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Warum wir alle Pride auch heute noch brauchen

von Stay Eller (09.09.2024)

Inhaltswarnung: Der Text thematisiert Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen sowie körperliche Angriffe. Es werden auch rechtsextreme Bedrohungen, Hassverbrechen und politische Entwicklungen angesprochen, die LGBTQIA+-Rechte und andere Minderheiten gefährden. Sensible Themen wie homophobe und queerfeindliche Übergriffe sowie rechtsextreme Aktivitäten werden ebenfalls behandelt.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Pride-Veranstaltungen sind mehr als nur bunte Paraden und Feiern. Sie sind eine Erinnerung daran, dass wir in einer Welt leben, in der nicht jeder Mensch die Freiheit hat, so zu leben und zu lieben, wie er es möchte. Viele fragen sich jedoch: Brauchen wir Pride heute wirklich noch? Haben wir nicht längst Gleichberechtigung erreicht? Die Antwort ist eindeutig: Ja, wir brauchen Pride mehr denn je – und das nicht nur für die LGBTQIA+-Community, sondern für uns alle.

Eine Welt der engen Normen
Die gesellschaftlichen Normen, die queeren Menschen auferlegt werden, betreffen nicht nur sie allein. Diese Normen diktieren ein enges Korsett, in dem auch cis-geschlechtliche, heterosexuelle Menschen gefangen sind. Die Vorstellung, dass es nur einen „richtigen“ Weg gibt, Mann oder Frau zu sein und dass es nur eine akzeptable Form von Beziehung gibt, schränkt die Freiheit aller Menschen ein. Es gibt keinen Raum für Individualität, für Andersartigkeit, für die simple Freiheit, so zu sein, wie man möchte.

Dass diese Überlegungen nicht nur theoretischer Natur sind, mussten mein Partner und ich am eigenen Leib erfahren. Wir führen eine Beziehung, die nach außen hin als heterosexuell wahrgenommen wird. Doch allein die Tatsache, dass ich – eine Person, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurde – kurze Haare habe und weite Kleidung bevorzuge, hat ausgereicht, um uns zur Zielscheibe von Hass zu machen. An einem scheinbar harmlosen Tag in einem Stadtpark wurden wir von einer Gruppe Menschen körperlich angegriffen. Sie schrien uns an, nannten uns „scheiß Schwule“ und „ekelhaft“, weil sie mich fälschlicherweise als Mann identifizierten und unsere Beziehung deshalb als homosexuell einstuften. Es war nicht nur der verbale Angriff, der schockierte, sondern auch die physische Gewalt – sie warfen heißen Kaffee nach uns.

Pride als Schutzschild für alle
Dieser Vorfall zeigt, wie schädlich die engen gesellschaftlichen Normen sein können – nicht nur für queere Menschen, sondern auch für heterosexuelle Paare. In einer Welt, in der es als Bedrohung angesehen wird, wenn ein Mensch nicht in vorgefertigte Schubladen passt, ist niemand wirklich sicher. Pride ist nicht nur ein Protest gegen diese engen Normen, sondern auch ein Aufruf zur Befreiung von ihnen. Es geht darum, eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder Mensch respektiert wird, unabhängig von seiner Geschlechtsidentität, seiner sexuellen Orientierung oder seinem Erscheinungsbild.

Cis-heterosexuelle Menschen brauchen Pride genauso wie queere Menschen. Denn eine Gesellschaft, die Freiheit und Akzeptanz für alle Menschen bietet, ist eine, in der auch sie vor Hass und Gewalt sicher sind. Pride erinnert uns daran, dass der Kampf für diese Freiheit noch lange nicht vorbei ist. Solange Menschen weiterhin aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Sexualität diskriminiert, angegriffen oder marginalisiert werden, bleibt Pride notwendig.

Rechte Bedrohungen und der Aufstieg der AfD: Ein Angriff auf die Freiheit aller
In den letzten Jahren hat sich in Deutschland und vielen Teilen Europas eine beunruhigende politische Entwicklung abgezeichnet. Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wie die AfD haben an Einfluss gewonnen und stellen inzwischen eine reale Bedrohung für demokratische und gesellschaftliche Errungenschaften dar. Der jüngste Wahlerfolg der AfD in Thüringen, bei dem die Partei unter Führung des extrem rechten Politikers Björn Höcke fast 33 Prozent der Stimmen erhielt, markiert einen besorgniserregenden Wendepunkt. Dies ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass eine vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei eine Wahl zu einem Landesparlament gewinnt. Die AfD nutzte im Wahlkampf Themen wie Zuwanderung und Kriminalität, um Angst und Hass zu schüren – und genau diese Strategie bedroht die Rechte und Freiheiten von Minderheiten, insbesondere der LGBTQIA+-Community.

