Warum Meme-Pages auch journalistisch sein können
von Marah Göttsch (31.07.2024)
Nicolas Friedrich ist Co-Redaktionsleiter der heute-show online und somit verantwortlich für den heute-show-content, der dir auf die Timelines deiner Lieblings-Plattformen gespült wird. Nicolas startete klassisch in die Branche: Er studierte Journalistik mit Politik und Jura als Nebenfächer in Dortmund und machte ein Volontariat bei der Thüringer Allgemeinen. Ab 2015 war er eines der Gründungsmitglieder des Online-Teams der heute-show. Inzwischen hat die beliebte ZDF-Satireshow unter seiner Leitung über zwei Millionen Follower:innen auf Instagram und eine Million auf Tiktok.
Ach_dasta!-Autorin Marah hat mit Nicolas Friedrich darüber gesprochen, warum die heute-show als öffentlich-rechtliches Format eine Meme-Page ist und warum er hofft, dass Menschen so die Hürde für politische Themen genommen wird.
Illustration: Margo Sibel Koneberg
War die heute-show auf Instagram schon immer eine Meme-Page?
Wir haben uns am Anfang gefragt, wie eine Übersetzung der bereits bestehenden TV-Sendung heute-show im Netz aussehen könnte. Es ging von vornherein nicht darum, alle Leute nur dazu zu bewegen, dass sie freitags den Fernseher einschalten oder dass sie von Samstag bis Donnerstag in die Mediathek gehen, um die heute-show zu gucken. Wir wollten, wie die klassischen Meme-Seiten damals, mit unseren Inhalten dorthin, wo die Userinnen und User sowieso schon unterwegs sind: zunächst Facebook und Twitter, später Instagram und TikTok. Denn als öffentlich-rechtliches Format haben wir den Anspruch, auch junge Leute zu erreichen. Im Internet des Jahres 2024 und auf Instagram ist das eine gewisse „Memesprache“ – so sind wir evolutionär dahin gekommen, wo wir jetzt sind.
Und wie entsteht aus einer klassischen Nachricht dann am Ende des Tages ein heute-show-Meme in meinem Feed?
Wir starten klassisch journalistisch: Am Anfang des Tages gibt es ein Themenpapier, das eine unserer beiden Themen-Redakteurinnen für uns erstellt, damit wir alle auf den gleichen Nachrichtenstand kommen. Darin steht alles, was in den letzten 24 Stunden wichtig gewesen ist. Das geht an unser Autorenteam – die nehmen die Nachrichten und schauen, in welche Bildwelten sie das übersetzen können und ob sie ein Meme im Sinn haben, was gut dazu passen würde. Man muss also schon einen gewissen „Meme-Vorrat“ im Hinterkopf haben. Oder man denkt sich: „Okay, das Meme geht auf Social Media gerade total rum – auf welche Nachricht kann ich das drehen?“
Es ist ein kreatives Zusammenspiel aus klassischen journalistischen Fragen wie „Was ist die Nachricht, was ist daran zu kritisieren und welche Haltung haben wir?“ und der kreativen Arbeit von Autorinnen und Autoren aus dem Comedy-Bereich, die das in Memes übersetzen.
Welche Grenzen haben Satire und Humor konkret in eurer Redaktion?
Es kommt sehr darauf an, wie man im Einzelfall den richtigen Ton trifft. Es gibt nicht das eine Thema oder die Liste mit fünf bis zehn Themen, die auf dem Index stehen, die bei uns nie vorkommen werden. Es ist eine Einzelfallentscheidung. Wir schauen, dass es einer breiten Masse als Witz zugänglich ist und kein Zynismus drin steckt – das wäre nicht die Humorfarbe der heute-show. Sobald es an individuelles, menschliches Leid geht, nehmen wir Abstand. Welche Witze soll man beispielsweise bei Überschwemmungen machen? Da muss man eher gucken, welche politischen Entscheidungen in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass eine solche Katastrophe heute die Menschen trifft. Wenn ein politischer Aspekt hinzukommt, wird es also wieder interessant für uns.
Welche Vorteile haben Memes gegenüber anderen journalistischen Mitteln für dich?
Der größte Vorteil ist, dass man so eine viel breitere Masse an Menschen erreicht. Man muss sich nichts vormachen, so gute Arbeit die Kollegen von Tagesschau bis Süddeutsche auch leisten: Die breite Masse von 80 Millionen Menschen liest sich nicht alle Artikel durch, schon gar nicht in Gänze. Man kann noch so schöne und lange Analysen schreiben, ein Meme holt mich auf einer emotionalen Ebene über den Humor ganz anders ab. Viele Menschen interessiert Politik auch einfach nicht so sehr und es gibt zusätzlich das Phänomen der „Nachrichtenmüdigkeit“.
