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“Ich möchte den tödlichen Witz entwickeln!”

von Elias Mantwill und Linus Moerschel (17.07.2024)

Martin Sonneborn ist Satiriker und war von 2000 bis 2005 Chefredakteur des Satiremagazins “Titanic”. Dort machte er sich vor allem durch die angebliche Beeinflussung von Fußball WM-Funktionären und die vermeintlich dadurch entstandene Heim-WM 2006 einen Namen. Gemeinsam mit anderen Redakteuren des Magazins gründete der damals 39-Jährige im Jahr 2004 “Die PARTEI” und ist seitdem politisch aktiv. Seit 2014 sitzt der gebürtige Göttinger im Europäischen Parlament.

Elias Mantwill und Linus Moerschel haben mit Martin Sonneborn darüber gesprochen, was für ihn Satire bedeutet, welche Grenzen diese hat und wie er Satire in der Politik verwenden möchte.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Elias:
Wenn ich Sie treffe, treffe ich da den Menschen oder den Satiriker Martin Sonneborn?

Martin Sonneborn:
Ich glaube, es gibt da keinen allzu großen Unterschied. Ich bin ein Mensch, manche sagen sogar ein Politiker, und ich arbeite mit satirischen Mitteln. Ganz einfach, weil sich das auszahlt. Reden verbreiten sich wesentlich besser, wenn man sie mit einem kleinen Witz versieht und das gleiche gilt dann für die Kritik an der EU.

Elias:
Glauben Sie, dass die Satire dadurch mehr erreichen kann als herkömmlicher Journalismus?

Sonneborn:
Einerseits schon, andererseits sind natürlich die Kapazitäten in der Satire sehr begrenzt. Wir haben ein endgültiges Satiremagazin “Titanic” mit sieben oder acht Redakteursstellen, es gibt den “Eulenspiegel” im Osten, es gibt einige Sendungen im Fernsehen. Aber es handelt sich nicht überall um Satire, es gibt viel Klamauk, Comedy und viel Mainstreamkritik, die die Regierungssicht übernimmt. Das ist nicht die Aufgabe von Satire. Mir gibt es zurzeit nicht genug aggressive Satire, die sich mit der Regierungspolitik auseinandersetzt.

Elias:
Wie sehen Sie die Gefahr, dass Satire als Fake News verstanden wird? Gibt es da die Gefahr, dass Satire falsch verstanden wird?

Sonneborn:
Die gibt es bestimmt immer. Wir haben uns bei der Titanic immer gefreut, wenn Satire falsch verstanden wurde und Leute das für bare Münze genommen haben, was wir machen. Ich bin eigentlich kein Freund davon, Fake News zu verteufeln und mit viel Aufwand zu bekämpfen, weil ich sehe, dass in der EU vieles, was eigentlich als Kritik an EU-Zuständen gedacht ist, als Fake News deklariert wird. Ich glaube, es haben immer Leute Satire missverstanden. Das ist aber auch kein Problem.

Linus:
Gibt es bei Satire einen zu großen Interpretationsspielraum und die Gefahr, dass Leute die Satire falsch interpretieren?

Sonneborn:
Es wird sicherlich immer Leute geben, die Satire missverstehen, aber man sollte seine Satire nicht danach ausrichten. Wir können uns nicht am Dümmsten orientieren. Im Gegenteil, wir sind dafür, Leute zu überfordern. Wenn ich als Leser anfange, mich mit einer Sache, die ich witzig finde, auseinanderzusetzen, erstmal nur darüber lache, dann aber auch die Hintergründe erkunden will… Im besten Fall bringen wir ja auch Leute dazu, sich kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen. Aber ich würde jetzt die Leute, die einen Witz missverstehen, nicht zum Anlass nehmen, den Witz beim nächsten Mal nicht mehr zu machen.

Elias:
Wann ist eine Grenze zwischen Ernst und Satire erreicht?

Sonneborn:
Die Grenzen der Satire? Es gab eine Standardantwort auf diese Frage, weil sie einem Satiremagazin sehr oft gestellt wurde. Wir hatten bei Titanic mal Besuch von Redakteuren eines katholischen Wochenblattes und die haben nach der Grenze der Satire gefragt. Unser Zeichner, der heutige FAZ-Zeichner Achim Greser, hat damals gesagt, lediglich Witze über seine Mutter würden niemals ins Heft kommen. Wir haben sofort zwei Reporter losgeschickt, um seine Mutter zu besuchen, aber die war dann nicht da. Es gibt eigentlich keine feststehenden Grenzen. Sie müssen von Fall zu Fall ausgelotet werden und verschieben sich auch ständig.

