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Der „lustige Mitmachfaschismus“

Wie die rechte Szene es versteht, die Internetkultur für sich zu nutzen

Ein Interview von Katarina Neher (21.Feb.2025)

Kai Denker forscht seit Jahren an der TU Darmstadt zu rechtsextremer Internetkultur und koordiniert das Projekt MISRIK (Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation), welches in Zusammenarbeit mit der JGU Mainz und der Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit in Wiesbaden die Internetkommunikation rechter Aktivist*innen untersucht. Im Interview spricht er über die Mobilisierungsstrategien der AFD, die Rolle von Meme und erklärt, warum rechte Parteien in sozialen Medien erfolgreicher als etablierte Parteien sind.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Herr Denker, Sie forschen seit Jahren zu rechtsextremer Internetkommunikation. Was hat Sie zu diesem Forschungsgebiet gebracht?

Kai Denker: Der Auslöser war ein Skandal auf der Frankfurter Buchmesse vor einigen Jahren, als einige Verlage, die der extrem rechten Szene zugeordnet werden, dort einen Stand hatten. Ich lag damals krank im Bett und habe die Diskussion auf Facebook verfolgt. Dabei ist mir aufgefallen, wie systematisch und orchestriert die Leute vorgingen, die sich auf die Seite der rechten Verlage gestellt haben. Es waren immer ähnliche Profile, etwa mit Tierbildern und ansonsten praktisch keinen Inhalten. Die Inhalte der Diskussion waren auch recht ähnlich und sie legten größten Wert darauf, immer das letzte Wort zu haben. Später stieß ich auf das „Handbuch für Medien Guerillas“, eine Zusammenstellung von Chatprotokollen aus der rechten Szene. Da stand genau dieser Satz drin: „Habe immer das letzte Wort“. Das weckte mein Interesse und ich habe mich gefragt, was da eigentlich stattfindet.

Die AFD erreicht besonders hohe Zustimmungswerte bei jüngeren Menschen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Kai Denker: Die AFD versteht es sehr gut, die üblichen Kommunikationsformen sozialer Medien auszunutzen. Man muss auch gleich am Anfang sagen, dass das auch ein Versagen der demokratischen Parteien ist, die der AFD Plattformen wie TikTok lange überlassen haben. Die AFD geht sehr systematisch vor. In unserem Forschungsprojekt MISRIK haben wir Interviews mit Aussteigern geführt. Dabei hat uns ein ehemaliger Mitarbeiter der AFD gesagt, dass sie bereits Bundestagsreden so anlegen, dass sich einzelne Teile gut als Internet-Memes auf TikTok verbreiten lassen. Die AFD hat einfach sehr viel im Umgang mit Social Media gelernt. Sie sprechen Themen, die junge Menschen interessieren, in einer sehr emotionalisierenden Weise an. Das verfängt. Das muss man leider sagen.

Was sind die Mobilisierungsstrategien der AFD?

Kai Denker: Ein Kernpunkt ist die sogenannte Metapolitik – also der Versuch, in Bereichen wirksam zu werden, in denen es nicht ausdrücklich um Politik geht, sondern um Werthaltungen oder aktuelle Trends. Metapolitik ist eigentlich ein Begriff aus der linken Theorie, ist aber tatsächlich schon in den Sechzigern in der rechten Szene adaptiert worden. Damals hatte man soziale Medien natürlich nicht auf dem Schirm. Die rechte Szene hat jedoch in den letzten 15 Jahren gelernt, dies geschickt in den sozialen Medien für sich zu nutzen. Sie setzt dabei auf Nachahmung und virale Verbreitung.

Warum haben rechte Parteien einen Vorsprung bei der Mobilisierung in sozialen Medien?

Kai Denker: Bis vor etwa einem Jahr konnte man sagen, dass sie es besser machen, weil sie es überhaupt machen. Die demokratischen Parteien holen mittlerweile auf, aber die rechte Szene hat einen zeitlichen Vorsprung und ist insgesamt tiefer in der Internetkultur verwurzelt. Das liegt auch daran, dass Teile der Gaming-Kultur und bestimmter Internet-Plattformen in den letzten Jahren nach rechts gekippt sind. Es ist aber nicht so, dass die rechte Szene vom Himmel gefallen ist und eine relativ unschuldige Netzkultur verführt hat. Es war ein Ineinandergreifen von rechtsoffener Netzkultur und gezielten Kampagnen. Das war nicht nur die AFD. Es gibt auch andere Gruppen, zum Beispiel die Identitäre Bewegung, die dabei sehr geschickt waren.

Wie funktioniert die Verbreitung rechter Inhalte im Netz?

