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JEDE ABSCHIEBUNG IST EINE MENSCHENRECHTSVERLETZUNG

Ein Interview von Fatma Betül Çelik (22.Feb.2025)

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Wie kamen Sie dazu, sich für diese Idee sozial zu engagieren? Gab es ein bestimmtes Ereignis, das Sie dazu motiviert hat, oder haben Sie einmal gesagt: Heureka! Heureka! Ich muss diesen Menschen helfen?

Ich habe mich sehr früh für Politikthemen interessiert. Wir haben mit meinem Bruder oft zu Hause diskutiert. Ich habe dann Leute kennengelernt, die in diesem Bereich aktiv sind. Ich glaube, was mich interessiert, sind die Menschen, die essenzielle Themen haben. Meine Arbeit ist auch essentiell. Wohnungslosigkeit ist ja auch etwas essenzielles. Wenn man den Flüchtlingsbereich anschaut, gibt es so viele Ungerechtigkeiten. Man braucht keine große politische Analyse, um zu sagen, dass sie anders behandelt werden, weil sie aus einem anderen Land kommen als ich. Das finde ich total ungerecht.

Wie läuft ein Abschiebeprozess ab?

Wenn man nach Deutschland gekommen ist, gibt man seine Fingerabdrücke ab und erklärt, wie man hierher gekommen ist. Die meisten Menschen kommen oft über ein anderes Land nach Deutschland. Dann fängt das Problem an: Wenn man aus Griechenland oder Bulgarien kommt, schicken sie die Menschen dorthin zurück, obwohl in den meisten Ländern um Deutschland die Bedingungen für Geflüchtete schlechter sind. Im Durchschnitt müssen die Menschen sechs Monate überstehen, bis es zum Asylverfahren kommt. Wenn sich die Menschen jedoch verstecken und nicht da sind, wenn die Polizei kommt, verlängert sich die Frist auf 18 Monate. In einem Interview muss man dann begründen, warum man hier ist und nicht in sein Herkunftsland zurück kann.

Foto: Fatma Betül Çelik

Wievielen Menschen konnten Sie bisher durch Kirchenasyl helfen?

Seit 2015 gibt es in der Matthias-Kirche in Darmstadt Kirchenasyl, 2017 ist die Friedensgemeinde dazugekommen. Seitdem haben wir 400 Menschen vor der Abschiebung geschützt. Dabei gibt es zwei Formen: Zum einen das Kirchenasyl, bei dem Menschen für eine Zeit in der Kirche untergebracht werden. Zum anderen können Menschen woanders untergebracht werden. Das Kirchenasyl schützt aber in beiden Fällen Menschen, die aufgrund der Dublin-Abschiebungen eine bestimmte Frist abwarten müssen. Seit 2015 bieten wir eine wöchentliche Beratung für Geflüchtete an.

Unterstützen Sie auch Geflüchtete,die nicht Teil des Dubliners Übereinkommens sind?

Ja, wir hatten zum Beispiel jemanden aus Afghanistan bei uns, der abgeschoben werden sollte. Er verbrachte ein Jahr bei uns, bis wir eine Lösung fanden.

Unterstützen Sie die Menschen während des Kirchenasyls psychologisch?

Wir vermitteln die Menschen an Fachstellen, aber beraten sie nicht selbst psychologisch.

Eine afghanische Journalistin hat mir gesagt, dass ihr Kampf darin besteht, dass die Taliban nicht als Staat anerkannt werden. Aber wer hier als Geflüchtete/r Straftaten begeht, wird abgeschoben und die deutsche Regierung verhandelt mit den Taliban.

Ich finde das nicht in Ordnung. Zum Beispiel bei den Straftätern von Solingen, da hat man ja gesagt, der hätte nach Bulgarien abgeschoben werden sollen. Da würde ich sagen: Ja, das war ein gefährlicher Mensch. Man hätte sich überlegen müssen, was man mit so jemandem macht. Aber ihn einfach nach Bulgarien abzuschieben finde ich nicht angemessen. Was ist das für eine Haltung? Ich finde jede Abschiebung ist eine Menschenrechtsverletzung.

Welche Länder bekommen oft positive Antworten? Welche Länder haben Schwierigkeiten?

Nach Pakistan werden viele Menschen abgeschoben. Afghanen kriegen in der Regel ein Abschiebungsverbot, aber das hat sich gerade geändert. Bei Geflohenen aus der Türkei sieht es auch nicht gut aus. Syrer:innen bekommen auch oft ein Abschiebungsverbot.

Wie reagieren Menschen auf ihre Arbeit? Haben Sie jemals negative Reaktionen erhalten?

Natürlich gibt es Menschen, die mich fragen, woher ich wüsste, ob ich Menschen und nicht Straftätern helfe, aber ehrlicherweise habe ich mit diesen Menschen nicht sehr viel zu tun und verschwende damit keine Zeit. Manche Menschen verstehen einfach nicht, warum ich das mache. Für mich ist es aber sehr wichtig, weil ich so viele Ungerechtigkeiten sehe und das gibt mir Antrieb. Ich bin der Meinung, dass sich etwas ändern muss. Wenn wir nicht, wer dann?                                

Letztes Jahr gab es viele Demonstrationen gegen die AfD und den Rechtsextremismus. Was ist Ihre Meinung dazu?

Ich war sehr begeistert davon, wie viele Menschen auf die Straße gegangen sind. Ich bin aber auch sehr enttäuscht, wie es weiterging.

Haben Sie bei den Demonstrationen schon einmal Polizeigewalt erlebt?

