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„Ins Netz gegangen“ Teil 2: Überwachungskapitalismus

Von Louisa Albert (20.Feb.2025)

Der Überwachungskapitalismus oder wie wir uns an Tech-Unternehmen verkaufen

Das Internet ist ein mystischer Ort. Unsichtbare Netzwerke, gespannt über Ländergrenzen hinweg, über die tausende und abertausende Daten, Tag für Tag, von Server zu Server, von Endgerät zu Endgerät flackern. Ich habe nicht viel Ahnung von diesem digitalen Universum, es überfordert selbst mich als Digital Native oft und ehrlich gesagt interessieren mich die einzelnen Abläufe auch nicht sonderlich. Dennoch habe ich gewisse Ansprüche und Erwartungen. Dafür möchte ich einen Vergleich anführen. Ich interessiere mich nicht für Straßenbau oder für Verkehrsplanung. Trotzdem erwarte ich, wenn ich einen Fuß vor die Tür setze, nicht überfahren zu werden und wenn ich im Auto sitze, erwarte ich, dass Ampeln funktionieren und kein Chaos an der nächsten Kreuzung passiert. Meiner Erfahrung nach geht es vielen Menschen in unterschiedlichen Lebensbereichen so. Die Absprache unserer Gesellschaft lautet: Jede:r kümmert sich um ihren/seinen Bereich und so decken wir gemeinsam alles ab, sorgen für Sicherheit und erwarten diese auch. Doch wie sieht es mit unseren Erwartungen ans Internet aus? Täglich klicken wir auf “erlauben”, damit der nervige Cookies-Banner von der Webseite verschwindet, wir hinterlassen unsere Mailadresse auf Webseiten, um Newsletter zu abonnieren und teilen jeden noch so kleinen Aspekt unseres Privatlebens in den Sozialen Medien. Wo all diesen Daten landen? Mir egal, keine Ahnung, die wissen doch eh schon alles von mir. Schulterzucken, beschämtes Lachen.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

“Jeder Like wird ausgewertet, jedes Bild, das man hochlädt.”

Wir lassen uns in den Bann ziehen, vor allem von Social Media, verbringen Stunden auf Instagram, TikTok und Co. – aus Interesse, aber auch aus Angst, etwas zu verpassen. Fear of Missing out nennt man das. FOMO zu erzeugen – das ist von den Plattformen gewollt, schließlich liegt es in ihrem Interesse, die Nutzer:innen so lange wie möglich auf den Apps verweilen zu lassen. Eine höhere Nutzungszeit bedeutet eine größere Zeitspanne, in der Daten gesammelt werden können und in der Werbung ausgespielt werden kann: Das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke. Viele Menschen wissen mittlerweile, dass eine exzessive Internetnutzung problematisch sein kann, beobachtet Christian Montag. Der Psychologe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Einfluss von Digitalisierung und KI auf die Gesellschaft und dem Thema digitales Wohlbefinden. Die genaue Tragweite des Problems sei den meisten jedoch noch immer nicht bewusst, so Montag. “Die Industrie leuchtet alles aus, was man auf den Plattformen macht. Jeder Like wird ausgewertet, jedes Bild, das man hochlädt: Ob die schwarz-weiß oder bunt sind, welche Emotionen man zeigt und über welchen Worten man wie lange verweilt. Das scheint irgendwie niemanden mehr zu interessieren oder zumindest scheinen die Plattformen so attraktiv zu sein, dass die Leute in Kauf nehmen, überall ausspioniert zu werden.” 

Überwachungskapitalismus nennt das die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff. Seinen Ursprung habe diese Fortführung der kapitalistischen Idee bei Google. Dort musste nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 und dem damit einhergehenden schwindenden Vertrauen der Investor:innen eine neue Idee her. Und sie war schnell geboren – in Form von exklusiven Zugängen zu Nutzer:innnen-Daten. Das Ziel: Durch präzise Verhaltensvorhersagen der Nutzer:innen die Werbeeinnahmen zu steigern. In einer Keynote, die Zuboff am 2018 auf der Konferenz „Zukunft der Datenökonomie“ hielt, erklärte sie ihren Zuhörer:innen: “Googles eigenen Wissenschaftlern zufolge entwickelte das Unternehmen neue Methoden der Überschussgewinnung, durch die sich Daten aufspüren lassen, die Nutzer eigentlich bewusst für sich behalten wollen und die darüber hinaus weitreichende Schlüsse auf persönliche Informationen ermöglichen, die Nutzer – bewusst oder unbewusst – nicht zur Verfügung stellen.” 

Die Macht, die große Tech-Unternehmen durch diese Datensammlungen erlangen, lässt sich als außenstehende Person nur erahnen. “Wir reden hier über aktuell 5 Milliarden Menschen, die Social Media nutzen, über 3 Milliarden sind auf einer Metaplattform unterwegs”, betont Psychologe Christian Montag. “Da sieht man schon, dass diese Industrie teilweise mehr Macht hat, als so manche Regierung auf dem Globus. Die (die Unternehmen) sind nicht gewählt, aber beeinflussen mit ihren Policies natürlich, was man posten darf und was nicht und bestimmen somit fast regierungsgleich, inwiefern sich Menschen auf den Plattformen unterhalten können.”