Wir müssen uns, um es ganz deutlich zu sagen, von diesem Bild lösen, dass einer den Befehl gibt und die anderen folgen. So funktioniert die extreme Rechte nicht und so hat sie auch nie funktioniert. Wir haben rückblickend immer dieses Bild, das nichts passiert ist, ohne dass Hitler den Befehl gegeben hat. Das ist falsch. Selbst der historische Nationalsozialismus hat viel auf Selbstradikalisierung und Selbstmobilisierung gesetzt. Die heutige rechte Szene kann in den sozialen Medien Themen setzen und Kampagnen orchestrieren, aber gleichzeitig diejenigen einbinden, die spontan mitmachen wollen. Dadurch wirkt sie sehr offen und fluide.

Die Social-Media-Manager oder Kampagnenleiter in der rechten Szene sind dabei auch erstaunlich transparent. Sie halten sogar Vorträge darüber, die man auf YouTube finden kann, wie sie mit Memes Menschen radikalisieren.

Wie kann ein Radikalisierungsprozess im Netz ablaufen?

Kai Denker: Es beginnt oft sehr niedrigschwellig. Viele Internet-Meme erscheinen zunächst harmlos, und man erkennt die problematischen Inhalte nur mit entsprechendem Hintergrundwissen. Wer neugierig ist und rechtsoffen, bewegt sich dann über z.B. Podcasts, Foren und Telegram-Kanälen immer tiefer in die Szene hinein. Es ist kein gezieltes Ansprechen und Umdrehen von Menschen, sondern eher ein schrittweiser Prozess der Selbstradikalisierung.

Das Gefährliche ist: Diese Kommunikation funktioniert nur, wenn man bestimmtes Hintergrundwissen hat. Der Witz lässt sich oft nur verstehen, wenn man bestimmten Vorurteilen schon zustimmt. Durch die ständige Wiederholung werden diese Vorurteile dann verstärkt.

Wie müsste sich der linke Diskurs verändern, um eine ähnliche Attraktivität zu bekommen wie die rechten Accounts?

Kai Denker: Diejenigen, die linke Diskurse führen, sollten sich genau überlegen, ob sie das wollen. Man muss nicht bei allem mitmachen. Man kann sich bewusst dagegen entscheiden. Es ist möglich, auf Plattformen präsent zu sein, ohne auf bestimmte rechte Kommunikationsstrategien zurückzugreifen. Vieles dabei ist sehr verknappt und vereinfachend. Es werden Ressentiments und Gefühle adressiert, anstatt rational zu argumentieren. Durch die interpretative Offenheit der Meme werden schon existente Vorurteile aktiviert und durch die Wiederholung verstärkt. Die demokratische Seite muss etwas finden, das sich ebenfalls leicht in Menschen aktivieren lässt. So könnte man eigene positive Erzählungen etablieren. Zum Beispiel müsste die sozial-ökologische Transformation nicht als Bedrohung, sondern als Chance für lebenswertere Städte und Wohlstandserhalt vermittelt werden. Das ist jedoch ein Marathon und nichts, was sich mal eben für den nächsten Wahlkampf organisieren lässt.

Wie blicken Sie auf die Zukunft? 

Kai Denker: Ich bin verhalten pessimistisch. Ich nehme zwar wahr, dass die Sicherheitsbehörden, der Journalismus und der Gesetzgeber das Thema mittlerweile auf dem Schirm haben. Sie erkennen diese Form der hybriden Bedrohung an. Die NATO nennt es „cognitive warfare“ – also Angriffe auf unsere Entscheidungsfähigkeiten und Werte. Das Problem ist, dass wir zu langsam lernen, um etwa für die nächste Bundestagswahl gewappnet zu sein.

Gleichzeitig gibt es noch viel Forschungs- und Aufklärungsbedarf. Es braucht eine stärkere Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gegen Rechtsextremismus arbeiten. Wir müssen die Basis unserer demokratischen Gesellschaft aktiv mitfinanzieren – das ist nicht mit warmen Worten getan.

„The funny participatory fascism“

How the Right-Wing Scene Utilizes Internet Culture

An Interview by Katarina Neher (21.Feb.2025)

Kai Denker has been researching right-wing extremist internet culture for years at TU Darmstadt and coordinates the MISRIK project (Memes, Ideas, Strategies of Right-Wing Extremist Internet Communication). This project, in collaboration with JGU Mainz and the University of Public Management and Security in Wiesbaden, investigates the online communication of right-wing activists. In this interview, he discusses the mobilization strategies of the AfD, the role of memes, and explains why right-wing parties are more successful on social media than established parties.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Mr. Denker, you have been researching right-wing extremist internet communication for years. What led you to this field of study?

