Vollversammlung an der h_da – wie unpolitisch kann Studieren sein?
Kommentar von Marco Schüler
Man stelle sich vor, es ist das Jahr 2022. In Europa herrscht Krieg, die Energiepreise gehen durch die Decke und die Inflation steigt auf rund 10 Prozent an. Gut, dafür braucht man keine Vorstellungskraft, sondern öffnet einfach eine beliebige News-App auf seinem Handy, um sich mit den neuesten Entwicklungen der Weltpolitik zu malträtieren. Überall wo junge Menschen derzeit hinschauen ergeben sich neue Brandherde – die Krise taumelt von Krise zur Krise, das Geld ist weniger wert, die Lebenshaltungskosten steigen, die Klimakrise verschärft sich ins unvorstellbare, die Bürokratie versagt, der Winter wird kalt, die Heizung bleibt aus, der Kühlschrank und die Mägen vieler Studierenden leer. Mittendrin steht eine ganze Generation von jungen Menschen, die ratlos umherblickt, auf der Suche nach Antworten – scheinbar aber nicht auf die dringend notwendigen Antworten auf die oben aufgezeigten Probleme. Denn dafür sollte eigentlich die Vollversammlung der Hochschule Darmstadt da sein. Probleme aufzeigen. Sorgen teilen. Lösungswege erarbeiten und an die entsprechenden Stellen weiterleiten. Das war zumindest der Grundgedanke der innerhalb von zwei Wochen angekündigten, anschließend wenig beworbenen und dann in Dieburg kaum kommunizierten Zusammenkunft unter dem Namen “Studieren statt frieren”. Kämpferische Worte, die am Mediencampus zu leeren Worthülsen verkommen. Denn die vielsagende Antwort auf den Aufruf war eine ohrenbetäubende Stille. Hunderte Plätze standen in der Dieburger Aula bereit, um Studierende zu empfangen, die auf die Barrikaden gehen würden. Gekommen sind dann nicht einmal 10. Knapp die Hälfte der Anwesenden waren bereits Mitglieder der Hochschulpolitik. Jeder dritte Studierende in Deutschland ist laut neuesten Zahlen akut von Armut betroffen oder zumindest gefährdet. Das scheint am Mediencampus vorbei zu gehen. Vielleicht lag die ausbleibende Beteiligung aber auch daran, dass der Mediencampus in Dieburg nicht nur die Hochschule selbst nicht zu interessieren scheint, sondern auch daran, dass der vor sich hinsiechende und nach dem Gnadenschuss verlangende Campus inzwischen nicht einmal mehr von den Darmstädter Studierenden ernstgenommen wird. Wegen der räumlichen Trennung musste natürlich eine Liveübertragung stattfinden. So weit, so pragmatisch. Das Problem daran war, dass die Diskussion, die im Darmstädter Teil der Hochschule von immerhin knapp 70 Anwesenden geführt wurde, kaum verstanden werden konnte. Interesse auf Seiten des AStA: Fehlanzeige. Zwei traurig leise Versuche Fragen zu wiederholen, keinerlei Rücksichtnahme und vielsagendes über Einwände und Anmerkungen aus Dieburg hinweggaloppieren waren die Antwort der studentischen Vertreter auf ihre “Leidensgenossen” im entlegenen Mediencampus. Die Einladung zu dem “Event” hätte Hoffnungen wecken können – das hat sie auch in mir! Zu gerne hätte ich Diskussionen über Mietpreise im Studierendenwerk, den rottenden Campus in Dieburg und die katastrophale Lernraumsituation gehört, die auch nur im Ansatz eine Perspektive hätten aufzeigen können. Diskussionen darüber, dass eine Schüssel Erbsen und eine Schüssel Möhren in der Mensa jetzt einzeln abgerechnet werden und obendrauf auch noch teurer geworden sind, schienen dagegen wie blanker Hohn, der auf das undichte Dach in den Dieburger Gängen tropft. Die Perspektive sollte, an die Versammlung anschließend, in Workshops erarbeitet werden – in Darmstadt. Angesichts der Teilnehmerzahlen absolut vertretbar. Gleiche Behandlung für mindestens gleich schlimme Studienbedingungen sehen jedoch anders aus. Zu Wahrheit gehört allerdings auch, dass das eine Problem das andere bedingt. Der Mediencampus wird vergessen, deswegen vergessen die Studierenden in Dieburg den Mediencampus und die Tatsache, dass dieser nur durch Partizipation eine Perspektive haben kann, die ohne Asbest in der Wand, Bauarbeiten während der Vorlesungszeit und defekten Toiletten in allen Gebäuden auskommt. Hochschulpolitik könnte so einflussreich sein, wenn man wirklich gemeinsam an Lösungen arbeiten würde – stattdessen ebbt die Wahlbeteiligung ab, die Gremien haben kaum noch neue Mitglieder und die alten scheiden langsam aus. Einzelnen Initiativen werden Steine in den Weg gelegt, sodass auch noch der letzte Rest an politischer Teilhabe aus den Studierenden herausgesaugt wird wie die unangenehme Spinne in der hintersten Ecke einer dunklen Speisekammer. Zurück bleiben nach der Vollversammlung viele Fragen. Die dringendste in meinem Kopf lautet: What the fuck, Dieburg? Wann ist Studieren eigentlich so unpolitisch geworden?
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Toll auf den Punkt gebracht! Wenn (meiner Meinung nach) viel zu kurzfristig mit der Parole “Studieren statt frieren” zusammengetrommelt wird, kann es echt nicht sein, dass es auf der Vollversammlung dann ua. darum geht, es sich mit „denen da oben“ nicht zu verscherzen. Wirkt wie ein fauler Kompromiss: mal schnell bei den landes- und bundesweiten Ereignissen in den Studierendenschaften nachziehen zu wollen, ohne die eigenen Hausaufgabe (wie wichtige Bündnisarbeit und vor allem eine gescheite Vorbereitung) gemacht zu haben. Es wurde im Rahmen der mangelhaften Gegebenheiten viel dafür getan auch Dieburg mit ins Boot zu holen, aber es scheiterte bspw. schon an der Verwendung eines Mikrofons auf dem Podium…