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„Ins netz gegangen“ Teil 1: Digital Detox

Von Louisa Albert (12.Feb.2025)

Digital Detox: Über Sucht, FOMO und den Wunsch nach einer Pause.

Wir werden von ihnen geweckt, sie beschreiben uns den Weg zur Arbeit, vernetzen uns mit Freund*innen und erklären uns die Welt. Digitale Geräte bestimmen maßgeblich unseren Alltag und gerade das Smartphone ist zu einem dauerhaften Begleiter der meisten Menschen geworden. Zwar erleichtern Laptop, Handy und Co. viele Lebensbereiche, doch auch die negativen Auswirkungen der oft exzessiven Nutzung werden immer stärker diskutiert. Dabei geht es oft um schwindende Konzentrationsfähigkeit, Empathie, ein negatives Körperbild oder Korrelationen zu psychischen Krankheiten. Laut einer Bitkom-Studie aus dem vergangenen Jahr wünschen sich mehr als ein Drittel der Deutschen eine digitale Auszeit, oft auch Digital Detox (digitale Entgiftung) genannt. “Ich bin Handy-süchtig”, ist ein Satz, der in diesem Kontext häufig fällt. 

Illustration: Margo Sibel Koneberg

“Wir wollen keine Alltagshandlungen pathologisieren und Leuten ein Problem andichten, was sie nicht haben”, betont Christian Montag. Der Psychologe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Einfluss von Digitalisierung und KI auf die Gesellschaft und dem Thema digitales Wohlbefinden. „Ich glaube, wenn wir heute über Digital Detox sprechen, dann sprechen wir eher über viele Menschen, die sich vielleicht in einer Grauzone befinden oder für sich denken: Ich will da ein bisschen was ändern, mir ist das zu viel geworden. Jeder der in diesem Bereich eine suchtähnliche Thematik hat, verbringt sehr viel Zeit online, aber nicht jeder, der viel Zeit online verbringt, hat auch ein Problem.” Eine Internetsucht oder auch Internetnutzungsstörungen ist eine substanzunabhängige Verhaltenssucht, die als solche aber nicht offiziell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt wird. Eine Ausnahme bildet die Computerspiel-Abhängigkeit (Gaming Disorder). Um herauszufinden, ob das eigene digitale Nutzungsverhalten einer Sucht ähnelt, könne man jedoch Kriterien der Gaming Disorder auch auf andere Bereiche übertragen, sagt Christian Montag. “Hier gibt es verschiedene Aspekte, die ein Problemverhalten kennzeichnen. Der erste wäre Kontrollverlust: Eigentlich möchte ich meine Nutzung reduzieren, es gelingt mir aber nicht mehr. Der zweite Punkt ist eine komplette Priorisierung der Online-Aktivitäten gegenüber allen anderen Dingen, die einem vorher wichtig waren, zum Beispiel Hobbys. Und drittens wird mit dem exzessiven Verhalten weitergemacht, obwohl die ersten Einschläge schon zu spüren sind. Wir stellen uns hier jemanden vor, der bis tief in die Nacht am Telefon hängt, morgens vielleicht eine Klausur verschläft und dann aber nichts daraus lernt.” 

Wer ist anfällig für eine Handy-Abhängikeit?

Alter, Persönlichkeitsstrukturen und Motivlage würden den Hang zur exzessiven Nutzung beeinflussen, so Montag. Gerade jüngere Personen und solche mit neurotischer oder wenig gewissenhafter Persönlichkeit seien besonders anfällig. “Wir wissen, dass neurotische Personen eher zu negativen Emotionen im Alltag neigen. Sie sind eher gestresst und ängstlich und neigen eher zu depressiven Tendenzen. Eine der gängigen Ideen ist, dass wenn es mir schlecht geht, ich die digitalen Medien nutze, um mich abzulenken. Das wäre erstmal ein Bewältigungsstil. Aber wenn ich ab sofort immer zum Smartphone greife, wenn es mir schlecht geht, arbeite ich natürlich auch nicht an den Themen, die vielleicht dafür verantwortlich sind, dass es mir schlecht geht. Und so kann dann eine Teufelsspirale entstehen.” Dieser Eskapismus, also die Flucht aus der Realität, sei ein weit verbreitetes Motiv und oft ein erster Hinweis auf ein Suchtverhalten. Bei wenig gewissenhaften Personen spiele die fehlende Selbstregulation eine große Rolle. Wer sich leicht von Aufgaben ablenken lässt, verbringe schnell mehr Zeit am Smartphone. 

Digital Detox als Lösung?

