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Affige Alternativen zum Altbekannten

Von Katarina Neher (23.Apr.2025)

Sind Bonobo-Gemeinschaften die Vorzeige-Matriarchate im Tierreich?

Tierische Inspiration

In der Geschichte der Menschheit wurde immer wieder nach Vorbildern in der Natur und damit nach einer Art natürlicher Ordnung gesucht, um bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu rechtfertigen und Orientierung angesichts gesellschaftlichen Wandels zu geben. Bei genauerer Betrachtung ist die Natur jedoch oft vielfältiger, als wir ihr zugestehen. Neben Regenwürmern, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane haben, und Clownfischen, die ihr Geschlecht im Laufe ihres Lebens verändern, können wir auch bei unseren nächsten tierischen Verwandten Inspiration für alternative Lebensentwürfe finden.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Alte Verwandte

Mit 98,7 Prozent haben Bonobos zusammen mit den gemeinen Schimpansen die höchste genetische Übereinstimmung mit dem menschlichen Erbgut. Zusammen bilden die beiden Arten die Gattung der Schimpansen, trotz enger Verwandtschaft gibt es aber faszinierende Unterschiede. Obwohl Größe und Gewicht bei beiden nur geringfügig unterschiedlich sind, werden Bonobos umgangssprachlich auch Zwergschimpansen genannt. Diese Bezeichnung kommt von dem etwas weniger muskulösen Körperbau und dem dadurch grazileren Erscheinungsbild. Auch an Ihren Lauten kann man sie unterscheiden. Die Stimmen der Bonobos sind hoch und erinnern an Vogelzwitschern, sodass sie damit einen deutlichen Kontrast zu der eher dunklen Klangfarbe der Schimpansen-Stimmen darstellen.

Das Matriarchat lebt?

Bonobos leben in gemischtgeschlechtlichen Kleingruppen von sechs bis 23 Tieren, die wiederum zusammen Großgruppen, so genannte Kommunen, aus 40 bis 120 Individuen bilden. Ein solches soziales Gefüge, bei dem sich eine Gruppe je nach Situation in Kleingruppen aufteilt und später wieder zusammenfindet, nennt sich Fission-Fusion-Organisation. Bonobos sind außerdem Nomaden mit einem Lebens- oder Aktionsraum von 30 bis 60 Quadratkilometern. Innerhalb dieses Gebietes schlafen sie jede Nacht an einem anderen Ort. Dabei baut jedes Tier sein eigenes Nest, bleibt aber in der Nähe seiner so genannten Nestgruppe.

Die einzelnen Kleingruppen sind, anders als bei Schimpansen, matriarchal hierarchisch organisiert und werden von einem Alpha-Weibchen angeführt. Insgesamt nehmen die weiblichen Tiere bei Bonobos eine dominantere Rolle ein und haben untereinander enge Bindungen. Sie bilden Koalitionen und schützen sich durch gemeinsames aggressives Verhalten vor Angriffen. Diese Kooperationsfähigkeit hat einen großen Einfluss auf den Status der Weibchen. Bei den Männchen ist vor allem der Rang der Mutter, zu der sie lebenslang eine enge Bindung haben, entscheidend für die eigene Positionierung in der Gruppe.

Bonobos sind ebenfalls im Durchschnitt friedlicher als ihre Gattungsgenossen. Beziehungen werden bei ihnen vor allem durch sexuelle Interaktionen, gegenseitige Körperpflege und gemeinsames Spielen aufgebaut und gepflegt. Die sexuellen Interaktionen finden explizit auch zwischen Weibchen und insgesamt nicht nur zur Fortpflanzung statt. Begegnungen zwischen verschiedenen Bonobo-Gruppen verlaufen zumeist friedlich. Bei den gemeinen Schimpansen ist dies nicht der Fall. Ihre Art ist dafür bekannt, ihr Revier gewaltsam zu verteidigen und fremde Artgenossen zu verfolgen, zu töten oder zu verstümmeln. Es gibt jedoch in der Forschung immer mehr Hinweise darauf, dass Bonobos und Schimpansen unter bestimmten Umständen mehr Übereinstimmungen haben, als lange Zeit für möglich gehalten wurde.

