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Den Mut haben, sich nicht mehr zu verstecken – Ein Porträt über Sami  

von Marah

Seine schwarzen, mittellangen Haare fallen leicht nach hinten. Ein schwarzes, locker sitzendes  Shirt und schwarze Sneaker. Er trägt ein Regenbogenbändchen: die, die man beim Christopher Street Day bekommt. Der Kontrast zwischen seinen Klamotten und dem bunten Bändchen ist im Hinblick auf die Geschichte von Sami fast symbolisch. Er sitzt  lässig an einem Tisch eines Cafés im Westen Stuttgarts und nippt an einem Cappuccino.  Sami heißt eigentlich anders, aber er fühlt sich wohler, wenn sein Name geändert ist. „Das  ist immer noch ein ziemlich intimes Thema für mich“, gibt er zu.

Illustration: Lucia Junker

Sami ist 13 Jahre alt als er merkt, dass er schwul ist: „Meine Kumpels fingen an, Mädchen gut zu finden und ich habe mich immer gefragt: Wie fühlt sich das an? Ich konnte das nie nachvollziehen.“ 

Er wächst in einer sehr konservativen und religiösen Familie auf. Schon früh wird ihm vermittelt, dass Männer keine Männer lieben, erzählt er. Also bleibt seine Homosexualität jahrelang ein Geheimnis. 

Er versucht, mit Mädchen in Kontakt zu kommen, auf Partys knutscht er mit ihnen und vor  seinen Freunden gibt er damit an, sagt er. „Ich dachte, wenn alle ihre ersten Freundinnen haben, nur ich nicht, wäre das auffällig.“ Er lacht und wirkt dabei peinlich berührt. Er hat während seiner Schulzeit zwei Freundinnen, mit einer ist er sogar ein ganzes Jahr  zusammen, bis sie Schluss macht. „Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich glaube,  sie wusste es.” Es. Jahrelang konnte Sami es nicht aussprechen, anders als heute: „Ich bin halt schwul, was soll ich machen.“ Er zuckt gleichgültig mit den Schultern und nimmt noch einen Schluck  von seinem Cappuccino. 

Er kompensiert den Druck, der auf ihm lastet mit Wut und Rebellion: Er hört auf, zur  Schule zu gehen. Zuhause gibt es immer öfter Streit, denn er hält sich nicht mehr an  Regeln. „Niemand wusste, warum ich so verdammt wütend bin und ich konnte es auch  niemandem anvertrauen“, erzählt er mit ernsten Worten, in denen auch heute noch ein  Hauch Verzweiflung zu vernehmen ist. Wegen der vielen Fehltage muss er die zehnte  Klasse wiederholen. 

Er wechselt die Schule und kommt in eine neue Klasse. Hier trifft er zwei Menschen, deren  Namen ebenfalls geändert wurden: Benjamin und Naomi. Der Beginn einer Freundschaft,  die Samis ganzes Leben verändert habe, wie er heute sagt. 2019 auf der Abschlussfahrt in Portugal offenbart er sich den Freunden – eine bessere Reaktion hätte er sich nicht vorstellen können:  „Wir haben alle auf dem Bett gesessen und dann ist es so aus mir herausgesprudelt. Alles, was Naomi gesagt hat, war: Willkommen im Club. Danach haben wir einfach weitergelacht.“ Als er die Geschichte erzählt, huscht ein Grinsen über sein Gesicht und er schaut verträumt zur Tür, als durchlebe er die Situation vor seinem geistigen Auge nochmal von neuem. 

Vor seinen Eltern und seinen Geschwistern outet sich Sami fast ein Jahr später. Er sei  ängstlich gewesen und habe immer auf den richtigen Moment gewartet, bis er realisierte,  dass es den wohl nie geben wird. Am Esstisch outet er sich als schwul. Auf die Frage, wie  seine Eltern reagierten, antwortet er: „Die Nächte danach habe ich nicht zu Hause  geschlafen, so viel ist sicher.“ Sami sagt, er habe es trotzdem nie bereut, den Mut gefasst  zu haben, sich vor seiner Familie zu outen. Es sei ein bedeutender Teil von ihm, der nicht  länger hätte verdrängt werden können. Er verstehe aber auch, dass manche Menschen  nicht den Mut fassen können, sich vor der Familie zu outen. „In vielen Ländern ist das ja  immer noch, oder wieder, ein absolutes Tabu. Da würde man sich vielleicht sogar in  Lebensgefahr begeben, wenn man sich als homosexuell outet“ sagt er. 

Inzwischen, zwei Jahre nach seinem Coming-out, wohnt er wieder zu Hause bei seinen  Eltern. Vor allem sein Vater habe Zeit gebraucht, um zu akzeptieren, dass sein Sohn sich  zu Männern hingezogen fühlt. Auch heute noch muss sich Sami immer wieder von einigen  Familienmitgliedern anhören, dass er einfach noch nicht die richtige Frau gefunden habe. „Meine Mutter hat sich am meisten gewandelt, was meine Identität angeht“, erzählt er  „wenn sie gerade während Pridemonth irgendwas mit einem Regenbogen sieht, bringt sie  mir das ganz stolz mit.“ Er lacht. „Mein Vater verdreht dann nur die Augen.“, sagt Sami mit  einem leichten Grinsen. Das wäre okay für ihn, schließlich habe er auch Jahre gebraucht,  seine Homosexualität zu akzeptieren.

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