Suchtdiagnose hin oder her – wie sinnvoll ist Digital Detox, wenn sich das eigene Nutzungsverhalten nicht mehr gut anfühlt? “Auf Dauer finde ich Digital Detox erstmal nicht besonders hilfreich“, sagt Christian Montag. “Natürlich gibt es Interventionen, die einem dabei helfen können, die Augen für ein Zuviel zu öffnen. Wenn Digital Detox aber bedeuten würde, dass wir permanent von Smartphone und co Abstinent bleiben, dann können wir in einer digitalen Gesellschaft nicht mehr bestehen.” Vielmehr sei es hilfreich, den Fokus auf bestimmte Apps zu richten, die für die ungesunde Nutzung verantwortlich seien, sagt Montag. “Das passt auch ein bisschen zur Aussage: Ein Alkoholiker ist nicht flaschenabhängig. Wir sind nicht smartphoneabhängig, sondern abhängig von bestimmten Applikationen.” Gerade Social-Media-Apps wie Instagram, Snapchat und TikTok spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Viele Nutzer*innen leiden unter dem Druck, ständig verfügbar zu sein oder dem dauernden Vergleich mit anderen. Christian Montag erzählt: “Wir haben eine Studie durchgeführt, in der wir weibliche Studienteilnehmende darum gebeten haben, lediglich die Social-Media-Apps vom Telefon zu löschen. Dort haben wir zum Beispiel gesehen, dass bereits nach zwei Wochen die selbst berichtete Körperunzufriedenheit runtergegangen ist. Möglicherweise weil man nicht mehr ständig mit geschönten Körperdialen auf den sozialen Medien konfrontiert war.” 

Bewusste Nutzung statt vollständigem Verzicht

Statt eines kompletten Verzichts könnten also schon eine bewusste Nutzung oder auch bewusste Pausen zwischendurch das eigene Wohlbefinden steigern. Die Kreativitätsforschung habe gezeigt, dass Gedanken besonders gut wandern können, wenn Menschen Zeit für sich alleine haben und ungestört sind, so Montag. Mind wandering nennt man diesen Zustand, bei dem die Gedanken abschweifen. Dieser könne auch bei einer kreativen Problemlösung im Alltag helfen. “Wenn uns aber eine Industrie dazu bringt, das Gerät ständig wieder in die Hand zu nehmen, weil ich es nicht mit mir alleine aushalte, dann findet auch kein mind wandering und auch keine Selbstreflektion mehr statt”, betont Montag und verweist auf die Designelemente der einzelnen Apps. “Die Tech-Industrie nötigt uns mit dem Plattformdesign, bestimmtes Verhalten zu zeigen. Das wird zum Beispiel durch Push Notification oder Lesebestätigungen ausgelöst.” Der Psychologe erklärt, dass schon eine Änderung dieser Designelemente, zum Beispiel das Ausstellen der Lesebestätigung bei WhatsApp, eine Nutzungsänderung mit sich ziehen könne. Ganz einfach sei das aber auch nicht. “Wenn ich weiß, ich kriege jetzt etwas nicht mehr mit, weil ich diese Designänderung gemacht habe oder sogar die App vom Telefon verbanne, dann ist durchaus davon auszugehen, dass die Fear of missing out erstmal steigt.” Die Fear of missing out (FOMO), also die Angst, etwas zu verpassen, ist ein häufiges Symptom, das mit dem digitalen Verzicht einhergeht. 

Zu wissen, wofür die neu gewonnene Zeit genutzt werden könne, sei wichtig, um auf Dauer das eigene Nutzungsverhalten zu verändern, betont Montag. “Tatsächlich hilft es, sich diese positiven Aspekte immer wieder vor Augen zu führen. Eine Möglichkeit wäre, sich die Vorteile als tägliche Erinnerung an den Kühlschrank zu pappen.” Verhaltensänderungen würden über kleine Schritte erfolgen, erklärt der Psychologe und ergänzt: “Ich sage nicht, wir sollten die Plattformen nicht nutzen, sie sind ja auch sinnvoll, um soziales Kapital aufzubauen und in heutigen Jobs auch ein integraler Kommunikationsbestandteil. Ich glaube, es geht mehr um diese Frage: Wie nutzen wir sie in einer Art und Weise, dass sie keine Überhand nehmen? Wie können wir von ihren Benefits profitieren und uns gleichzeitig  auf das Wesentliche im Alltag konzentrieren?“

Das eigene Nutzungsverhalten von Instagram und Co. zu verändern braucht also Zeit und vor allem Selbstreflektion. Zu erkennen, was genau das empfundene Unwohlsein auslöst und auf welche Aktivitäten wir im Alltag einen Fokus legen wollen, können erste Schritte hin zu einer gesünderen Nutzung sein. 