Wo bleibt die Empörung?

Wie kann es sein, dass wir diese Tatsache einfach hinnehmen? Liegt es daran, dass wir das Internet als solches, die Algorithmen, Daten und Zahlen dahinter nicht wirklich greifen können? Wenn rechtswidrig von uns Fotos gemacht werden, dann empören wir uns. Ebenso würde es uns stören, wenn eine fremde Person in unser Wohnzimmer einbrechen würde, sich notieren würde, welche Farbe unser Sofa hat und welche Kinder auf den Familienfotos zu sehen sind. In unserer Alltagsrealität ist uns unsere Privatsphäre wichtig, doch betreten wir das Internet, so scheint sie sich für viele in Luft aufzulösen. Die Plattformen nehmen diese Naivität, diese Ignoranz ihrer Nutzer:innen gerne hin, pressen sie bis auf die letzte Ziffer ihrer Telefonnummern aus und jagen dem großen Geld hinterher. Auf Social Media verwandeln sich mündige Bürger:innen zu unwissenden, verletzlichen Kindern, die mit strahlenden Augen ins Auto des Fremden einsteigen. Wer nimmt sie an die Hand?

Ganz offensichtlich fehlt es hier an Maßnahmen der Politik. Das Internet ist ein einzigartiger Ort, nirgendwo kommen so viele Menschen gleichzeitig zusammen, um sich auszutauschen, Inhalte aus ihrem Leben zu teilen, zu diskutieren und sich zu vernetzen – und das (in der Theorie) mit denselben Grundvoraussetzungen. Eine demokratische Goldgrube könnte man meinen, die die meisten Regierungen jedoch achselzuckend Tech-Milliardären überlassen, die dort frei schalten und walten. Nicht im Sinne der Menschen, sondern im Sinne des Geldes. Dass so die demokratischen Elemente des Internets flöten gehen, liegt auf der Hand. Wenn dann noch Regierungschef:innen mit diesen Milliardär:innen gemeinsame Sache machen, zieht diese antidemokratische Entwicklung ihre Spuren bis in die nicht-digitale Realität.

Ich möchte ins Internet eintauchen und mich sicher fühlen, genau wie ich auf die Sicherheit im Straßenverkehr vertraue. Dafür braucht es Menschen, die Verantwortung übernehmen – im Sinne der Nutzer:innen. “Das geht meines Erachtens nur durch eine Abkehr vom Datengeschäftsmodell”, sagt Christian Montag. “Wenn eine Industrie Geld damit verdient, Onlinezeiten zu verlängern, dann werden wir keine gesunden Plattformen sehen, dann werden die (Unternehmen) immer alles weiterhin dafür tun, das nächste Designelement einzubauen, das noch mehr Engagement erzeugt.”  

Es braucht Veränderung

“Glücksspiel kann süchtig machen”, hört man im Radio, wenn Werbung gemacht wird für Lotto und Co. Warum erscheinen solche Aussagen nicht, wenn wir Instagram oder TikTok öffnen? Die Plattformen setzen bewusst auf Designelemente, die uns abhängig machen. Wieso werden sie nicht dazu gedrängt, dies auch zu kennzeichnen? Es braucht Aufklärung, Altersbeschränkungen und Alternativen. “Gesunde Plattformen wird es nur mit einer Abkehr vom Datengeschäftsmodell geben und dann brauchen wir alternative Möglichkeiten, wie wir die sozialen Medien finanzieren”, so Montag. “Das kann öffentlich-rechtliches Social Media sein oder, dass die aktuellen Privatunternehmen andere Plattformen anbieten, für die wir Geld bezahlen. Nicht für das, was wir aktuell sehen, sondern für radikal neu gedachte soziale Medien.” 

Auch Maßnahmen wie beispielsweise der Digital Service Act der Europäischen Union, die Nutzer:innen-Rechte schützen sollen, sind erste Schritte – doch sie reichen nicht aus. Wenn wir demokratische Strukturen im Internet, aber auch außerhalb schützen wollen, dann braucht es ein stärkeres Durchgreifen. Dann dürfen sich Regierungsmitglieder nicht von Tech-Milliardären verunsichern oder umwerben lassen. Und dann braucht es Bürger:innen, die einen aufmerksamen Blick entwickeln, nicht nur für marode Straßen und kaputte Ampeln, sondern auch für problematische Zustände in der digitalen Welt. Um es mit den Worten von Shoshana Zuboff zu formulieren: “Und so beginnt der Kampf um die Zukunft des Menschen mit unserer Entrüstung. Wenn die digitale Zukunft uns ein Zuhause sein soll, ist es an uns, sie dazu zu machen.”