Nachrichtenmüdigkeit:
Das Nachrichteninteresse in Deutschland geht seit 2017 zurück. 41 Prozent der 18-bis 24-Jährigen gaben im Reuters Institute Digital News Report 2023 an, dass sie sich nicht sehr oder überhaupt nicht für Politik interessieren. Jeder zehnte erwachsene Internetnutzende in Deutschland versucht oftmals aktiv, Nachrichten zu vermeiden, 65 Prozent versuchen dies zumindest gelegentlich.
Wir laden auf Instagram keine zehnminütigen Werke hoch, sondern gucken stattdessen: Wie kann man die Essenz, was wir kritisieren wollen, in eine humoristische und leicht verdauliche Form übersetzen, sodass man es im besten Fall auf einen Blick versteht? Ich glaube, dann kann ein Meme über die humorvolle Ebene ein gewisses Nachrichten-Grundrauschen zu den Menschen tragen und sie vielleicht dazu anzuregen, abends doch mal die Tagesschau anzumachen oder – statt sich im TikTok-Algorithmus zu verlieren – mal eine halbe Stunde auf Spiegel Online zu verbringen.
English version (automated translation):
Why Meme Pages Can Also Be Journalistic
by Marah Göttsch (31.07.2024)
Nicolas Friedrich is the co-editor-in-chief of the heute-show online and thus responsible for the heute-show content that appears on the timelines of your favorite platforms. Nicolas started his career in a traditional way: He studied journalism with political science and law as minors in Dortmund and completed a traineeship at the Thüringer Allgemeine. In 2015, he became one of the founding members of the heute-show’s online team. Under his leadership, the popular ZDF satire show now has over two million followers on Instagram and one million on TikTok.
Ach_dasta! author Marah spoke with Nicolas Friedrich about why the heute-show, as a public service format, is a meme page and why he hopes that this will lower the barrier for people to engage with political topics.
illustration: Margo Sibel Koneberg
Has the heute-show on instagram always been a meme page?
At the beginning, we asked ourselves what a translation of the existing TV show heute-show would look like online. From the start, it wasn’t about getting everyone to tune in to the TV on Fridays or to go to the media library from Saturday to Thursday to watch the heute-show. We wanted, like the classic meme pages back then, to bring our content to where the users already were: first Facebook and Twitter, later Instagram and TikTok. As a public service format, we have the ambition to reach young people as well. In the Internet of 2024 and on Instagram, this involves a certain ‚meme language’—that’s how we have evolved to where we are now.
And how does a classic news story become a heute-show meme in my feed by the end of the day?
We start with traditional journalism: At the beginning of the day, there’s a topic paper created by one of our two topic editors to get us all on the same page regarding the latest news. It includes everything important from the past 24 hours. This goes to our writing team, who take the news and consider how to translate it into visual formats and whether they have a meme in mind that would fit well. So, you need to have a certain ‚meme inventory‘ in the back of your mind. Or you might think, ‚Okay, this meme is trending on social media right now – how can I apply it to a news story?‘
It’s a creative interplay between classic journalistic questions like ‚What is the news, what is there to criticize about it, and what is our stance?‘ and the creative work of writers from the comedy field who translate that into memes.
What are the specific boundaries for satire and humor in your editorial team?
It really depends on striking the right tone in each individual case. There isn’t the topic or the list of five to ten topics that are off-limits and will never be covered. It’s a case-by-case decision. We ensure that the humor is accessible to a broad audience and doesn’t involve cynicism—that wouldn’t be the style of the heute-show. As soon as it touches on individual human suffering, we take a step back. For example, what jokes can you make about floods? In such cases, you need to look more at the political decisions made in the past that have led to such a catastrophe affecting people today. When there’s a political aspect involved, it becomes interesting for us again.
What advantages do memes have over other journalistic tools for you?
The biggest advantage is that you reach a much broader audience. Let’s not kid ourselves, no matter how good the work done by colleagues from Tagesschau to Süddeutsche is: the vast majority of 80 million people do not read all the articles, especially not in full. You can write beautiful and lengthy analyses, but a meme engages me on an emotional level through humor in a completely different way. Many people are simply not that interested in politics, and there is also the phenomenon of ’news fatigue‘.
News fatigue:
Interest in news in Germany has been declining since 2017. According to the Reuters Institute Digital News Report 2023, 41 percent of 18- to 24-year-olds stated that they are not very or not at all interested in politics. One in ten adult internet users in Germany often actively tries to avoid news, and 65 percent try to do so at least occasionally.
We don’t upload ten-minute pieces on Instagram; instead, we look at how we can translate the essence of what we want to criticize into a humorous and easily digestible form, so that ideally it can be understood at a glance. I believe that a meme can carry a certain level of news awareness to people through humor and maybe encourage them to turn on the Tagesschau in the evening or, instead of getting lost in the TikTok algorithm, spend half an hour on Spiegel Online.
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