„Got caught“ Part one: digital detox

By Louisa Albert (12.Feb.2025)

Digital Detox: On Addiction, FOMO, and the Desire for a Break

They wake us up, guide us to work, connect us with friends, and explain the world to us. Digital devices play a central role in our daily lives, and the smartphone has become a constant companion for most people. While laptops, phones, and other digital tools make many aspects of life easier, the negative effects of excessive use are increasingly being discussed. Concerns often revolve around declining concentration, reduced empathy, negative body image, or correlations with mental health disorders. According to a Bitkom study from last year, more than a third of Germans wish for a digital break—often referred to as digital detox. “I’m addicted to my phone” is a phrase often heard in this context.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

„We don’t want to pathologize everyday behaviors or make people believe they have a problem when they don’t,“ emphasizes Christian Montag. The psychologist has spent years researching the impact of digitalization and AI on society, with a particular focus on digital well-being. „When we talk about digital detox today, we are mostly talking about people who feel they are in a gray area—people who think, ‚I want to change something, this is becoming too much for me.‘ Anyone struggling with an addiction-like issue spends a lot of time online, but not everyone who spends a lot of time online has a problem.“ Internet addiction, or Internet Use Disorder, is a behavioral addiction that is not officially recognized as such by the World Health Organization (WHO). The only exception is Gaming Disorder, which is classified as an official diagnosis. However, Montag explains that the criteria for gaming addiction can be applied to other areas of digital use as well. „There are several aspects that define problematic behavior. The first is loss of control: I want to reduce my usage, but I can’t. The second is a complete prioritization of online activities over everything else that was previously important—such as hobbies. And the third is continuing excessive behavior despite already experiencing negative consequences. Imagine someone who stays up all night on their phone, then sleeps through an important exam the next morning, but still doesn’t change their behavior.”

Who Is at Risk for Smartphone Addiction?

Age, personality traits, and individual motivation all influence the likelihood of excessive smartphone use, Montag explains. Younger individuals and those with neurotic or less conscientious personalities are particularly vulnerable. “We know that neurotic people tend to experience negative emotions more frequently. They are more prone to stress, anxiety, and depressive tendencies. One common theory is that when someone feels bad, they turn to digital media as a distraction. That’s a coping mechanism. But if I always grab my smartphone whenever I feel down, I never actually work on the underlying problems that make me feel bad in the first place. This can create a vicious cycle.” This form of escapism—the desire to escape reality—is a widespread motivation and often an early warning sign of addiction. People with low conscientiousness also struggle with self-regulation, which makes them more susceptible to smartphone overuse. “If you’re easily distracted from tasks, you’ll end up spending more time on your phone,” Montag adds.

Is Digital Detox the Solution?

Regardless of whether someone is struggling with addiction, what about digital detox—does it really help when our digital habits start feeling unhealthy?„In the long run, I don’t think digital detox is particularly effective,“ says Montag. „Of course, there are interventions that help people recognize when they’ve been using digital devices too much. But if digital detox meant permanently abstaining from smartphones and other devices, we wouldn’t be able to function in a digital society.“ Instead, he suggests focusing on specific apps that contribute to unhealthy usage patterns. „It’s similar to saying: An alcoholic isn’t addicted to the bottle itself. We aren’t addicted to smartphones; we’re addicted to certain applications.“ Social media apps like Instagram, Snapchat, and TikTok play a significant role in this context. Many users feel pressured to always be available or constantly compare themselves to others. Montag shares a study in which female participants were asked to delete only their social media apps from their phones. „After just two weeks, their self-reported body dissatisfaction had already decreased. Possibly because they were no longer constantly confronted with unrealistic beauty standards on social media.“

Conscious Use Instead of Complete Abstinence

Rather than quitting entirely, mindful usage and regular breaks could improve well-being. Research on creativity has shown that thoughts flow most freely when people have time alone and are undisturbed—a state known as mind wandering. This type of thinking helps with creative problem-solving in daily life. „But if an industry constantly tempts us to pick up our devices because we can’t stand being alone with our thoughts, then mind wandering and self-reflection disappear,“ Montag warns. He points to how app design influences user behavior. „Tech companies manipulate us through platform design—push notifications and read receipts, for example, encourage constant engagement.“ Simply turning off read receipts on WhatsApp can already change usage patterns, but Montag acknowledges that it’s not always that easy. „If I know I might miss out on something because I made a design change or deleted an app, my Fear of Missing Out (FOMO) might initially increase.“ FOMO—the fear of missing out—is a common reaction when people try to reduce their digital usage.

To make lasting changes, it’s important to have a plan for how to use the extra time gained. „It helps to remind yourself of the benefits regularly. For example, you could put a note on your fridge listing the positive effects.“ Behavioral changes happen in small steps, Montag explains, adding:„I’m not saying we shouldn’t use these platforms. They are useful for building social connections and are an integral part of modern communication. The real question is: How do we use them in a way that prevents them from taking over our lives? How can we benefit from them while still focusing on what really matters?“

Changing how we use Instagram, TikTok, and other apps takes time—and, most importantly, self-reflection. Recognizing what exactly causes discomfort and identifying which offline activities we want to prioritize can be the first steps toward a healthier digital lifestyle.

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