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Über Generationstrauma und seine Auswirkungen auf Erziehung und Gesellschaft

Generationstrauma: Wie Erziehung und die Gesellschaft von traumatischen Erfahrungen geprägt werden

Von Lisa Rupprecht (09.Apr.2025)

Alexander Korittko, Experte für Jugend-, Familien- und Erziehungsberatung, gibt Einblicke in die Thematik des Generationstraumas und erklärt, wie Traumafolgen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden können.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Wie würden Sie Generationstrauma definieren?

Generationstrauma ist eigentlich keine direkte Folge von Traumata, sondern von Traumafolgestörungen, die von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Manchmal geschieht das über mehrere Generationen hinweg. Das wäre meine Definition.

Wie entstehen diese Folgen von Traumata allgemein? 

Es gibt verschiedene Wege, wie Traumafolgen weitergegeben werden können:

Zum einen kann es sein, dass Eltern selbst unter einer schweren Belastungsstörung leiden und diese in ihrem Erziehungsstil und Verhalten weitergeben. Ein weiterer Aspekt ist, was die Eltern in ihrer eigenen Kindheit erlebt haben. Halten sie zum Beispiel Erziehung mit Gewalt für angemessen, weil sie es selbst ebenso erlebt haben und in Stresssituationen nicht anders reagieren können.

Wie sieht die Forschung aktuell in diesem Bereich aus?

Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass es noch zwei andere Wege gibt, wie Traumafolgen weitergegeben werden können: 

Der erste ist hormoneller Natur: Eine Mutter, die während der Schwangerschaft mit schweren Traumata zu kämpfen hat – vor allem in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft – kann über die hormonelle Ausschüttung Stresshormone an den Fötus weitergeben. Das führt dazu, dass wir ein Kind haben, das dann geboren wird, das schon Trauma sensibel ist.

Der zweite Weg ist der sogenannte epigenetische Weg, der in den letzten zehn Jahren intensiver erforscht wurde. Kinder, die in der frühen Kindheit schwere Traumata erleiden, haben oft Probleme mit ihren Stressregulierungsgenen, die dann nicht mehr richtig funktionieren und schließlich abgeschaltet werden. Diese Unfähigkeit der Stressbewältigung kann an die nächste Generation vererbt werden.

Gibt es typische Verhaltensweisen von Kindern, die auf ein solches Trauma hinweisen?

Ja, diese Verhaltensweisen kann man erkennen, aber man kann nicht genau bestimmen, wie es entstanden sein kann. Zu den typischen Verhaltensweisen gehören Kinder, die besonders schwer zu beruhigen sind – sogenannte Schreibabys – oder welche, die sehr anhänglich sind und Schwierigkeiten mit Bindung haben. Es gibt auch Kinder, die besonders schnell aggressiv reagieren oder sich schnell zurückziehen.

Außerdem sind Übererregung oder Untererregung typische Anzeichen für Traumafolgestörungen.

Welche Rolle spielen stabile Bezugspersonen oder Pädagog:innen in dieser Phase?

Ja, das ist eigentlich der allerwichtigste Teil. Diese Probleme lassen sich nicht einfach mit Medikamenten lösen, sondern durch feinfühlige Erziehungspersonen, die sich auf die Emotionen der Kinder einstellen und langfristig zuverlässig für sie da sind. Eine sichere Bindung kann nur entstehen, wenn es verlässliche Bindungspersonen gibt, die sich intensiv um die Belange der Kinder kümmern.

Gibt es bestimmte Erziehungsstile, die besonders hilfreich sind?

Erwachsene, die sowohl eigenständig handeln als auch bei Bedarf Unterstützung suchen können, sind besonders gut darin, Kindern zu helfen.

Diese Erwachsenen schaffen es, durch ihre Handlungen eine sichere Bindung zu entwickeln. Das können Eltern, Großeltern oder auch Erzieher:innen in Kindergärten und Kindertagesstätten sein, die eine traumaorientierte Pädagogik anwenden.

Wie wichtig sind klare Regeln und Grenzen in der Erziehung von Kindern?

Es ist sehr wichtig, dass es im Alltag wiederkehrende Routinen und klare Regeln gibt, auf die sich die Kinder verlassen können. In der traumaorientierten Pädagogik bedeutet das, dass man nicht mit negativen Konsequenzen arbeitet, sondern mit positiven: Wenn eine Regel eingehalten wird, gibt es eine Belohnung. 

Welchen Einfluss hat eine Therapie – zum Beispiel eine Familientherapie – auf Kinder oder Eltern, die traumatisiert sind?