Rechte Kräfte haben es zunehmend auf Veranstaltungen wie den Christopher Street Day (CSD) abgesehen. So kam es kürzlich in Leipzig und Bautzen zu massiven Drohgebärden und Versuchen rechtsextremer Gruppen, die CSDs zu stören. In Bautzen wurden Regenbogenflaggen verbrannt, und in Leipzig skandierten Neonazis Parolen wie „Ganz Deutschland hasst den CSD“ – begleitet von Reichskriegsflaggen und dem Zeigen des „White Power“-Zeichens. Solche Vorfälle sind Ausdruck eines zunehmend aggressiven rechten Mobs, der versucht, queere Menschen aus der Öffentlichkeit zu drängen.

Dass diese Bedrohung auch von der AfD und ihren Anhängern ausgeht, ist laut Lesben- und Schwulenverband kein Zufall. Trotz der Tatsache, dass Alice Weidel, eine bekennende Lesbe, die Partei als Fraktionsvorsitzende im Bundestag vertritt, bleibt die AfD zutiefst homophob und queerfeindlich. Ihre politischen Programme zielen auf die Abschaffung der „Ehe für Alle“ und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ab, das LGBTQIA+-Menschen vor Diskriminierung schützt. Gleichzeitig fordert die AfD die Rückkehr zu einem „traditionellen“ Familienbild aus Vater, Mutter und Kindern und verunglimpft Regenbogenfamilien und andere moderne Familienformen. Diese Haltung zeigt sich auch in der engen Verknüpfung der AfD mit religiös-fundamentalistischen Gruppen, die weltweit gegen LGBTQIA+-Rechte kämpfen.

Ein besonderes Augenmerk legt die AfD auf Bildungsprogramme, die Akzeptanz für queere Menschen fördern. Diese werden als „Homo-Propaganda“ diffamiert und die Partei fordert ihre Abschaffung, um Kinder und Jugendliche vor einer angeblichen „Frühsexualisierung“ zu schützen. Diese Sprache und die dahinterstehende Ideologie zielen darauf ab, LGBTQIA+-Menschen wieder in die Unsichtbarkeit zu drängen und jegliche gesellschaftliche Akzeptanz für ihre Lebensweise zu untergraben.

Doch diese rechtsextremen Bestrebungen bedrohen nicht nur queere Menschen – sie gefährden die Freiheit und das Zusammenleben aller Menschen. Der Aufstieg der AfD zeigt, dass gesellschaftliche Normen, die bestimmte Gruppen diskriminieren, immer wieder verstärkt werden können, wenn politische Kräfte dies aktiv betreiben. Wenn die AfD das „Recht auf Diskriminierung“ als Grundrecht verteidigt, wie es in ihren Programmen zur Abschaffung des AGG zum Ausdruck kommt, bedeutet das nicht nur, dass queere Menschen diskriminiert werden dürfen – es bedeutet, dass alle, die von der Norm abweichen, potenziell betroffen sind. Auch Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen können Opfer dieser Entwicklung werden.

Angesichts dessen ist Pride heute wichtiger denn je. Pride ist nicht nur ein Fest der Vielfalt und Freiheit, sondern ein politischer Protest gegen den Hass und die Bedrohungen, die von rechten Kräften ausgehen.

Der Weg nach vorne: Warum Pride für alle wichtig ist
Es ist leicht, Pride als etwas zu sehen, das nur für die LGBTQIA+-Community relevant ist. Doch in Wirklichkeit geht es uns alle an. Pride ist ein Aufruf zur Solidarität, ein Aufruf, die engen, schädlichen Normen zu hinterfragen, die uns allen auferlegt werden. Es ist eine Erinnerung daran, dass wir uns gemeinsam für eine gerechtere, freiere Welt einsetzen müssen.

Solange es Menschen gibt, die aufgrund ihres Aussehens, ihrer Liebe oder ihrer Identität angegriffen werden, bleibt Pride eine dringende Notwendigkeit. Denn erst, wenn alle Menschen in ihrer Vielfalt respektiert und gefeiert werden, können wir von einer wirklich freien Gesellschaft sprechen.

English version (automated translation):

Why we all Still Need Pride Today

by Stay Eller (09.09.2024)

Content Warning: This text addresses discrimination and violence against LGBTQIA+ individuals, including physical assaults. It also discusses far-right threats, hate crimes, and political developments that jeopardize LGBTQIA+ rights and other minority groups. Sensitive topics such as homophobic and anti-queer attacks, as well as far-right activities, are also covered.

illustration: Margo Sibel Koneberg

Pride events are more than just colorful parades and celebrations. They serve as a reminder that we live in a world where not everyone has the freedom to live and love as they wish. Yet many people ask: Do we really still need Pride today? Haven’t we already achieved equality? The answer is clear: Yes, we need Pride now more than ever — and not just for the LGBTQIA+ community, but for all of us.

