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Identität. Stil. Ausbeutung.

von Yasmin Can (04.12.2024)

Ich liebe Mode. Bereits als Kind hatte ich den Traum, Modedesignerin zu werden. Das ging so weit, dass ich meine eigene Kleidung zerschnitten, gefärbt oder mit Strass verziert habe. Mein Endgegner war jedoch meine genervte Mutter – nicht die knallharte Modewelt. Viele von uns haben ihren inneren Karl Lagerfeld bei Top-Model-Büchern herausgelassen oder Spaß am Verkleiden gehabt. Vielleicht saß deine Familie auch mehr oder weniger gezwungen auf dem Sofa und hat sich deine Modenschau bis zum Ende angesehen.

Illustration: Katharina Nüßlein

Die glitzernde Welt der Mode

Kleidung ist mehr als ein Stück Stoff. Sie verleiht uns persönlichen Ausdruck. Wir erleben Momente in ihnen und koppeln Erinnerungen an Kleidungsstücke. Mit Mode kann man Geschichte schreiben. Das „Kleine Schwarze“ von Coco Chanel oder die eigenartigen Kreationen der Mode-Ikone und Aktivistin Vivienne Westwood: Das glitzernde Symbol aus einem Reichsapfel und einem Saturnring, das die Vergangenheit und Zukunft repräsentieren soll, verziert bis heute Taschen und Kleidung oder ist als beliebtes Schmuckstück zu sehen. 

Kauft weniger, wählt sorgfältiger aus, nutzt es länger!“, forderte Vivienne Westwood. Mit ihrem Umweltbewusstsein inspirierte die Punk-Modedesignerin die Fashion-Branche immer wieder aufs Neue. Westwood war darauf bedacht, keine weiteren Geschäfte zu öffnen und somit mehr Kleidung zu produzieren. Seit den 1970er Jahren steht der einzige Laden von Vivienne Westwood namens „World’s End“ in London. Außerdem achtete die Modedesignerin darauf, nur Leute einzustellen, die ihr halfen, umweltschonendere Materialien zu nutzen, denn „niemand braucht das alles“. 

Die Schattenseiten der Textilindustrie

Heutzutage hat sich eine „Wegwerfkultur“ entwickelt, die vollkommen nach Überkonsum und Ausbeutung stinkt. Aktuelle Mode ist nach ein paar Wochen überholt und neuere Kleidung ist im Trend. Der Modekonsum hat sich seit den 2000er Jahren fast verdoppelt und der Preis für ein Kleidungsstück ist zu 70 Prozent gesunken. Aber klar – außer, dass wir viel mehr kaufen, für einen niedrigeren Preis, sagen mir diese Zahlen auch nichts. Schreiben wir es also mal um: Pro Sekunde wird eine komplette LKW-Ladung mit Kleidung vernichtet, laut EU-Studien. Eine Näherin in Bangladesch verdient monatlich 46 Euro. Das reicht nicht einmal für eine einfache Lebensweise aus. Nur 1,57 Euro müsste ein T-Shirt mehr kosten, damit eine Näherin von ihrem Gehalt leben könnte. 55 Menschen sind an der Produktion von einem T-Shirt beteiligt. Zudem sind Schneider:innen giftigen Chemikalien ausgesetzt und haben neben den grottigen Löhnen auch kaum Pausen und täglich über zwölf Arbeitsstunden.

In Gedenken an den tragischen Einsturz der Textilfabrik „Rana Plaza“ in Bangladesch am 24. April 2013, erinnert sich die Co-Gründerin von Fashion Revolution Carry Somers an Folgendes: „Aktivist:innen mussten damals in den Trümmern nach Kleidungsetiketten suchen, um zu beweisen, welche Marken dort produzieren ließen. Das machte mir klar, dass die dort Arbeitenden unsichtbar waren und, dass der Mangel an Transparenz und Verantwortung in der globalen Lieferkette der Modebranche Menschenleben kostete.“
Bei dem Unglück starben mehr als eintausend Menschen.

Keine Aussicht auf Besserung?

Was hat sich seitdem getan? Es wurde schlimmer. Da der Mindestlohn in Bangladesch erhöht wurde, wurden die Fabrikkosten für die Betreiber teurer. Die Löhne der Arbeitenden sanken seitdem über acht Prozent. Nicht nur die sozialen Schattenseiten haben Auswirkungen auf Mensch und Umwelt; die Umweltsünderin, die Textilbranche, bringt weitere zentrale Probleme mit sich. Bei der Herstellung von Fasern und Garnen unterscheidet man zwischen pflanzlichen und chemischen Stoffen. Pflanzliche Fasern, die oft aus Baumwolle gewonnen werden, verbrauchen viel Wasser. Bei der Produktion werden auch Pestizide eingesetzt, die nicht umweltschädlicher sein können. Allein die Produktion von einem Baumwollshirt verbraucht ganze 2.700 Liter. So viel Wasser kann man gar nicht trinken. Baumwolle ist auf den zweiten Blick gar nicht mal so geil, wie einem erzählt wird.