Elias:
Aber haben Sie bestimmte ethische Grenzen? Teilweise kam es ja schon, wie bei Charlie Hebdo, dazu, dass es für viele Leute zu weit ging. Gibt es also Sachen, über die Sie nicht sprechen würden oder die Sie für Satire ausschließen?

Sonneborn:
Grundsätzlich nicht. Ich finde, man muss dann letztlich im Einzelfall entscheiden, ob man etwas beantworten kann oder nicht, aber ich würde jetzt überhaupt kein Themengebiet absolut ausnehmen von satirischer Betrachtung.

Elias:
Gab es dann aber Aktionen, die Sie im Nachhinein bereut haben?

Sonneborn:
Ich habe nach dem Sturm auf das Capitol in den USA ein Bild von einem T-Shirt veröffentlicht, das eigentlich dezidiert antiamerikanisch gemeint war, das aber hier als antiasiatisch aufgefasst wurde. Es spielte eigentlich darauf an, dass Donald Trump damals in den USA praktisch permanent gegen China hetzte. Ich bin nämlich ein großer Fan von Völkerverständigung und verstehe die Aggressionen gegen China, die auch in unseren Zeitungen stattfinden, eigentlich nicht. Trump hat damals seine Wahlkampfartikel zu günstigen Preisen aus China bezogen und sogar noch die Einfuhrzölle heruntergesetzt – um dann mit denen gegen China zu polemisieren. Das war sehr lustig. Aber das T-Shirt würde ich heute nicht mehr veröffentlichen, weil das einfacher viel Zeit, viel Nerven und viel Arbeit gekostet hat damals. Sonst fällt mir jetzt spontan nichts ein.

Foto: Linus Moerschel

Linus:
Gibt es Themen, die Sie für sehr ernst halten und deshalb satirisch nicht darauf eingehen? Auf Social Media äußern Sie sich eher kritisch zum Thema Julian Assange. Sind es Themen wie diese, die sie realistisch und mit bestimmten Grenzen betrachten?

Sonneborn:
Das ist wahrscheinlich meinem Alter geschuldet und dem Einblick, den ich in die europäische Politik habe. Eine gewisse Frustration führt dazu, dass nicht mehr alles komisch ist, was wir machen. Im Falle Julian Assange, der jetzt gerade entlassen wird, stehen die Menschenrechte, stehen die europäischen Werte, steht unsere Pressefreiheit auf dem Spiel. Das wird aber nicht reflektiert in deutschen Medien. Genau wie im Falle von Bergkarabach, einer kleinen Enklave, einer kleinen Gelehrtenrepublik im Kaukasus. Ich habe sie zwei Mal besucht. Ein Parlament mit sehr vielen Professoren, höfliche, friedliche Demokraten. Die beste Demokratie in der Region. Sie ist von unserem ‚Wertepartner‘ Aserbaidschan, einer absolut brutalen Öldiktatur, die der Diktator Ilham Alijew von seinem Vater geerbt hat, überfallen worden. Da wurden 120.000 Armenier über neun Monate ausgehungert, dann bombardiert und vertrieben. Und es gibt bei uns in Deutschland praktisch keine Berichterstattung darüber und wenn, dann nur halbwahre oder kenntnisfreie. In diesen beiden Fällen hat praktisch niemand darüber berichtet, so dass wir uns gezwungen sahen, auch mit nicht-satirischen Mitteln zu arbeiten. Diesen Vorwurf mache ich mir zu eigen.

Elias:
Betrachten Sie in Ihrem Leben wirklich alles mit Humor?

Sonneborn:
Ich glaube überwiegend schon. Das ist halt eine Charakterfrage. Ich habe mal in einem Interview gesagt, dass es vier, fünf Methoden gibt, um auf den zunehmend irrsinniger werdenden Kapitalismus zu reagieren. Das ist der Gang in den bewaffneten Untergrund, der Griff zur Flasche, also Alkoholismus. Sie können Politik betreiben oder sie können in die Satire gehen. Und die Leute, die Satire als Notwehr auf dieses System begreifen, finden sich irgendwann bei der Titanic. Das ist etwas Befreiendes, wenn man über eine Sache, die einen wirklich stört, zumindest einen guten Witz machen kann.

Elias:
Wie wichtig finden Sie Satire als Mittel der Politik? Ist es nur Mittel zum Zweck, um Wähler zu gewinnen?

