wichtig ist, sich nicht nur als Opfer zu sehen, sondern auch eine aktive Rolle einzunehmen. Und nicht zu warten, bis man etwas erlaubt bekommt, sondern die Dinge einfach zu machen. Wir sind Getaufte und Gefirmte und wollen selbst zu dem Wandel beitragen, den wir uns wünschen.“ Zu diesem Zweck engagiert sich Diefenbach auch im Synodalen Weg, einem Gesprächsformat für eine Debatte, die der Aufarbeitung von Fragen zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland dient.

„Wichtig ist, sich nicht nur als Opfer zu sehen, sondern auch eine aktive Rolle einzunehmen. Und nicht zu warten bis man etwas erlaubt bekommt, sondern die Dinge einfach zu machen.“

Stefan Diefenbach

„Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen“, betont Diefenbach „und jetzt einfach sagen: Schwule und Lesben dürfen heiraten, damit haben wir unser Schäfchen im Trockenen und die anderen sollen sich das selbst erkämpfen. Wir müssen Räume auch für BTIQ-Personen öffnen, in denen sie angstfrei zu Wort kommen können. Und ich möchte mich dafür einsetzen, dass sie wahrgenommen und wertgeschätzt werden.“

Wenn Stefan Diefenbachs Leben ein Buch wäre, so würde „Wandel“ sicherlich im Titel vorkommen. Seit sechs Jahren ist er inzwischen verheiratet, mit dem argentinischen Opernsänger Walter Castillo.

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