„Jugend“ – EIN WORT IN DER KRISE
von Lucia Junker
„Jugend“, ein Wort das in der Coronakrise oft ausgesprochen wurde – im positiven und im negativen Sinne. Wie ist es in einer Pandemie „Jugend“ zu sein, wie nah sind Politiker der „Jugend“ und kann man in der Coronakrise von einer Stigmatisierung dieser sprechen?
Kirschwhiskey mit Angie
Angela Merkel erzählte einst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, wie sie Discos im Physikhörsaalgebäude organisiert und Kirschwhiskey gemixt hat. „Gerade die Jugend ist es, an die wir jetzt auch appellieren müssen, lieber heute auf ’n paar Feten und Feiern und Partys verzichten, um morgen und übermorgen gut leben zu können.“ Das sind Merkels Worte vom 14. Oktober 2020. Sie appelliert in einer Pressekonferenz an die Jugend. Grund dafür: Die steigenden Corona-Infektionszahlen.
Bleibt zu Hause
Feten und Feiern haben die meisten Jugendlichen in den letzten 9 Monaten verpasst. Physikhörsäle blieben leer, Kirschwhiskey wurde nur vor der Webcam getrunken. Im März hieß es: „Stay at Home!“, „Bleibt zu Hause!“, Homeschooling und Videokonferenzen.
Von jetzt auf gleich bekam der „Jugendbegriff“ eine andere Bedeutung.
Was es bedeutet, „Jugend“ zu sein
Wer ist mit „Jugend“ gemeint? Im Jugendgerichtsgesetz ist ein Jugendlicher minderjährig und zwischen 14 und 18 Jahre alt. In der Wissenschaft ist die Frage, was der Begriff „Jugend“ bedeutet, nicht eindeutig definiert. Im täglichen Sprachgebrauch ist mit Jugend „eine von Kindheit und Erwachsenenleben unscharf unterschiedene
Lebensphase, mit der bestimmte Verhaltensmuster und Eigenschaften verknüpft sind, […]“ gemeint. Die Frage ist: Was verbinden wir mit „Jugend“? Schriftstellerin Doris Dorrie sagt: Politik und Jungs. Andere sagen Disco. Manche auch schwierige Zeiten. Aber was macht man mit 14 bis 18 Jahren: Leute kennenlernen, feiern, Klassenfahrten, den Schulabschluss.
Wir haben geschlossen
„Verschoben“: Dieses Wort beschreibt vieles in den letzten 9 Monaten, wenn nicht das Wort „Ausgefallen“. „Mein Abiball fand nicht statt, ich hatte keine richtige Entlassungsfeier, ich musste mein Abitur unter Corona-Bedingungen schreiben und mir Studienplatz und Job suchen“, berichtet Christoph Thiermann Radio Bremen. Er ist nicht der einzige, dem es so geht. Im März wurden im Rahmen der Corona-Maßnahmen Schulen und Universitäten geschlossen und es wurde auf „Homeschooling“ umgestellt. Jugendarbeit durfte auch nicht mehr in Präsenz stattfinden. Nach Lockerungen im Sommer und Herbst, gelten nun wieder ähnliche Corona-Regelungen wie im Frühjahr.
Party verboten
Dass unter diesen Umständen keine Party abgeht, ist klar. Doch auch die gehört zur Jugend. Das kann man schon „krass vermissen“, so wie Ida, die in einer Straßenumfrage des ZDF heute journals sagte: „Ich war jetzt seit März nicht mehr feiern und das ist schon traurig. Ich brauche das eigentlich.” Daraufhin ging auf Twitter ein Shitstorm gegen sie los, anschließend entstand der Hashtag #Krassvermissen, eine Solidarisierung mit Ida.