Sonneborn:
Es wird ja praktisch von niemandem genutzt, außer von uns. Hoffe ich. Es ist ja auch nicht die Aufgabe von Politikern, unterhaltsam zu sein. Für unsere Partei, die PARTEI, sind gute Wahlergebnisse Betriebsunfälle, die uns helfen, Strukturen aufzubauen. Aber wir richten unsere Arbeit nicht auf Prozente oder Wahlergebnisse aus, die kamen immer hinterher. Wir machen das, was wir für richtig befinden: Aus einem humanistischen Blickwinkel heraus Dinge kritisieren. Und wenn Leute uns wählen, freut uns das natürlich.

Linus:
Wie wichtig ist es für die Politik, dass Satire als Mittel verwendet wird?

Sonneborn:
Ich finde überhaupt nicht, dass es ein Mittel sein oder werden sollte. Von  Politikern verlange ich nicht, dass sie mich unterhalten oder gut aussehen, dass sie eine Visagistin haben, wie unsere Außenministerin für 137.000 Euro im Jahr. Ich verlange von Politikern, dass sie solide Sacharbeit leisten. Dass sie sich für Frieden einsetzen und die Sozialstandards in Deutschland verbessern und gegen Ungleichheit kämpfen. Nicht, dass sie in Talkshows brillieren. Ich verlange, dass sie uns, die Bürger, repräsentieren, das ist der Anspruch, den man stellen muss.

Elias:
Was ist dann der Grund dafür, dass Sie in die Politik gegangen sind?

Sonneborn:
Ich bin abgerutscht. Ich habe als Chefredakteur bei Titanic eine Partei gegründet und es war überhaupt nicht abzusehen, dass wir irgendwann mal an Wahlen teinehmen oder Mandate erringen würden. Es ist einfach eine aus dem Ruder gelaufene Titanic-Aktion.

Elias:
Haben Sie noch gewisse Ziele, die Sie in Zukunft erreichen möchten, sowohl als Satiriker, als auch als Politiker?

Sonneborn:
Ich möchte den tödlichen Witz entwickeln, den Monty Python mal, glaube ich, noch nicht öffentlich zu Gehör gebracht hat. Und andererseits die Macht in Europa übernehmen, um das ganze Unterfangen zu einem friedlichen und guten Ende zu bringen.

English version (automated translation):

“I want to develop the deadly joke!”

by Elias Mantwill and Linus Moerschel (17.07.2024)

Martin Sonneborn is a satirist and was the editor-in-chief of the satire magazine “Titanic” from 2000 to 2005. He made a name for himself there, especially through the alleged influence on FIFA officials, which supposedly led to Germany hosting the 2006 World Cup. In 2004, together with other editors of the magazine, the then 39-year-old founded “The PARTY” and has been politically active ever since. Since 2014, the native of Göttingen has been a member of the European Parliament.

Elias Mantwill and Linus Moerschel spoke with Martin Sonneborn about what satire means to him, its boundaries, and how he intends to use satire in politics.

illustration: Margo Sibel Koneberg

Elias:
When I meet you, am I meeting the person or the satirist Martin Sonneborn?

Martin Sonneborn:
I believe there’s not much of a difference. I’m a person, some even say a politician, and I work with satirical means. Simply because it pays off. Speeches spread much better when you add a little joke, and the same applies to criticism of the EU.

Elias:
Do you think satire can achieve more than traditional journalism?

Sonneborn:
On one hand, yes, but on the other hand, the capacities in satire are very limited. We have an ultimate satire magazine, “Titanic,” with seven or eight editor positions, there’s the “Eulenspiegel” in the East, and some TV shows. But not everything is satire; there’s a lot of slapstick, comedy, and mainstream criticism that adopts the government’s view. That’s not the role of satire. I currently find there isn’t enough aggressive satire addressing government policies.

Elias:
How do you see the risk that satire could be understood as fake news? Is there a danger of satire being misunderstood?

Sonneborn:
There’s always that risk. At “Titanic,” we were always happy when satire was misunderstood and people took what we did at face value. I’m actually not a fan of demonizing and fighting fake news with great effort because I see that in the EU, much of what is actually intended as criticism of EU conditions is labeled as fake news. I believe people have always misunderstood satire. But that’s not a problem.

Linus:
Is there too much room for interpretation in satire, and is there a risk that people might misinterpret it?

