Schau_dasta! – Februar
von Steffen Buchmann
Ach ja, wenn doch nur endlich Frühling wäre. Zwar müssen wir noch einige Zeit auf wärmende Sonnenstrahlen und bunte Blumenmeere warten, trotzdem keimen im Februar merkwürdige Gefühle in uns.
Manche verlieben sich von heute auf morgen (immer um den 14. Februar herum, muss Zufall sein). Andere stecken sich rote Schaumstoffnasen an und hellauen sich die Seele aus dem Leib. Und wieder anderen geht es wie mir: Sie wollen einfach nur ihre verdiente Ruhe nach der Vorlesungszeit genießen und bei guten Filmen auf dem Sofa entspannen.
Du zählst auch zu Letzteren? Dann habe ich drei spannende Filmempfehlungen für dich parat.
Stop-Motion-Anthologie: THE HOUSE
Regie: Paloma Baeza, Emma De Swaef, Niki Lindroth von Bahr, Marc James Roels
Was bedeutet eigentlich „Zuhause“? Ist ein Zuhause ein Ort, ein Gefühl, vielleicht sogar ein Mensch? Das Team hinter THE HOUSE spürt genau dieser Frage nach und liefert in drei Episoden ebenso viele Antworten wie Fragen. Die Protagonisten der drei Handlungsstränge stehen in keinerlei Zusammenhang zueinander, weder familiär noch temporell. Doch eine Konstante verbindet die Schicksale der verarmten Mabel und ihrer Familie, des profitorientierten Immobilienmaklers und der ehrgeizigen Jung-Vermieterin Rosa: Das Haus. Doch dieses altehrwürdige Gutshaus mit den Bullaugen-Fenstern und dem kleinen Kuppeldach offenbart seine Geheimnisse nur denjenigen, die einen angemessenen Tribut zahlen. THE HOUSE versprüht durch seine kryptische wie geheimnisumwobene Erzählweise den schaurigen Charme einer adulten Fabel – das Happy End scheint ungewiss. Jede der Figuren muss ihren eigenen Kampf austragen – gegen diesen unsichtbaren Feind, der scheinbar durch die kalten Steinwände und knarzenden Holzdielen kriecht. Zusätzlich verleihen die eingesetzten Puppen und Kulissen aus Filz, Stoffen sowie Knetmasse jeder Episode ihre eigene visuelle Note. Schnell ist vergessen, dass hier nur im Zeitraffer gefilmte Marionetten tanzen. Jede Geschichte bietet ihre eigenen emotionalen Anknüpfpunkte an. Bietet Räume an, um das eigene Verständnis eines „Zuhauses“ abzuklopfen. Und wenn Jarvis Cocker im Abspann dann wispernd seine Gedanken rekapituliert, wird klar: „A home is a place you never feel alone. But a house is just a collection of bricks.“
Dokufiktion: TAXI TEHERAN
Regie: Jafar Panahi
Eigentlich dürfte es TAXI TEHERAN gar nicht geben. Denn die iranische Regierung hat 2010 über den Regisseur Jafar Panahi neben einer Haftstrafe ein 20-jähriges Berufsverbot verhängt. Der Vorwurf: Regimekritisches Gedankengut in seinen Filmen. Tatsächlich zählt der 62-Jährige zu den kritischsten iranischen Filmemachern. In seinen Werken thematisiert er politische wie gesellschaftliche Missstände der islamischen Republik. Seine bildhaften Gedanken kreisen etwa um die gesellschaftliche Stellung der Frau, die rabiate Kulturzensur bis hin zur Legitimierung der Todesstrafe durch die Scharia. Doch allen Drohungen und Strafen zum Trotz macht Panahi im Geheimen weiterhin Filme. So stattete er für TAXI TEHERAN ein altes Taxi mit Kameras aus, setzte sich selbst ans Steuer und fuhr quer durch die nordiranische Metropole. Wir begleiten Panahi auf seiner Tour, als heimlicher Beobachter auf dem Armaturenbrett. Während der knapp 80 Minuten Laufzeit steigen verschiedenste Menschen zu dem sanft lächelnden Fahrer mit der kantigen Brille ins Auto. Bald entwickeln sich kurzweilige Gespräche mit und neben Panahi: über gestohlene Autoreifen, illegal importierte Hollywood-Filme, Goldfische. Doch als die Fahrgäste plötzlich über die Todesstrafe für Diebe, das Erbrecht von Witwen sowie kulturelle Regeln für „vorzeigbare Filme“ diskutieren, wird schnell klar: Die Fahrgäste handeln nach einem Drehbuch. Denn tatsächlich sammelt Panahi während der Fahrt bezahlte Komparsen und Schauspielerinnen ein, die nur so tun als ob. Egal, ob ein aufdringlicher Geschäftsmann, eine hysterische Frau mit ihrem sterbenden Mann auf dem Schoß oder seine quasselnde Nichte Hana: Aus allen spricht Panahi und Panahi spricht für sie alle. Ein heikles Unterfangen, steht der Regisseur doch unter ständiger staatlicher Aufsicht. Und genau deswegen ist TAXI TEHERAN ein wertvolles Gut, ein wichtiges Zeitdokument der menschenfeindlichen Zustände in der islamischen Republik Iran. Panahi gibt uns einen Einblick in seinen Alltag, der den von Millionen widerspiegelt. Der Regisseur darf auf unbestimmte Zeit das Land nicht verlassen, auch Interviews sind strikt untersagt. Jedoch schmuggelte er mit TAXI TEHERAN einen kleinen Teil seiner Gedanken unter Lebensgefahr außer Landes – weitere sollen folgen.