A world of narrow norms
The societal norms imposed on queer people do not affect them alone. These norms dictate a rigid framework in which even cisgender, heterosexual people are trapped. The idea that there is only one “right” way to be a man or a woman, and that there is only one acceptable form of relationship, restricts everyone’s freedom. There is no room for individuality, for being different, or for the simple freedom to be oneself.

My partner and I have experienced firsthand that these issues are not just theoretical. We are in a relationship that is outwardly perceived as heterosexual. But simply because I — a person assigned female at birth — have short hair and prefer loose clothing, we became targets of hate. One seemingly ordinary day in a city park, we were physically attacked by a group of people. They yelled at us, called us “f*ggots” and “disgusting,” mistakenly identifying me as a man and our relationship as homosexual. It wasn’t just the verbal assault that was shocking, but also the physical violence — they threw hot coffee at us.

Pride as a shield for all
This incident shows how harmful societal norms can be — not just for queer people, but also for heterosexual couples. In a world where not fitting into predefined boxes is seen as a threat, no one is truly safe. Pride is not just a protest against these narrow norms but also a call to liberate ourselves from them. It’s about creating a society where everyone is respected, regardless of their gender identity, sexual orientation, or appearance.

Cis-heterosexual people need Pride just as much as queer people do. A society that offers freedom and acceptance to all is one where everyone is protected from hate and violence. Pride reminds us that the fight for this freedom is far from over. As long as people continue to be discriminated against, attacked, or marginalized because of their gender and sexuality, Pride remains essential.

Far-Right Threats and the Rise of the AfD: An Attack on Everyone’s Freedom
In recent years, Germany and many parts of Europe have seen a worrying political trend. Populist and far-right parties like the AfD have gained influence and now pose a real threat to democratic and societal achievements. The recent electoral success of the AfD in Thuringia, where the party led by far-right politician Björn Höcke won almost 33 percent of the vote, marks a disturbing turning point. This is the first time in the history of the Federal Republic that a party classified as far-right by the Office for the Protection of the Constitution has won an election to a state parliament. The AfD’s campaign, fueled by topics like immigration and crime to stir fear and hatred, directly threatens the rights and freedoms of minorities, especially the LGBTQIA+ community.

Far-right forces are increasingly targeting events like Christopher Street Day (CSD). Recently, there were significant threats and attempts by far-right groups to disrupt CSDs in Leipzig and Bautzen. In Bautzen, rainbow flags were burned, and in Leipzig, neo-Nazis chanted slogans like “All of Germany hates CSD,” accompanied by Reich war flags and the “White Power” symbol. Such incidents reflect an increasingly aggressive far-right movement attempting to push queer people out of public life.

That these threats also come from the AfD and its supporters is no coincidence, according to the Lesbian and Gay Association. Despite Alice Weidel, an openly lesbian politician, serving as the party’s parliamentary leader, the AfD remains deeply homophobic and anti-queer. Its political agenda aims to abolish marriage equality and the General Equal Treatment Act (AGG), which protects LGBTQIA+ people from discrimination. The party also advocates a return to a “traditional” family model of father, mother, and children, disparaging rainbow families and other modern family forms. This stance is further highlighted by the AfD’s close ties with religious fundamentalist groups that fight against LGBTQIA+ rights worldwide.

The AfD particularly targets educational programs that promote acceptance of queer people, labeling them as “homosexual propaganda” and calling for their abolition to protect children and youth from supposed “early sexualization.” This language and underlying ideology seek to drive LGBTQIA+ individuals back into invisibility and undermine any societal acceptance of their way of life.

But these far-right efforts threaten more than just queer people — they endanger the freedom and coexistence of all. The rise of the AfD shows that societal norms that discriminate against certain groups can be reinforced whenever political forces actively pursue it. When the AfD defends the “right to discriminate” as a basic right, as seen in their agenda to abolish the AGG, it means not only that queer people can be discriminated against — but that anyone who deviates from the norm could be affected. Women, people with migrant backgrounds, and people with disabilities can also fall victim to this development.

In light of this, Pride is more important today than ever. Pride is not just a celebration of diversity and freedom but a political protest against the hate and threats posed by far-right forces.

The way forward: Why pride matters for everyone
It’s easy to see Pride as something relevant only to the LGBTQIA+ community. But in reality, it concerns us all. Pride is a call for solidarity, a call to question the narrow, harmful norms imposed on all of us. It’s a reminder that we must work together for a fairer, freer world.

As long as people are attacked because of their appearance, whom they love, or their identity, Pride remains an urgent necessity. Only when all people are respected and celebrated in their diversity can we truly speak of a free society

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