Ich habe bisher viel Glück in meinem Leben gehabt und wurde noch nie festgenommen. Wir achten aber darauf, dass es keinen Streit mit der Polizei gibt, weil wir auf den Demonstrationen manchmal Leute dabei haben, die über keine gültigen Papiere verfügen. Die wollen wir natürlich nicht gefährden. Eine Anzeige habe ich jedoch bei einer Demonstration vor einem Gefängnis für Abschiebungen bekommen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Abschiebungen? Meiner Meinung nach ist die AfD nicht das einzige Problem Deutschlands, sondern nur ein sehr großes. Wie sehen Sie außerdem die Zukunft Europas und der Welt?

Im Moment finde ich die Situation sehr schwierig. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern. Die Rechten erstarken sehr, wie es auch in den USA mit Trump zu sehen ist. Ich habe das Gefühl, auf der ganzen Welt geht es politisch gerade nach rechts. Sie haben gesagt, dass die AfD nicht mehr nur das Problem ist und das ist bestimmt richtig, weil die anderen Parteien inzwischen ähnlich eingeschränkt sind. Man löst die Probleme nicht, indem man ein paar Menschen einfach abschiebt.

Was würden Sie tun, wenn Sie die Macht hätten, etwas zu verändern?

Meine Haltung ist: Wer hier sein will, ist hier. Umso besser, wenn Menschen hierher kommen müssen und von Anfang an die Möglichkeit haben, die Sprache zu lernen und sich zu integrieren. Wenn man jedoch so lange in einem Erstaufnahme-Camp bleibt, kann man sich nicht integrieren. 

EVERY DEPORTATION IS A HUMAN RIGHTS VIOLATION

An Interview by Fatma Betül Çelik (22.Feb.2025)

Illustration: Margo Sibel Koneberg

How did you come to engage socially in this way? Was there a particular event that motivated you, or did you have a moment where you thought: Eureka! Eureka! I must help these people?

I have been interested in political issues from an early age. My brother and I often had discussions at home. I then met people who were active in this field. I think what interests me are people with essential issues. My work is also essential. Homelessness is an essential issue. If you look at the refugee sector, there are so many injustices. You don’t need a deep political analysis to see that they are treated differently simply because they come from another country. I find that completely unjust.

How does a deportation process work?

When you arrive in Germany, you provide your fingerprints and explain how you got here. Most people come to Germany via another country. That’s where the problem begins: If you come from Greece or Bulgaria, you are sent back there, even though the conditions for refugees in most countries around Germany are worse. On average, people have to endure six months before the asylum process begins. However, if they go into hiding and are not present when the police come, the deadline extends to 18 months. In an interview, they must then justify why they are here and why they cannot return to their country of origin.

Foto: Fatma Betül Çelik

How many people have you been able to help through church asylum?

Since 2015, the Matthias Church in Darmstadt has offered church asylum, and in 2017, the Peace Congregation joined in. Since then, we have protected 400 people from deportation. There are two forms of church asylum: one where people are housed in the church for a certain period, and another where they are housed elsewhere. However, in both cases, church asylum protects people who need to wait out a specific deadline due to Dublin deportations. Since 2015, we have also been offering weekly consultations for refugees.

Do you also support refugees who are not part of the Dublin Agreement?

Yes, for example, we had someone from Afghanistan who was supposed to be deported. He stayed with us for a year until we found a solution.

Do you provide psychological support to people during church asylum?

We refer them to specialist organizations, but we do not provide psychological counseling ourselves.

An Afghan journalist told me that her fight is to ensure that the Taliban are not recognized as a state. However, here in Germany, if a refugee commits a crime, they are deported, and yet the German government negotiates with the Taliban.

I don’t find that acceptable. Take the case of the criminals from Solingen—there was talk of deporting one of them to Bulgaria. I would say: Yes, that was a dangerous person. The authorities should have thought about how to handle such individuals. But simply deporting him to Bulgaria? That’s not appropriate. What kind of attitude is that? I believe every deportation is a human rights violation.

Which countries often receive positive asylum decisions? Which ones face difficulties?

Many people are deported to Pakistan. Afghans generally receive a deportation ban, but that is currently changing. The situation is also bad for refugees from Turkey. Syrians often receive deportation bans.

How do people react to your work? Have you ever received negative reactions?

Of course, some people ask me how I know whether I am helping people and not criminals, but honestly, I don’t interact much with such people and don’t waste my time on them. Some people simply don’t understand why I do this. But for me, it is very important because I see so many injustices, and that gives me motivation. I believe that something needs to change. If not us, then who?

Last year, there were many demonstrations against the AfD and right-wing extremism. What is your opinion on that?

I was very excited to see so many people take to the streets. But I was also very disappointed with what happened afterward.

Have you ever experienced police violence at demonstrations?

I have been very lucky in my life and have never been arrested. However, we make sure that there are no conflicts with the police because we sometimes have people at demonstrations who do not have valid documents. Of course, we do not want to put them at risk. I did receive a complaint at a demonstration in front of a deportation prison.

How do you see the future of deportations? In my opinion, the AfD is not the only problem in Germany, but just a very big one. How do you see the future of Europe and the world?

Right now, I find the situation very difficult, both in Germany and in other countries. The right-wing movements are gaining strength everywhere, as we see in the USA with Trump. I feel like politics worldwide is shifting to the right. You said that the AfD is not the only problem, and you are certainly right—other parties have also become similarly restrictive. Problems are not solved by simply deporting people.

What would you do if you had the power to change something?

My position is: If someone wants to be here, they should be here. Even better if people have to come here and from the beginning have the opportunity to learn the language and integrate. However, if you have to stay in a reception camp for a long time, you cannot integrate.

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