Steine statt Support: Vom Frausein und Femizid am Fachbereich Maschinenbau & Kunststofftechnik
von Nina Schermal (06.03.2024)
Dort, wo vor 14 Jahren eine Studierende von ihrem Ex-Freund erstochen wurde, geht Alicia* heute ein und aus. Unwissend was dort, im Computerraum der Hochschule Darmstadt, 2009 eigentlich passiert ist: Ein Femizid an der 26-jährigen Büşra, die am Fachbereich Maschinenbau und Kunststofftechnik (FBMK) studierte – genau wie ihr Mörder. Ach_dasta! hat mit Alicia* gesprochen. Sie organisierte vergangenes Jahr an Büşras Todestag, dem 10. November, ein Gedenken an der Hochschule. Ein Gespräch über den Femizid, die Hochschule und den Alltag in einem männerdominierten Fachbereich.
*Name zum Schutz der Protagonistin geändert
Illustration: Margo Sibel Koneberg
Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Gewalt ihres (Ex-)Partners. Bereits jetzt zählen wir mehr als 20 Femizide im Jahr 2024.
Vor 14 Jahren wurde Büşra, damals Studentin am FBMK von ihrem Ex-Partner im Computerraum der h_da erstochen. Wie hast du davon erfahren?
Von dem Femizid habe ich erst vor einem Jahr erfahren – und das, obwohl ich seit X Jahren an der h_da studiere. In der Maschinenbau-Gruppe wurde ein Post geteilt: „Femizid an der Hochschule Darmstadt“. Ich dachte mir: „Hä, wie kann das sein?” Und hab‘ mir sofort den Beitrag durchgelesen und direkt noch die Podcastfolge des Darmstädter Echos dazu angehört. Ich war schockiert, dass keiner darüber geredet hat.
Wie ging es dann weiter?
Als ich angefangen habe, mich an der Hochschule zu informieren, hieß es: „Ja, es gab einen Femizid, aber der ist schon sehr, sehr lange her.“ Es wurde zum Gedenken ein Baum am Maschinenbaugebäude gepflanzt, welcher mir auf Nachfrage auch gezeigt wurde. Als ich den gesehen habe, war ich erstmal irritiert: Es war einfach ein normaler Baum (lacht). Unmarkiert – warum? In diesem Gebäude wurde eine junge Frau ermordet, aber woher soll man das denn wissen? Das wird an diesem Gedenkort gar nicht thematisiert. Die Begründungen lauteten: Datenschutz des Opfers, bloß keine Provokation des Täters, wenn er wieder draußen sein sollte, nicht, dass er dann ‘nen Amoklauf macht. Letzteres ist totaler Schwachsinn. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Hochschule ihren Ruf nicht beflecken und bloß nicht mit einem Femizid in Verbindung gebracht werden wollte.
Wie wird am Fachbereich über den Femizid gesprochen?
Eigentlich gar nicht. Der Fachbereich ist nicht aufgeklärt, es wird totgeschwiegen. Die wenigsten wissen, dass Büşra direkt im Computerraum erstochen wurde. Man geht dort täglich ein und aus. Ich hatte da Praktika. Als ich erfahren habe, dass dort jemand ermordet wurde, ist mir ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Wie, hier ist jemand getötet worden? Von dem Exfreund, im Unigebäude. Er hat auch am Fachbereich studiert, man kannte die beiden. Büşra war eine junge Frau, wie ich, in einem sehr männerdominierten Gebäude. Dass man den Mord nicht irgendwie thematisiert, finde ich problematisch. Ich dachte mir: Wie kann das sein?
Dann hast du dich vergangenes Jahr für eine Gedenkveranstaltung eingesetzt.
Genau. Nachdem ich mit Kommiliton:innen über die Tat gesprochen habe, kamen wir zu dem Entschluss: Es kann nicht sein, dass wir einen Baum im Innenhof haben, der an die Tat erinnern soll – aber ohne irgendeinen Verweis auf die Tat. Wir wollten zeigen, dass Büşra nicht vergessen wurde. Dass ihr Fall uns berührt und wir uns für sie einsetzen.
Wie lief die Organisation der Gedenkveranstaltung?
