Der Christopher Street Day in Darmstadt:
Über Solidarität und Sichtbarkeit
Interview von Katarina Neher (16.Aug.2025)
In den letzten Jahren hat sich die politische und gesellschaftliche Lage für queere Communities weltweit spürbar verschärft. Die Anti-Diversitätspolitik der Trump-Regierung trifft queere Menschen besonders hart. Auch außerhalb der Vereinigten Staaten wächst der Druck: In Deutschland berichten CSD-Organisator:innen von ausbleibenden Spendengeldern und zunehmenden rechtsradikalen Anfeindungen. Der Verein vielbunt e.V., der den Darmstädter CSD organisiert, ist ebenso von den Auswirkungen betroffen. Am 23. Juli veröffentlichte vielbunt einen Spendenaufruf auf Instagram: 5000 Euro würden benötigt, um den CSD in Darmstadt in gewohntem Umfang zu realisieren. Mit Erfolg – innerhalb von zwei Wochen war das Ziel erreicht.
„Nie wieder still. Ich l(i)eb’, wie ich will“– so lautet das Motto des diesjährigen Christopher Street Day in Darmstadt, der am 16. August stattfindet. In der Ankündigung wird das Motto als ein „Versprechen und eine Forderung“ beschrieben. Es sei ein Ruf nach Freiheit, nach Selbstbestimmung und nach dem unumstößlichen Recht, zu lieben und zu sein, wer man ist.

Fotos von Katarina Neher
Ein Interview mit Jan Bambach, Vorstandsmitglied bei vielbunt Darmstadt, über Finanzierungslücken, politischen Rechtsruck, Solidarität und Widerstand.
Katarina Neher: Ihr habt vor Kurzem einen Spendenaufruf auf Instagram veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Jan Bambach: Glücklicherweise stehen wir heute besser da als zum Zeitpunkt des Aufrufs. Seit einigen Jahren beobachten wir, dass der CSD aus vielen Gründen immer teurer wird – vor allem Dienstleistungen wie Security, Bühnentechnik oder die Betreuung und Versorgung von Künstler:innen. Hinzu kommt der zentrale Einkauf, der jedes Jahr massiv teurer wird.
Steigen diese Kosten, während gleichzeitig die Spendenbereitschaft von Institutionen, Organisationen, Firmen und auch von Land und Bund sinkt, entsteht eine erhebliche Finanzierungslücke. Durch den Spendenaufruf haben wir inzwischen 5.000 € erreicht und damit die Finanzierung des CSDs dieses Jahr gesichert. Was die kommenden Jahre betrifft, bleibt abzuwarten.
„Vermutlich werden wir auch im kommenden Jahr wieder bangen müssen, ob der CSD in gewohnter Größe stattfinden kann. Sicher ist: Wie auch immer er künftig aussehen wird – wir bleiben laut und sichtbar.“

Was sind eure Erfahrungen mit den Unternehmen, die sich zurückgezogen haben? Was ist deren Begründung?
Das lässt sich nicht auf einen einzigen Grund zurückführen. Manche Unternehmen kämpfen selbst mit finanziellen Schwierigkeiten. Andere scheinen Angst davor zu haben, „zu politisch“ zu wirken. Das betrifft besonders Unternehmen, die in den USA tätig sind. Die Trump-Regierung übt auch in Europa Druck auf Unternehmen aus, Initiativen für Vielfalt und Gleichstellung einzustellen. Der Regenbogen wird dann als politisches Statement gesehen, das man lieber vermeiden will, um selbst keine Nachteile zu haben. Das lässt sich bei den großen CSDs wie in Berlin gut beobachten: Man muss nur vergleichen, welche Unternehmen dieses Jahr mitgelaufen sind und welche noch im letzten Jahr dabei waren. Es herrscht ein lautes Schweigen. Anstatt eine klare Haltung zu vertreten, ziehen sie sich ohne Gründe zu nennen zurück – wahrscheinlich auch, weil sie keine Aufmerksamkeit erregen wollen. In Darmstadt haben wir Glück gehabt: Einige Sponsoren haben ihre Unterstützung sogar erhöht, um andere Ausfälle zu kompensieren.
In den letzten Jahren wurde viel über Pinkwashing diskutiert. Jetzt ziehen sich viele Unternehmen zurück. Hat sich dein Blick auf die Debatte verändert?
Ich sehe nach wie vor die Chancen, aber auch die Risiken der Kommerzialisierung. Förderungen, Unternehmens- und Privatspenden sind alle abhängig von äußeren Faktoren. Wichtig ist eine gute Mischung. Doch auch das nützt wenig, wenn mehrere Stützpfeiler gleichzeitig wegbrechen.
Es gibt einen Spruch, der zu dieser Situation gut passt:
„Wer dieses Jahr nicht dabei war, war nie dabei.”
Das klingt hart, ist aber eine Lektion für uns alle. Einige Unternehmen zeigen jetzt, dass sie wirklich hinter den Werten stehen – das merken wir besonders hier in Darmstadt. Andere entlarven sich selbst.

