„Journalismus muss gewagt werden“
von Marco
Der Journalist Markus (Willi) Willig wagt während der Pandemie noch einmal einen beruflichen Neuanfang – er geht den Weg von einem unbefristeten Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit. Auf den 53-jährigen warten große Herausforderungen in einer sich ohnehin schnell wandelnden Branche.
Ein weißes Auto, das von einem blau-orangenen Schriftzug überzogen über die Straßen im nördlichen Rheinland-Pfalz schießt, um immer am Puls der Region zu sein – von einem Unfall hier zum nächsten Großbrand dort. Für Willi Willig ist das seit vielen Jahren Alltag. Das Auto ist neu gekauft und frisch foliert. “56aktuell” steht auf beiden Längsseiten des Fahrzeugs. Das ist der Name der Agentur, die der 53-jährige Journalist mitten in Zeiten der Corona-Pandemie neu gegründet hat. Weg aus seinem sicher wirkenden Job als Chefreporter beim Regionalfernsehen. “Journalismus muss gewagt werden” sagt er selbst und begründet damit seinen ungewöhnlichen Schritt. Damit setzt er allerdings einen persönlichen Werdegang fort, der zeigt, dass der Journalismus sich bereits seit vielen Jahren wandelt.
Angefangen hat er als Quereinsteiger bei der Bundeswehr, wo er seine Ausbildung zum Rundfunkredakteur machte. Als Stimme von “Radio Andernach”, dem größten Bundeswehr-Radiosender Deutschlands, begleitete er die Truppen in Somalia und auf dem Balkan. Dort wo Krisen und menschliches Elend an jeder Ecke lauerten, fühlt Willig sich schon immer zuhause. Nach der Bundeswehrzeit hielt es ihn zunächst beim Radio. Ein Volontariat gefolgt von einer freien Mitarbeit für RPR1, wo er viele Jahre verbrachte. Anschließend lockte das große Printgeschäft mit einem Job bei der Rhein-Zeitung. Dann der große Coup – Willig wird Redaktionsleiter beim größten Fernsehsender in Rheinland-Pfalz. Als die Pandemie 2020 jedoch Deutschland trifft, muss er sich als Journalist ein weiteres Mal neu erfinden.
Homeoffice – völlig losgelöst von der Redaktion. Videodrehs ohne Kameramann, direkte Gespräche, Interviews und Treffen mit regionalen Größen. Die Dinge, die den Lokaljournalismus immer lebendig hielten gehören jetzt der Vergangenheit an. Die Branche wandelt sich von einem auf den anderen Tag. Trotz schwierigster Bedingungen gibt es massenhaft Arbeit und noch mehr Aufklärungsbedarf. Plötzlich müssen Redakteure autark arbeiten.
Laut Willig braucht es keine ewig langen Meetings mehr, sondern mehr Einsatzbereitschaft und Kreativität. “Für die Journalisten lag die Arbeit während der Pandemie auf der Straße”, sagt er, “obwohl selbst für hartgesottene Reporter die Kulissen und Schauplätze manchmal bedrohlich wirken konnten.” Sporthallen, die zu Corona-Ambulanzen umfunktioniert wurden, volle Intensivstationen in Krankenhäusern und Diskussionen um Kühlmöglichkeiten für hypothetische Tote. Es gab schon fast zu viel zu berichten. Dadurch wandelte sich jedoch das Bild der Öffentlichkeit auf das gesamte Berufsfeld. Plötzlich wurden die Rufe nach einer angeblichen “Lügenpresse” laut. Auf den Straßen gab es nur noch mehr Konfrontationen und Hass, der den Journalisten entgegenschlägt. Eine Entwicklung, die Willig “sehr beunruhigt.”
Die Pandemie hat den Job verändert, weil sie gezeigt hat, wie man noch effektiver arbeiten kann. “Viele Medienhäuser werden in Zukunft dezentraler arbeiten. Damit man schneller am Ort des Geschehens sein kann. Dafür braucht es kein klassisches Büro mehr.” Die Schnelllebigkeit der Pandemie habe außerdem gezeigt, dass der Journalismus der Zukunft noch multimedialer sein wird. Im Internet ist der Draht zum Rezipienten mittlerweile so kurz, dass auch die Live-Berichterstattung über Social Media zunehmen wird, sagt Willig.
Dabei müsse man jedoch auch stark aufpassen, dass man immer nach bestem Wissen und Gewissen berichtet. Denn der Wandel, den das Berufsfeld in den letzten Jahren erlebt habt birgt auch die Gefahr, dass wahrer journalistischer Arbeit kein Glaube mehr geschenkt wird. Auf das neue Kapitel in der Selbstständigkeit freut er sich dennoch – denn nur wer sich weiterentwickelt hält im Wandel der Branche Schritt.
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