„Got caught“ Part two: Surveillance capitalism

By Louisa Albert (20.Feb.2025)

Surveillance Capitalism or How We Sell Ourselves to Tech Companies

The Internet is a mystical place. Invisible networks stretch across borders, transmitting thousands upon thousands of data points from server to server, from device to device, day after day. I don’t know much about this digital universe—it overwhelms even me, a so-called digital native, and to be honest, I’m not particularly interested in the technical processes behind it. Still, I have certain expectations and demands. Let me offer a comparison: I’m not interested in road construction or traffic planning. Yet, when I step outside, I expect not to be run over, and when I’m in a car, I expect traffic lights to work and prevent chaos at intersections. From my experience, many people feel the same way about different aspects of life. The unspoken agreement in our society is that everyone takes care of their respective area, so together we cover everything, ensure safety, and expect it in return. But what about our expectations for the Internet? Every day, we click “allow” just to make the annoying cookie banner disappear, we leave our email addresses on websites to subscribe to newsletters, and we share even the smallest details of our private lives on social media. Where do all these data end up? I don’t know, I don’t care—they already know everything about me anyway. A shrug, an embarrassed laugh.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

„Every like is analyzed, every picture you upload.“

We get drawn in—especially by social media—spending hours on Instagram, TikTok, and the like. Sometimes out of interest, sometimes out of fear of missing out—FOMO, as it’s called. Creating FOMO is intentional; after all, it’s in the platforms’ best interest to keep users engaged for as long as possible. More time spent on the app means more data to collect and more ads to show—the business model of social networks. Many people are now aware that excessive internet use can be problematic, observes Christian Montag. A psychologist specializing in the impact of digitalization and AI on society and digital well-being, Montag says that most people still don’t grasp the full extent of the issue. “The industry illuminates everything you do on these platforms. Every like is analyzed, every picture you upload—whether it’s black and white or colorful, what emotions you show, how long you linger over certain words. Somehow, no one seems to care anymore, or at least these platforms are so attractive that people are willing to be spied on everywhere.”

The American economist Shoshana Zuboff calls this surveillance capitalism. According to her, its origins lie with Google. After the dot-com bubble burst in 2000 and investor confidence dwindled, the company needed a new idea. It didn’t take long for them to find one: exclusive access to user data. The goal was clear: use precise behavioral predictions to boost advertising revenue. In a keynote speech at the 2018 „Future of the Data Economy“ conference, Zuboff explained to her audience: “According to Google’s own scientists, the company developed new methods of surplus extraction that uncover data users would prefer to keep private, allowing for far-reaching conclusions about personal information that users—consciously or unconsciously—do not provide.”

The power that big tech companies gain through these data collections is almost unimaginable to outsiders. “We’re talking about 5 billion people using social media, with over 3 billion on a Meta platform alone,” emphasizes psychologist Christian Montag. “You can see that this industry sometimes has more power than some governments worldwide. These companies aren’t elected, yet with their policies, they decide what can and cannot be posted, essentially governing how people communicate on these platforms.”

Where is the outrage?

Why do we simply accept this? Is it because we can’t fully grasp the Internet, its algorithms, data, and figures? If someone illegally took photos of us, we would be outraged. Likewise, we would be upset if a stranger broke into our living room, took notes on the color of our couch, and identified the children in our family photos. In our daily lives, privacy is important to us—but the moment we step into the digital world, it seems to vanish into thin air. The platforms take advantage of this naivety and ignorance, extracting every last digit of our phone numbers while chasing massive profits. On social media, responsible adults turn into unsuspecting, vulnerable children, wide-eyed as they climb into a stranger’s car. Who is looking out for them?

Clearly, political action is lacking. The Internet is a unique place—nowhere else do so many people gather at once to exchange ideas, share their lives, discuss, and connect—at least in theory, under the same basic conditions. One might think this is a democratic goldmine, yet most governments seem to shrug and hand it over to tech billionaires, who are free to do as they please—not in the interest of the people, but in the interest of money. That this erodes the democratic potential of the Internet is obvious. When world leaders then start collaborating with these billionaires, this anti-democratic shift extends far beyond the digital realm.

I want to dive into the Internet and feel safe, just as I trust in traffic safety. This requires people who take responsibility—for the users. “In my view, this is only possible by moving away from the data-driven business model,” says Christian Montag. “If an industry profits from maximizing online time, we will never see healthy platforms. These companies will always do everything they can to introduce the next design element that boosts engagement even further.”

Change is needed

“Gambling can be addictive,” we hear in radio ads for lotteries and casinos. Why don’t we see similar warnings when we open Instagram or TikTok? These platforms deliberately use design elements that make us dependent. Why aren’t they required to disclose this? There needs to be education, age restrictions, and alternatives. “Healthy platforms will only exist if we move away from the data-driven business model. Then we need alternative ways to finance social media,” says Montag. “This could be publicly funded social media or private companies offering radically reimagined platforms that users pay for—not what we see today, but a completely new vision of social media.”

Measures like the Digital Services Act of the European Union, which aims to protect user rights, are a step in the right direction—but they are not enough. If we want to protect democratic structures, both online and offline, we need stronger interventions. Governments cannot afford to be intimidated or courted by tech billionaires. And citizens must develop a keen awareness—not just for potholes and broken traffic lights, but also for problematic conditions in the digital world. To put it in the words of Shoshana Zuboff: „And so the fight for the future of humankind begins with our outrage. If the digital future is to be our home, it is up to us to make it so.“

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