Und die Moral von der Geschicht …

Was bedeutet das für das Selbstverständnis des Menschen? Die Erkenntnis, dass Bonobos als kooperativere und friedlichere Art dem Menschen ebenso nahestehen wie die eher gewaltaffinen Schimpansen, bedeutet durch die Brille der Biologie natürlich nicht automatisch, dass beim Menschen alle sozialen Probleme durch die Etablierung eines Matriarchats und nicht alle sozialen Konflikte durch Sex gelöst werden könnten. Dennoch sind Vorbilder, auch evolutionsbiologische, wichtig, um das eigene Verhalten besser verstehen und einordnen zu können. So kann das Wissen um die starke Ambivalenz im Sozialverhalten der tierischen Vorfahren helfen, sich daran zu erinnern, dass es für den Menschen in den meisten Situationen ein breites Spektrum möglicher Handlungsoptionen gibt und Gewalt, Ausgrenzung und Zerstörung nicht von vornherein genetisch in der „Natur“ festgelegt sind.

Ape Alternatives to the Familiar

By Katarina Neher (23.Apr.2025)

Are Bonobo communities the model matriarchies of the animal kingdom?

Animal Inspiration

Throughout human history, people have repeatedly looked to nature for role models and a kind of natural order to justify existing societal structures or offer orientation in times of social change. But upon closer examination, nature is often far more diverse than we tend to acknowledge. In addition to earthworms, which have both male and female reproductive organs, and clownfish, which change sex over the course of their lives, we can also find inspiration for alternative ways of living among our closest animal relatives.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Ancient Relatives

With 98.7 percent genetic similarity, bonobos and common chimpanzees share the highest genetic overlap with humans. Together, they form the genus of chimpanzees, yet despite their close kinship, there are fascinating differences between them. Although bonobos and chimpanzees differ only slightly in size and weight, bonobos are colloquially known as “pygmy chimpanzees.” This term stems from their slightly less muscular build, giving them a more graceful appearance. They can also be distinguished by their vocalizations: bonobo voices are high-pitched and reminiscent of birdsong, offering a clear contrast to the deeper tone of chimpanzee calls.

The Matriarchy Lives?

Bonobos live in mixed-sex subgroups of six to 23 animals, which in turn form larger communities, known as communes, consisting of 40 to 120 individuals. This kind of social structure, in which a group splits into smaller units and later reunites depending on the situation, is called a fission-fusion organization. Bonobos are also nomadic, with a home or activity range of 30 to 60 square kilometers. Within this territory, they sleep in a different location each night. Each individual builds its own nest but stays close to its so-called nesting group.

Unlike chimpanzees, these subgroups are organized under a matriarchal hierarchy and are led by an alpha female. Overall, female bonobos play a more dominant role and maintain close bonds with one another. They form coalitions and protect themselves through joint aggressive behavior. This capacity for cooperation has a significant impact on the status of the females. For males, their status within the group depends primarily on the rank of their mother, with whom they maintain a close lifelong bond.

Bonobos are also, on average, more peaceful than their chimpanzee cousins. Relationships are built and maintained primarily through sexual interactions, mutual grooming, and shared play. These sexual interactions explicitly occur between females as well and are not solely for reproduction. Encounters between different bonobo groups are mostly peaceful—a stark contrast to common chimpanzees, who are known to defend their territory violently and may pursue, kill, or mutilate outsiders. However, research is increasingly showing that bonobos and chimpanzees may have more in common under certain conditions than previously believed.

And the Moral of the Story…

What does this mean for humanity’s self-image? The realization that bonobos, as a more cooperative and peaceful species, are just as closely related to humans as the more violence-prone chimpanzees doesn’t mean—biologically speaking—that all of humanity’s social problems could be solved by establishing a matriarchy, nor that all social conflicts could be resolved through sex. Still, role models, including evolutionary ones, are important for better understanding and contextualizing our own behavior. Knowledge of the strong ambivalence in our animal ancestors’ social behavior can serve as a reminder that humans, in most situations, have a wide spectrum of possible courses of action—and that violence, exclusion, and destruction are not inherently programmed into our “natural” genetic makeup.

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