Dann haben wir noch die Chemiefasern aus Polyester. Das Schlimmste an Polyester ist nicht das Trikot, das verschwitzte Personen im Hochsommer drei Tage hintereinander tragen, sondern die Herstellung. Die synthetischen Fasern werden aus Erdöl oder -gas hergestellt. Erhebliche Emissionen, ein hoher Energieverbrauch, immenser Abwasseranfall – und die Liste geht weiter. Wusstet ihr, dass recyceltes Polyester nicht aus ehemaligen Kleidungsstücken, sondern aus PET-Flaschen besteht? Da ist das Pfand tatsächlich innovativer. 

Greenwashing und das Problem mit großen Modehäusern

Das hört sich alles nicht gut an. Was versucht man also umzusetzen?
Modeaktivist:innen haben einiges zu tun. Die Kreislaufwirtschaft bietet eine Chance. Sie soll die Umweltbelastung minimieren, Rohstoffe schonen und die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Die Betonung liegt hierbei auf “soll”. 

Gibt es bereits Erfolge? Schwierig. Zahlreiche große Modehäuser beschränken sich auf das Recyceln. Damit bleibt der Konsum und der Umsatz unangetastet. Sehr schwierig. Greenwashing ist DIE Option für Modemarken. H&M, Shein, Zara und viele mehr sind Vorreiter dieser Manipulation. Bei einigen Läden kann man eine Tüte voller Kleidungsstücke abgeben, die man nicht mehr anziehen möchte. Als Belohnung bekommt man einen Rabattgutschein, um noch mehr wirtschaftlichen Profit und Umweltschaden anzurichten. Eine absolute Scheinlösung. Aktivist:innen von Greenpeace fordern realistische Umsetzungen. 

Ein Appell der Hoffnung

Die EU-Kommission will zu Nachhaltigkeit verpflichten und der Textilindustrie den Krieg erklären. Bis 2030 sollen nur langfristige Kleidungsstücke, die kreisläufig gestaltet wurden, auf dem Markt vorhanden sein. Zudem sollen der Umweltschutz und soziale Rechte gewährleistet sein. Für den kompletten Umschwung und Umbau der versifften Textilindustrie hat die EU ein halbes Jahrzehnt Zeit. Klar, dass das nicht funktionieren wird. Dass die Regierung unrealistische Ziele formuliert, die man nicht umsetzen kann, stellt alles in Frage. Wir, die deutsche Bundesrepublik, sind Vorreiter in einigen großen Branchen. Ob wir den Umschwung in der Mode- und der Textilindustrie umweltfreundlich umsetzen können, bleibt fraglich. Auf unserem Arsch, wie sonst auch, faul hocken zu bleiben, ist also keine Option. Das wird nicht funktionieren. Jede:r Einzelne von uns muss was machen. Und eigentlich ist es nicht schwierig. Wir müssen einfach nur weniger Geld ausgeben und unsere negativen Gefühle aus dem Alltag nicht mit Konsum befriedigen. Wenn es um Modeaktivismus geht, reden wir nicht nur von dem gesellschaftlichen Druck, zu einer Gruppe dazuzugehören oder auf Social Media mehr Likes durch Shein-Hauls zu generieren. Man ist auch nicht cooler, wenn man eine Jacke mit einem Nike-Logo anstatt ohne trägt. Aus dem Alter sind wir raus. Das sollte keine Rolle mehr spielen. 

Ich für meinen Teil überlege mir zweimal, ob ich mir etwas kaufen möchte und ob ich es auch wirklich brauche. Wer Interesse an Mode hat und in Zukunft noch seine Leidenschaft ausleben will, muss etwas ändern. Und wir haben das Internet. Vielleicht solltest du deine Zeit nicht mit Memes oder Welpenvideos verschwenden. Nutze deine Chancen, ansonsten sind wir eh verloren. Mode ist kreativ. Mode ist individuell. Mode ist ausdrucksstark. Mode hat keine weiße Weste. Denk darüber nach. 

English version (automated translation):

Identity. Style. Exploitation.

By Yasmin Can (04.12.2024)

I love fashion. Ever since I was a child, I dreamed of becoming a fashion designer. It went so far that I would cut up, dye, or decorate my own clothes with rhinestones. My ultimate opponent, however, was my exasperated mother—not the cutthroat fashion world. Many of us have unleashed our inner Karl Lagerfeld with Top Model books or simply enjoyed playing dress-up. Maybe your family was also more or less forced to sit on the couch and watch your fashion show all the way through.