(lacht) Es gab erst eine Diskussion mit dem Präsidenten der Hochschule, Dr. Steinmetz, als es um die Gedenkveranstaltung ging. Der hatte unseren Dekan darum gebeten, dass die Veranstaltung nicht instrumentalisiert werden soll – weder kirchlich, noch politisch. Das hat mich irritiert, da wir mit dem Gedenken Büşra eine Stimme geben wollten und zeigen wollten: Hier an unserer Hochschule fand ein Femizid statt. Eine Frau wurde von ihrem Ex-Partner erstochen, weil sie eine Frau war. Im Computerraum.
Dann ging die Diskussion mit dem Dekan des Fachbereichs los, weil er keine Markierung wollte, auf der Büşras Name und das Wort „Femizid“ draufstanden. Den Namen verstehe ich irgendwo, da könnte man mit Datenschutz argumentieren. Aber wenn da steht: „Hier starb eine Studentin“ würde das ja auch irritieren. Woran soll sie denn gestorben sein, hat die einen Herzinfarkt bekommen oder was?
Dann kam die Gleichstellungsbeauftragte, Frau Baumann, zur Aufklärung. Auf einmal waren alle einverstanden mit dem Begriff Femizid. Kaum war Frau Baumann weg, hieß es wieder: „Nee, das war ja kein Femizid.“
Wie ist der Alltag für dich als Frau am Fachbereich?
Ich kann dir eine Geschichte von einer Freundin erzählen, die die Atmosphäre am Fachbereich beschreibt: Ein Kommilitone hat sie nach der Abgabe gefragt. Sie meinte: „Ey, ich bin noch nicht fertig. Aber wenn ich fertig bin, dann schicke ich sie dir gerne.” Und dann sagte er: „Hätte ich mal lieber einen Mann gefragt.“ Was hat das damit zu tun, dass sie eine Frau ist? Von wegen: Sie ist langsamer, weil sie eine Frau ist. Hä? Auch, wenn wir darüber sprechen, dass es den Femizid an Büsra gab, beschweren sich einige, dass es keinen Fachbegriff für den Mord an Männern gibt.
Dabei wurde der Begriff ursprünglich eingeführt, um zu zeigen: Diese Frau wurde von einem Mann umgebracht, weil sie eine Frau ist – wegen ihres Geschlechts.
Wir hatten auch richtig viele Diskussionen, nicht nur mit Studierenden, wo darauf beharrt wurde: „Das war nur ein Mord an einem Menschen, kein Femizid.“ Und dann ist da eine wie ich, die das argumentativ erklärt. Und trotzdem kommt dann: „Nö, ist mir egal, was du sagst. Das stimmt einfach nicht.” Als es um die Gedenkveranstaltung ging, hat sich auch ein Kommilitone bei meiner Freundin beschwert, dass eine Frau sich wieder „um so einen Müll” kümmert. Während wir hier über einen Mord reden.
Was hättest du dir von der Hochschule gewünscht?
Am Tag des Gedenkens war keiner aus dem Dekanat da. Kein Präsident. Nur die Vizepräsidentin Frau Saenger war anwesend und hat sich zum Schluss bei uns bedankt, dass wir an Büşra erinnern. Ein großer Punkt war einfach, dass sich der Dekan so quergestellt hat. Wir standen mit der Veranstaltungsorganisation allein da. Auch, dass sich so gewehrt wurde, dass der Baum ja keine Markierung bekommen sollte.
Es mangelt einfach an Aufarbeitung. Und das ist in Zeiten der zunehmenden Radikalisierung nach rechts unfassbar wichtig. Die Hochschule hatte 14 Jahre nach der Tat die Möglichkeit, angemessen und respektvoll den Mord an Büşra aufzuarbeiten und sich gegen Gewalt an Frauen zu positionieren. Zu sagen: “Hier hat Gewalt an Frauen keinen Platz.” Wir wollten darüber sprechen, warum es so viele Femizide gibt. Das hat ja auch was mit den Männern zu tun, ihren Emotionen, ihrem Frauenbild und Machtanspruch. Es mangelt an Aufklärungsarbeit. Aber die Hochschule wollte nicht. Und hat uns stattdessen Steine in den Weg gelegt.
Eine Markierung am Baum gibt es bis heute nicht.
Diese Aufklärungsarbeit bleibt dann an Frauen, Müttern, Töchtern, Schwestern und Kommilitoninnen hängen.