Sonneborn:
There will always be people who misunderstand satire, but one shouldn’t tailor satire to them. We can’t cater to the lowest common denominator. On the contrary, we aim to challenge people. If I, as a reader, start engaging with something I find funny, laughing at it first, and then wanting to explore the background… In the best case, we get people to critically engage with issues. But I wouldn’t stop making a joke just because some people misunderstand it.

Elias:
When is a boundary between seriousness and satire reached?

Sonneborn:
The boundaries of satire? There was a standard answer to this question because it was often asked of a satire magazine. At “Titanic,” we once had a visit from editors of a Catholic weekly magazine, and they asked about the limits of satire. Our cartoonist, Achim Greser, who now works for the FAZ, said back then that jokes about his mother would never appear in the magazine. We immediately sent two reporters to visit his mother, but she wasn’t there. There are no fixed boundaries. They must be explored case by case and are constantly shifting.

Elias:
But do you have certain ethical boundaries? There have been instances, as with Charlie Hebdo, where many felt it went too far. Are there things you wouldn’t talk about or exclude from satire?

Sonneborn:
Fundamentally, no. I think one ultimately has to decide on a case-by-case basis whether something can be answered or not, but I wouldn’t exclude any topic from satirical consideration.

Elias:
Have there been actions you regretted afterward?

Sonneborn:
After the storming of the Capitol in the USA, I posted a picture of a T-shirt that was actually meant to be anti-American but was perceived as anti-Asian here. It was supposed to reflect Donald Trump’s constant ranting against China in the USA. I’m a big fan of intercultural understanding and don’t understand the aggression against China, which also appears in our newspapers. Trump sourced his campaign merchandise cheaply from China and even reduced import tariffs to then polemicize against China. It was very funny. But I wouldn’t post the T-shirt today because it caused a lot of time, nerves, and work back then. Otherwise, nothing comes to mind spontaneously.

photo: Linus Moerschel

Linus:
Are there topics you consider too serious to address satirically? On social media, you are rather critical about Julian Assange. Are these topics you view realistically and with certain boundaries?

Sonneborn:
That’s probably due to my age and the insight I have into European politics. A certain frustration leads to not everything we do being funny. In the case of Julian Assange, who is currently being released, human rights, European values, and our press freedom are at stake. But this is not reflected in German media. Just like in the case of Nagorno-Karabakh, a small enclave, a small scholarly republic in the Caucasus. I visited it twice. A parliament with many professors, polite, peaceful democrats. The best democracy in the region. It was attacked by our ‘value partner’ Azerbaijan, an absolutely brutal oil dictatorship inherited by dictator Ilham Aliyev from his father. 120,000 Armenians were starved for nine months, then bombed and expelled. And there is practically no reporting on this in Germany, and if there is, it’s half-truths or uninformed. In these two cases, practically no one reported on it, so we felt compelled to work with non-satirical means. I take this reproach to heart.

Elias:
Do you really view everything in your life with humor?

Sonneborn:
Mostly, yes. It’s a matter of character. I once said in an interview that there are four or five methods to respond to increasingly insane capitalism. You can go underground, turn to alcohol, engage in politics, or go into satire. And the people who see satire as self-defense against this system eventually find themselves at “Titanic.” It’s liberating to make a good joke about something that really bothers you.

Elias:
How important do you find satire as a means of politics? Is it just a means to an end to win voters?

Sonneborn:
Practically no one uses it, except us. I hope. It’s not the job of politicians to be entertaining. For our party, “The PARTY,” good election results are accidents that help us build structures. But we don’t focus our work on percentages or election results; they always came afterward. We do what we think is right: criticize things from a humanistic perspective. And if people vote for us, we’re pleased.

Linus:
How important is it for politics to use satire as a tool?

Sonneborn:
I don’t think it should be a tool at all. I don’t expect politicians to entertain me or look good, to have a makeup artist like our foreign minister for 137,000 euros a year. I expect politicians to do solid work, to strive for peace, improve social standards in Germany, and fight inequality. Not to shine in talk shows. I expect them to represent us, the citizens, that’s the expectation one should have.

Elias:
Then what’s the reason you entered politics?

Sonneborn:
I slipped into it. As editor-in-chief at “Titanic,” I founded a party, and it was never foreseeable that we would ever participate in elections or win mandates. It’s simply an out-of-control “Titanic” action.

Elias:
Do you still have certain goals you want to achieve in the future, both as a satirist and as a politician?

Sonneborn:
I want to develop the deadly joke that Monty Python, I believe, hasn’t yet made public. And on the other hand, take power in Europe to bring the whole endeavor to a peaceful and good end.“

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