Kurzfilm: FUNKSCHATTEN
Regie: Caren Wuhrer
In einem Waldstück in Norddeutschland lebt Alice. Sie hat sich dort einen alten Bauwagen hergerichtet, mit Gasherd und Petroleumlampen. Ab und an bringt ihr Cousin Harry ihr Lebensmittel vorbei, sonst bleibt sie den Menschen lieber fern. Muss sie doch einmal Besorgungen machen, streift sie sich einen Schutzanzug über, ähnlich einer Astronautin. Alice hat sich bewusst für dieses Leben entschieden, denn sie ist elektrohypersensibel. Handys, Mikrowellen, Fernsehgeräte: All das bereitet ihr körperliche Schmerzen. Deshalb hat sie sich diesen Ort mitten im Wald gesucht, denn dort gibt es kein Funknetz. Als jedoch eines Tages die Sexarbeiterin Lucia ihr selbstgebautes Lovemobil, rund um mit grellen Leuchtstoffröhren verziert, am Waldrand abstellt, dringt sie ins Alices Schutzraum vor. Filmemacherin Caren Wuhrer hat 2020 die Masterklasse im Bereich „Regie“ an der Hamburg Media School abgeschlossen, ihre Abschlussarbeit: der Kurzfilm FUNKSCHATTEN. In den knapp 30 Minuten zeichnet Wuhrer die Porträts zweier selbstständiger Frauen, deren Lebenswelten unterschiedlicher nicht sein könnten. Konflikte scheinen vorprogrammiert, die Konfrontation zwischen der selbstisolierten Aussteigerin Alice und der lebenslustigen Erotikdienstleisterin Lucia unvermeidbar. Tonal zwischen kompromisslosem Ernst und humoristischem Augenzwinkern changierend, verhandelt FUNKSCHATTEN gesellschaftskritische Themen wie Akzeptanz, Vereinsamung oder Umweltbewusstsein durch seine Protagonistinnen. Grenzen ziehen und Freiräume suchen – scheinbar widersprüchliche Motive, die sich im geduldigen Vexierspiel zwischen Alice und Lucia jedes Mal gegenseitig überlappen. Und auch die Fähigkeit zur Veränderung spielt eine Rolle. Anfangs versucht Alice noch, den Eindringling mit allen erlaubten Mitteln wie etwa Sabotage des Lovemobils aus ihrem Territorium zu vertreiben. Im späteren Verlauf bereut sie diesen Schritt jedoch, da Lucia in der Not Zuflucht bei ihr suchen muss – ein enthemmter Freier hatte sie verletzt, die Flucht mit dem defekten Lovemobil schlug fehl. Aber auch Lucia legt ihre anfängliche Sorglosigkeit ein Stück weit ab und beginnt, Alices Schmerzen besser zu verstehen. Diese Bekanntschaft soll jedoch nur eine flüchtige sein, ihre Wege trennen sich schon bald abrupt wieder. Doch als Alices Erzfeind, ein benachbarter Funkmast, eines Abends im außerirdischen Licht von Lucias Leuchtstoffröhren erstrahlt, nimmt sie verdutzt die Schutzmaske ab – und lächelt.
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