Corona-Partys & Superspreader*innen
Ida vermisst Partys krass. Andere feiern trotzdem, trotz Kontaktverboten, trotz Sperrstunden. Berichtet wird von illegalen Raves in der Berliner Hasenheide mit tausenden Teilnehmer*innen. Zusammenkommen von 5 Jugendlichen aus 5 Haushalten werden auch Corona-Party genannt. Der Begriff Corona-Party ist dehnbar. Bereits im März tauchte er zusammen mit den Begriffen „Superspreader*innen“ und „Superspreading-Events“ auf. Mit Superspreader*in ist eine Person gemeint, die überdurchschnittlich viele Personen ansteckt, so die Epidemiologie. Superspreading-Events werden bekannt, Einzelpersonen zu Superspreading-Superstars ernannt. Von der „Superspreaderin von Garmischpartenkirchen“, einer 26-Jährigen, die trotz Quarantäneverordnung in Bars unterwegs war, berichteten unter anderem die Tagesschau, das heute journal und der Bayerische Rundfunk. Bayerns Innenminister forderte Konsequenzen für die Frau. Letztendlich konnte nicht nachgewiesen werden, ob die 26-Jährige andere infiziert hat. Außerdem war sie nicht in Bars, sondern in einem Speiselokal unterwegs, berichtet die Tagesschau wenig später.
Das Virus springt von der älteren in die jüngere Generation
Jugend, Superspreader*innen und Corona-Partys sind Wörter, die nun oft zusammen erscheinen. Bekräftigt wurden diese Aussagen, da festgestellt werden konnte, dass ältere Menschen durchschnittlich schwerere Verläufe bei einer Corona-Erkrankung und somit auch ein größeres Sterberisiko haben. Das RKI berichtete „86% der in Deutschland an COVID-19 Verstorbenen waren 70 Jahre alt oder älter“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am 30. Oktober 2020 in einer Pressekonferenz: „Corona nimmt zu und es springt und wandert von der jüngeren in die ältere Generation hinein“.
Appelle an die Solidarität
Ein weiterer Begriff kommt ins Spiel: „Solidarität“. Diese wird von der jüngeren für die ältere Generation erwartet. Schon in einer ihrer ersten größeren Pressekonferenzen zur Coronakrise am 11. März 2020, sagte Merkel in Bezug auf den Schutz von vulnerablen Gruppen: „Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“
Mit Videos und Social Media Kampagnen versuchen Bund und Länder immer wieder Jugendliche zu erreichen. NRW mit der Social Media Kampagne „Beatthevirus“, Baden-Württemberg mit einem Video namens „Wellenbrecher“ und die Bundesregierung mit „Besondere Helden“. Im Video wird aus der Retrospektive erzählt: „Wir waren faul wie die Waschbären“. „Besondere Helden“ will vermitteln, dass es einfach ist, ein Held zu sein, man muss nur zu Hause bleiben. Ist es nötig, das immer wieder zu betonen? Kommt die Message bei der „Jugend“ nicht an? Diese Frage muss in einer Pandemie gestellt werden, in der es um Infektionsketten und Risiken für die gesamte Gesellschaft geht. Doch sind ständige Appelle an eine Bevölkerungsgruppe der richtige Kommunikationsansatz, um Verständnis für die Pandemie und die Notwendigkeit von Maßnahmen zu vermitteln?
„Corona hat mein Hirn gef***t“
Einen differenzierteren Umgang mit der „Jugend“ vertritt Katharina Röggla. Sie ist Sozialpädagogin in der aufsuchenden Kinder- und Jugendarbeit in Wien und hat in der Fachzeitschrift „Soziale Arbeit“ den Artikel „Corona hat mein Hirn gef***t!“ veröffentlicht. Darin plädiert sie für einen
lebensweltorientierteren Umgang mit Corona in der Jugendarbeit. Röggla sagt: „Hier kann es folglich nicht um einen erhobenen Zeigefinger gehen, sondern darum, Risikokompetenzen unserer Zielgruppen zu stärken.“
Hab‘s verstanden
Bei einem Großteil der Jugendlichen ist Verständnis für die Ernsthaftigkeit der Corona-Pandemie vorhanden. Das zeigt zumindest eine bundesweite Studie des Forschungsverbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ der Universitäten Hildesheim und Frankfurt. Im Rahmen der Studie JuCo2 wurden im November, wie bereits im Frühjahr, Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren befragt. Die Fragen handeln vom Wohlbefinden, aber auch von Schule und Freizeit während der Pandemie. Rund 7000 Jugendliche und junge Erwachsene haben an der Studie teilgenommen. Hier wurde festgestellt, dass 61% der Befragten den Hygienemaßnahmen zustimmen.
Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov hat zusammen mit der Tui Stiftung ebenfalls eine Jugendstudie veröffentlicht. Bei dieser wurden im September rund 1000 junge Erwachsene in Deutschland befragt. 89% der Befragten gaben an, sich persönlich an die Corona-Maßnahmen zu halten, um Andere zu schützen. Einem Großteil der Jugendlichen ist klar, dass es wichtig ist, solidarisch zu sein.
Solidarität für Jede*n
In der JuCo2 Studie gaben knapp 65% der Befragten an, sie haben nicht den Eindruck, dass „die Sorgen junger Menschen von der Politik gehört werden“. Solidarität mit der „Jugend“ fordern zumindest einige Politiker*innen. „Bislang werden die Bedürfnisse junger Menschen ignoriert, verniedlicht oder sogar verspottet und wir kommen kaum vor, wenn es um die Anti-Corona-Maßnahmen geht“, meint Pia Schröder, Ex-Vorsitzende der Jungen Liberalen. Kevin Kühnert, Ex Juso Vorsitzender, kritisiert: „Im Moment bekommt man verlässlichen Applaus, wenn man sagt, die jungen Leute müssen aufhören zu feiern. Das ist kein differenziertes Urteil.“
Generation Corona – Generation no future
Ist Generation Corona ein Begriff, der Verständnis mit der Jugend zeigen soll oder eine weitere Stigmatisierung? Die Forscher*innen der JuCo2 Studie sagen: „Erstens halten wir dies für ein fatalistisches Signal jungen Menschen gegenüber. Zweitens spricht diese Zuschreibung ihnen Kompetenzen als aktive Gestalter*innen ihrer Umwelt und als gesellschaftliche Akteur*innen in der Bewältigung der Corona Krise ab.“ Klar ist, die Corona Krise wird Auswirkungen auf die Zukunft von Jugendlichen haben, nicht klar ist welche. In JuCo2 geben über 45% der Befragten an, Angst vor der Zukunft zu haben.
Wir haben es noch in der Hand
Die Jugend hat es selbst in der Hand und ist fähig, ihre Meinung kundzutun. Der Jugendrat der Generationenstiftung startete im Mai eine deutschlandweite Kampagne mit dem Namen „Generationen Rettungsschirm“. Die Forderung: Generationengerechtere Rettungspakete der Bundesregierung. Rettungspakete, die auch die Welt nach Corona im Blick haben. Franziska Heinisch, Mitglied des Jugendrats, formulierte die Motivation der Kampagne bei einer Kundgebung so: „Wir sind nicht länger bereit beim Ausverkauf unserer Zukunft zuzusehen!“.
Die Rede von „der Jugend“
Die Welt nach Corona wird eine andere sein, sie ist jetzt schon eine andere. Doch in einer Pandemie, in der es auf jede*n Einzelne*n ankommt, muss auch jedem zugehört werden. Besonders Politiker*innen sollten den Dialog mit einer ganzen Bevölkerungsgruppe, auf deren Solidarität sie zählen, aufnehmen. Und das bevor sie vorschnell urteilen und stigmatisieren. Die Jugend von heute ist nicht „die Jugend“, sondern eine sehr heterogene Gruppe gleichaltriger und so sollte man sie auch behandeln: Differenziert.
Quellensammlung:
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