Ja! Und sobald Frauen am Fachbereich den Mund aufmachen und Männer zurechtweisen, gibt es so eine grundlegende Männersolidarität. Die sind ja auch in der Überzahl. Das macht mich wütend: Warum ist es unsere Aufgabe, aufzuklären?
Was wünscht du dir seitens der Hochschule für die Zukunft?
Damals wusste man gar nicht, ob der Täter es nur auf Büşra abgesehen hatte. Man hatte sich erstmal gefragt: Ist das jetzt ein Amoklauf, ein Terroranschlag – was passiert hier? Die wussten das nicht. Und heute gibt es immer noch kein Alarmsystem – nach 14 Jahren! Nach Hanau! Und das ist auch schon vier Jahre her. Das heißt: Es könnte einfach nochmal passieren und man wäre wieder nicht darauf vorbereitet. Wie soll ich mich denn sicher fühlen? Ob das jetzt mein Ex-Freund oder ein Terroranschlag ist: Ich muss mich doch irgendwie sicher fühlen und verstecken können!
Diejenigen, die sie kannten, haben um Büsra getrauert. Aber der Punkt ist: Es ist nichts passiert, diese Trauer hat nicht zu Konsequenzen geführt. Es muss mehr Aufklärung geben, vor allem dort, wo viele Männer sind. Zum Beispiel: SuKs (Anm. d. Red.: Sozial- und Kulturwissenschaftliches Begleitstudium) zu sozialen Kompetenzen. Wir brauchen Raum für Gespräche über SOLCHE gesellschaftliche Fragen.
Hier findest du Hilfe:
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“:
Tel: 116 016 oder unter https://www.hilfetelefon.de
Bundesweites Hilfetelefon:
09000116016 (rund um die Uhr, kostenfrei, in 17 Sprachen)
Fachberatungsstelle für von Häuslicher Gewalt Betroffene, UnterstützerInnen und Interessierte: 06151-375080
Der Notruf nach sexueller Gewalt von pro familia Darmstadt: https://hilfe-nach-sexueller-gewalt-darmstadt.de/
English version (automated translation):
Stones instead of support: On being a woman and femicide at the Department of Mechanical & Plastics Engineering
by Nina Schermal (06.03.2024)
Today, Alicia* goes in and out of the place where a student was stabbed to death by her ex-boyfriend 14 years ago. Unaware of what actually happened there, in the computer room at Darmstadt University of Applied Sciences, in 2009: a femicide of 26-year-old Büşra, who was studying at the Department of Mechanical and Plastics Engineering (FBMK) – just like her murderer. Ach_dasta! spoke to Alicia*. She organized a memorial at the university last year on the anniversary of Büşra’s death, 10 November. A conversation about femicide, the university and everyday life in a male-dominated department.
*Name changed to protect the protagonist
illustration: Margo Sibel Koneberg
Every third day, a woman in Germany dies due to the violence of her (ex-)partner. Already, we count more than 20 femicides in the year 2024.
Fourteen years ago, Büşra, then a student at FBMK, was stabbed to death by her ex-partner in the computer room of the h_da. How did you find out about it?
I only learned about the femicide a year ago – even though I have been studying at the h_da for X years. A post was shared in the mechanical engineering group: ‚Femicide at Darmstadt University of Applied Sciences.‘ I thought to myself: ‚Huh, how can that be?‘ And I immediately read the post and also listened to the podcast episode by Darmstädter Echo. I was shocked that nobody talked about it.
What happened next?
When I started to inquire at the university, I was told, ‚Yes, there was a femicide, but it was a very, very long time ago.‘ A tree was planted in memory near the mechanical engineering building, which was shown to me upon request. When I saw it, I was initially perplexed: It was just a normal tree (laughs). Unmarked – why? A young woman was murdered in this building, but how would anyone know that? This is not addressed at the memorial site. The reasons given were: victim’s data protection, by no means provoking the perpetrator, in case he should be released, not to then go on a rampage. The latter is complete nonsense. I got the impression that the university did not want to tarnish its reputation and definitely did not want to be associated with a femicide.
How is the femicide discussed in the department?
Actually, not at all. The department is not enlightened, it’s hushed up. Very few know that Büşra was stabbed right in the computer room. People go in and out there every day. I had labs there. When I found out that someone was murdered there, a chill ran down my spine. Like, someone was killed here? By her ex-boyfriend, in the university building. He also studied at the department, people knew them both. Büşra was a young woman, like me, in a very male-dominated building. The fact that the murder is not somehow addressed, I find problematic. I thought to myself: How can this be?