Du hast erwähnt, dass teilweise auch die staatliche Unterstützung wegfällt. Wie äußert sich das in Darmstadt?
Konkret ist bei uns die Förderung vom Bund im Rahmen des Programms „Demokratie leben” weggefallen. Das bedeutet: 5.000 Euro, die wir sonst jedes Jahr erhalten haben, sind einfach weg – ohne Vorwarnung. Wir haben das aus den Nachrichten erfahren. Darmstadt ist komplett aus dem Programm rausgefallen, und auch andere Kommunen sind betroffen. Es geht also nicht nur um uns. Insgesamt waren das in ganz Darmstadt 160.000 Euro für lokale Projekte. Offiziell hieß es, man könne eben nicht alle interessierten Kommunen unterstützen. Grundsätzlich finde ich es gut, dass Gegenden gefördert werden, die es sehr dringend benötigen und bisher keine Unterstützung bekommen haben. Die Gelder an anderen Orten zu streichen, obwohl der Bedarf weiter besteht, halte ich jedoch für falsch.
Wie hat sich die Lage für queere Menschen durch die neue Bundesregierung verändert?
Die Aussagen von Klöckner, Merz und Co. zur Regenbogenflagge sind nur die Spitze des Eisbergs. Leider wird die Liste der Dinge, die man ankreiden kann, immer länger. Besonders die angekündigte „ergebnisoffene Evaluation” des Selbstbestimmungsgesetzes sehen wir mit großer Sorge. Wie es damit weitergeht, wird im kommenden Jahr ein großer Gradmesser für die neue Regierung werden.
„Wir hoffen auf das Beste, stellen uns aber auf das Schlimmste ein.“

Welche gesellschaftlichen Veränderungen spürt ihr?
Menschen trauen sich, offener und radikaler aufzutreten. In Darmstadt selbst müssen wir den CSD noch abwarten. Beim CSD in Bensheim gab es eine Gegendemo, bei der rechtsextremistische Parolen und Beleidigungen gerufen wurden. In anderen Regionen sieht man die Entwicklungen noch deutlicher. In Neubrandenburg wurde die Regenbogenflagge am Hauptbahnhof niedergerissen und durch eine Hakenkreuzflagge ersetzt – zweimal. Die Stadt reagierte, indem sie die Regenbogenflagge nach dem zweiten Mal einfach nicht mehr hisste. Das ist doch keine Lösung.
Warum habt ihr das Motto „Nie wieder still“ gewählt?
Uns war klar: Wir müssen sichtbar bleiben. Darum haben wir uns an der bundesweiten Kampagne „Nie wieder still“ beteiligt. Unser Motto dieses Jahr ist daran angelehnt: „Nie wieder still. Ich l(i)eb’, wie ich will“. Unsere Motivation dahinter ist simpel: Gemeinsam sind wir stärker. Wenn ein CSD mit einer klaren Botschaft auf die Straße geht, ist das großartig. Wenn es aber 60 sind, die gemeinsam diese Botschaft vermitteln, ist das umso wirkmächtiger.

Was gibt euch Rückhalt?
Die vielen Menschen, die unserem Spendenaufruf nachgekommen sind. Innerhalb von zwei Wochen haben wir unser Spendenziel von 5000 Euro erreicht. Es ist unglaublich schön, das zu sehen, und wir sind sehr dankbar dafür. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss der h_da hat seine Unterstützung für vielbunt noch einmal aufgestockt. Ich finde es toll, wenn man auf dieser Ebene und auch inhaltlich mit ASten, Hochschulen und Universitäten zusammenarbeiten kann. Seit zwei Jahren hängt am Schloss ein Banner. Darauf steht: „Freiheit braucht Wissenschaft. Wissenschaft braucht Freiheit.” Besser kann ich es nicht ausdrücken.
Wie können Menschen euch konkret unterstützen?
Sichtbar bleiben, Flagge zeigen, Widerspruch leisten – auch im Alltag. Wer kann, darf gerne spenden, aber wichtiger ist es, nicht still zu sein. Und natürlich: Kommt am 16. August zum CSD in Darmstadt!

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