Illustration: Katharina Nüßlein

The Glittering World of Fashion

Clothing is more than just a piece of fabric. It allows us to express ourselves. We experience moments in it and attach memories to garments. Fashion can make history: Coco Chanel’s „little black dress“ or the eccentric creations of fashion icon and activist Vivienne Westwood. Her glittering orb symbol—combining a royal apple with a Saturn ring to represent past and future—continues to adorn bags, clothing, and popular jewelry to this day.

„Buy less, choose well, make it last!“ Vivienne Westwood urged. Her environmental consciousness repeatedly inspired the fashion industry. Westwood was adamant about not opening more stores to avoid producing more clothing. Since the 1970s, her one and only store, “World’s End,” has stood in London. She also hired people committed to helping her use eco-friendlier materials because, as she put it, „nobody needs all this.“

The Dark Side of the Textile Industry

Today, a throwaway culture has developed, reeking of overconsumption and exploitation. Fashion becomes outdated within weeks, replaced by new trends. Since the 2000s, fashion consumption has nearly doubled, while clothing prices have dropped by 70%. These numbers might not mean much at first glance. Let’s break it down: every second, a truckload of clothing is destroyed, according to EU studies. A garment worker in Bangladesh earns 46 euros a month—nowhere near enough for a basic standard of living. A t-shirt would need to cost only 1.57 euros more for a worker to earn a living wage. Fifty-five people are involved in producing a single t-shirt. These workers are often exposed to toxic chemicals, endure abysmal wages, have barely any breaks, and work over 12 hours a day.

The tragic collapse of the Rana Plaza textile factory in Bangladesh on April 24, 2013, claimed over 1,000 lives. Carry Somers, co-founder of Fashion Revolution, recalls: „Activists had to dig through the rubble for clothing tags to prove which brands were manufacturing there. That made me realize how invisible the workers were and how the lack of transparency and accountability in the global fashion supply chain was costing lives.“

No Signs of Improvement?

What has changed since then? Things have worsened. When the minimum wage in Bangladesh increased, factory costs rose, and workers’ wages dropped by more than 8%. The environmental cost of the textile industry remains immense.

Fiber and yarn production can involve either natural or synthetic materials. Natural fibers, such as cotton, consume vast amounts of water and are treated with highly toxic pesticides. Producing a single cotton shirt requires 2,700 liters of water. That’s more water than you could drink in a lifetime. On closer inspection, cotton is not as eco-friendly as it seems.

Then there are synthetic fibers like polyester. The worst thing about polyester isn’t the sweaty jersey someone wears for three consecutive days in summer—it’s the production process. Synthetic fibers are made from petroleum or natural gas, resulting in high emissions, energy consumption, and wastewater production. And no, recycled polyester doesn’t come from old clothes but rather PET bottles. Ironically, bottle deposits are more innovative than recycled polyester.

Greenwashing and the Problem with Big Fashion Houses

So, what’s being done? Fashion activists have their hands full. Circular economy initiatives aim to reduce environmental impact, conserve raw materials, and improve innovation and competitiveness. Emphasis on aim.

Success stories? Hardly. Many major fashion brands focus solely on recycling, leaving consumption and revenue untouched. Greenwashing is the go-to strategy for brands like H&M, Shein, and Zara. Some stores allow you to drop off unwanted clothes in exchange for discount vouchers—a façade that drives more consumption and environmental harm. Greenpeace activists demand real solutions.

A Call for Hope

The EU Commission plans to mandate sustainability and challenge the textile industry. By 2030, only durable and circularly designed clothing should be available, ensuring environmental protection and social rights. However, the timeframe for completely reforming the polluted textile industry is just five years—an unrealistic goal. As a leading nation in many industries, can Germany transition its fashion and textile sectors to be environmentally friendly? It’s unclear. One thing is certain: staying complacent is not an option. We all need to take action. It’s not difficult—spend less and avoid retail therapy as a coping mechanism. Fashion activism isn’t just about resisting societal pressure or chasing social media likes through Shein hauls. Wearing a jacket with a Nike logo doesn’t make you cooler. We’re beyond that phase—it shouldn’t matter anymore.

I, for one, think twice before buying something. Do I need it? Do I want it? If you care about fashion and want to enjoy your passion in the future, you have to change. And we have the internet—don’t waste it on memes or puppy videos. Use your opportunities; otherwise, we’re doomed anyway. Fashion is creative. Fashion is individual. Fashion is expressive. Fashion doesn’t have a clean conscience. Think about it.

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