Then last year you organized a memorial event.
Exactly. After talking to fellow students about the deed, we came to the conclusion: It can’t be that we have a tree in the courtyard meant to remind us of the deed – but without any reference to the act. We wanted to show that Büşra was not forgotten. That her case touched us and we are advocating for her.
How did the organization of the memorial event go?
(laughs) There was first a discussion with the president of the university, Dr. Steinmetz, when it came to the memorial event. He had requested that the event should not be instrumentalized – neither religiously nor politically. That irritated me, as we wanted to give Büşra a voice with the memorial and show: A femicide took place here at our university. A woman was stabbed to death by her ex-partner because she was a woman. In the computer room.
Then the discussion started with the dean of the department because he didn’t want a marker with Büşra’s name and the word ‚femicide‘ on it. I can understand the name part, you could argue with data protection. But if it says: ‚A student died here‘ that would also be confusing. How did she die, did she have a heart attack or what?
Then the equal opportunities officer, Mrs. Baumann, came to clarify. Suddenly everyone agreed with the term femicide. As soon as Mrs. Baumann left, it was again: ‚No, that was not a femicide.‘
What is everyday life like for you as a woman in the department?
I can tell you a story about a friend that describes the atmosphere in the department: A fellow student asked her after the submission. She said: ‚Hey, I’m not done yet. But when I’m done, I’ll gladly send it to you.‘ And then he said: ‚I should have asked a man instead.‘ What does that have to do with her being a woman? As if: She’s slower because she’s a woman. Huh? Even when we talk about the femicide of Büşra, some complain that there is no technical term for the murder of men.
The term was originally introduced to show: This woman was killed by a man because she is a woman – because of her gender.
We also had a lot of discussions, not just with students, where it was insisted: ‚It was just a murder of a person, not a femicide.‘ And then there’s someone like me, who explains it argumentatively. And still, then comes: ‚No, I don’t care what you say. That’s just not true.‘
What would you have wished from the university?
On the day of remembrance, no one from the dean’s office was there. No president. Only the Vice President, Mrs. Saenger, was present and thanked us at the end for reminding us of Büşra. A major point was just that the dean had been so obstructive. We were left alone with the organization of the event. Also, there was resistance to the idea that the tree should not be marked.
There’s simply a lack of processing. And that is unbelievably important in times of increasing radicalization to the right. The university had the opportunity, 14 years after the act, to process the murder of Büşra appropriately and respectfully and to position itself against violence towards women. To say: „Violence against women has no place here.“ We wanted to talk about why there are so many femicides. It also has to do with men, their emotions, their view of women, and their claim to power. There’s a lack of educational work. But the university didn’t want to. And instead, they put obstacles in our way.
This educational work then falls on women, mothers, daughters, sisters, and female fellow students.
Yes! And as soon as women in the department speak up and correct men, there is such a basic solidarity among men. They are also in the majority. That makes me angry: Why is it our task to enlighten?
What do you wish from the university for the future?
Back then, it wasn’t even known whether the perpetrator was only targeting Büşra. Initially, there was wonder: Is this a rampage, a terrorist attack – what’s happening here? They didn’t know. And today, there’s still no alarm system – after 14 years! After Hanau! And that was four years ago already. That means: It could just happen again and we would not be prepared again. How should I feel safe? Whether it’s my ex-boyfriend or a terrorist attack: I need to feel somehow safe and be able to hide!
Those who knew her mourned Büşra. But the point is: Nothing happened, this mourning did not lead to consequences. There needs to be more education, especially where there are many men. For example: SUKs (editor’s note: Social and Cultural Sciences Supplementary Studies) for social skills. We need space for discussions about SUCH societal questions.
You can get help here:
The „Violence against women“ helpline: Tel: 116 016 or at https://www.hilfetelefon.de
Nationwide help hotline: 09000116016 (around the clock, free of charge, in 17 languages)
Specialist advice center for those affected by domestic violence, supporters and interested parties: 06151-375080
The pro familia Darmstadt emergency hotline after sexual violence: https://hilfe-nach-sexueller-gewalt-darmstadt.de/
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