Kai Denker: It all started with a scandal at the Frankfurt Book Fair a few years ago when several publishers associated with the far-right scene had booths there. I was sick in bed at the time and followed the discussion on Facebook. I noticed how systematic and orchestrated the people supporting these right-wing publishers were. The profiles were strikingly similar—often featuring animal pictures and hardly any other content. The arguments used were also very similar, and they placed great importance on always having the last word. Later, I came across the Handbook for Media Guerrillas, a compilation of chat logs from the right-wing scene. In it, there was a clear directive: “Always have the last word.” That caught my attention, and I began wondering what was really going on.

The AfD has particularly high approval ratings among young people. How do you explain this trend?

Kai Denker: The AfD has mastered the art of exploiting the typical communication styles of social media. But we must also acknowledge that this is partly due to the failure of democratic parties, which ignored platforms like TikTok for far too long, essentially leaving them to the AfD. The AfD operates in a highly systematic manner. In our research project MISRIK, we conducted interviews with former members. One ex-AfD employee told us that their Bundestag speeches are deliberately designed to be easily transformed into internet memes that spread well on TikTok. The AfD has learned a lot about handling social media. They address topics that matter to young people in a highly emotionalized way—unfortunately, it works.

What are the mobilization strategies of the AfD?

Kai Denker: A key aspect is what is known as metapolitics—the attempt to influence areas that are not explicitly political but instead shape values and trends. The term actually originates from left-wing theory but was adopted by the right-wing scene as early as the 1960s. Back then, social media was, of course, not on their radar. Over the past 15 years, however, the right-wing scene has learned to use social media very skillfully. They rely heavily on imitation and viral dissemination.

Why do right-wing parties have an advantage in mobilizing people through social media?

Kai Denker: Until about a year ago, one could say they were better at it simply because they were doing it at all. Democratic parties are now catching up, but the right-wing scene had a head start and is more deeply rooted in internet culture overall. This is partly due to the fact that sections of gaming culture and certain internet platforms have shifted to the right in recent years. However, it’s not as if the right-wing scene suddenly appeared and corrupted an otherwise innocent internet culture. Instead, it was a mutual reinforcement of right-wing-leaning internet culture and targeted campaigns. It wasn’t just the AfD; other groups, such as the Identitarian Movement, were also highly skilled at this.

How does the dissemination of right-wing content work online?

Kai Denker: This is a complex issue. The right-wing scene uses humor and irony extensively. Their mobilization often happens in a decentralized manner. It’s almost like a game—but ultimately, it is blatant misanthropy. On the surface, they create colorful, humorous images, but the underlying goal is to undermine people’s fundamental rights. A colleague of mine once described this as

To be absolutely clear: We need to abandon the outdated image that one person gives the orders and everyone else simply follows. That’s not how the far-right operates, and it never has. Looking back, there’s often this perception that nothing happened in Nazi Germany without Hitler’s direct command—that’s incorrect. Even historical National Socialism relied heavily on self-radicalization and self-mobilization. Today’s right-wing scene can set topics and orchestrate campaigns on social media while simultaneously involving people who spontaneously want to participate. This makes them appear open and fluid.

What’s particularly striking is how transparent the social media managers and campaign strategists in the right-wing scene are. Some even give lectures on YouTube explaining how they use memes to radicalize people.

How does the process of radicalization work online?

Kai Denker: It often starts in a very subtle way. Many internet memes initially seem harmless, and you only recognize the problematic content if you have the necessary background knowledge. People who are curious and already somewhat receptive to right-wing ideas gradually move deeper into the scene through platforms like podcasts, forums, and Telegram channels. It’s not about directly recruiting or converting people—it’s a gradual process of self-radicalization.

What makes it so dangerous is that this form of communication only works if you already possess a certain amount of background knowledge. The humor is often only understandable if you already agree with certain prejudices. Through constant repetition, these prejudices become reinforced.

How would the left need to change its discourse to be as appealing as right-wing accounts?

Kai Denker: Those who engage in left-wing discourse should first ask themselves if they even want to adopt similar methods. You don’t have to play along with everything. You can deliberately choose not to. It is possible to be present on these platforms without adopting certain right-wing communication strategies. Much of it involves oversimplification and emotional appeal rather than rational argumentation. Right-wing memes are designed to be open to interpretation, activating existing prejudices and reinforcing them through repetition. Democratic forces need to find something that can similarly resonate with people. For example, instead of framing socio-ecological transformation as a threat, it should be presented as an opportunity for more livable cities and long-term prosperity. However, this is a marathon, not something that can be quickly organized for the next election campaign.

How do you view the future?

Kai Denker: I am cautiously pessimistic. I do see that security agencies, journalists, and lawmakers are now more aware of the issue. They recognize this form of hybrid threat. NATO even refers to it as “cognitive warfare”—meaning attacks on our ability to make decisions and uphold values. The problem is that we are learning too slowly to be truly prepared for the next federal election.

At the same time, much more research and public education are needed. Civil society organizations fighting right-wing extremism need stronger support. We must actively fund the foundation of our democratic society—warm words alone won’t suffice.

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