Für einige Kinder ist es sehr wichtig, zusammen mit den Eltern eine Therapie zu machen. Leider gibt es noch zu wenige Therapeuten, die sich intensiv mit Traumafolgen auskennen. Daher würde ich empfehlen, zunächst im persönlichen Umfeld Veränderungen vorzunehmen, indem man Rituale und regelmäßige Abläufe anwendet. Mit der Verfügbarkeit von Erwachsenen für die Bedürfnisse des Kindes. Das ist der wichtigste Teil. Wenn das nicht funktioniert, wäre eine Einzeltherapie für das Kind oder eine Familientherapie wirkungsvoll.

Wird heutzutage mehr über dieses Thema geredet, wird es enttabuisiert?

„Trauma“ ist mittlerweile ein Modebegriff, der inflationär verwendet wird. Häufig wird damit schon von einfachen Alltagsbelastungen gesprochen, was nicht immer zutrifft. Es ist wichtig, genau zu unterscheiden, was ein echtes Trauma ist und was als Alltagsbelastung betrachtet werden sollte, die eigentlich jeder irgendwie in seinem Leben erleben muss.

Denken Sie, dass Generationstrauma heutzutage weniger weitergegeben wird?

Das kann ich so nicht sagen. Darüber muss man in 20 Jahren vielleicht mal wieder forschen. Angesichts der vielen aktuellen Krisen, wie Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzungen, die unmittelbar Wirkung auf Erwachsene und Kinder haben. Die Frage ist, inwieweit irgendwann mal wieder eine Generation heranwachsen kann, ohne Angst und ohne Hass.

Im Moment haben wir ja, was in Israel und im Gaza-Streifen passiert, wie das in unsere Gesellschaft herüberschwappt. Dass es Auseinandersetzung gibt zwischen Menschen, die dem Islam näher sind und Menschen, die den Juden näher sind. Das kommt alles durch die modernen Medien auch in unseren Alltag hinein.

On generational trauma and its impact on parenting and society

Generational Trauma: How Parenting and Society Are Shaped by Traumatic Experiences

By Lisa Rupprecht (09.Apr.2025)

Alexander Korittko, an expert in youth, family, and parenting counseling, offers insights into the topic of generational trauma and explains how the consequences of trauma can be passed from one generation to the next.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

How would you define generational trauma?

Generational trauma is not a direct consequence of trauma itself but rather of trauma-related disorders that are passed down from one generation to the next. Sometimes, this happens over several generations. That would be my definition.

How do these consequences of trauma generally arise?

There are various ways trauma consequences can be passed on:
One possibility is that parents suffer from a severe stress disorder and express this through their parenting style and behavior. Another aspect is what the parents experienced in their own childhood. For example, if they consider violent discipline acceptable because they experienced it themselves and don’t know how to react differently in stressful situations.

What is the current state of research in this area?

Recent research shows that there are two additional ways trauma consequences can be passed on:
The first is hormonal in nature: A mother who suffers from severe trauma during pregnancy—especially in the last three months—can pass stress hormones to the fetus through hormonal release. This results in a child being born already sensitive to trauma.
The second is the so-called epigenetic path, which has been studied more intensively over the past ten years. Children who experience severe trauma in early childhood often have problems with their stress-regulation genes, which then cease to function properly and are eventually switched off. This inability to cope with stress can be inherited by the next generation.

Are there typical behaviors in children that point to such trauma?

Yes, these behaviors can be observed, but it’s difficult to pinpoint exactly how they originated. Typical behaviors include children who are particularly hard to soothe—so-called „cry babies“—or those who are very clingy and have difficulty with attachment. There are also children who react aggressively very quickly or withdraw easily.
In addition, hyperarousal or hypoarousal are common signs of trauma-related disorders.

What role do stable caregivers or educators play during this phase?


Yes, that’s actually the most important part. These issues can’t simply be treated with medication but require sensitive caregivers who attune to the children’s emotions and are reliably present over time. A secure attachment can only develop when there are dependable caregivers who are deeply invested in the children’s needs.

Are there specific parenting styles that are especially helpful?


Adults who are capable of acting independently while also seeking help when needed are especially effective in supporting children.
These adults are able to build secure attachments through their actions. They can be parents, grandparents, or even educators in kindergartens and daycares who apply trauma-informed pedagogy.

How important are clear rules and boundaries in raising children?


It’s very important that everyday life includes recurring routines and clear rules that children can rely on. In trauma-informed pedagogy, this means not working with negative consequences but rather with positive reinforcement: when a rule is followed, there’s a reward.

What impact does therapy—for example, family therapy—have on children or parents who are traumatized?


For some children, it’s very important to attend therapy together with their parents. Unfortunately, there are still too few therapists with in-depth knowledge of trauma consequences. Therefore, I would first recommend making changes in the personal environment, such as implementing rituals and regular routines. Making adults available to meet the needs of the child is the most important part. If that doesn’t work, individual therapy for the child or family therapy can be effective.

Is this topic talked about more today—has it become less taboo?


“Trauma” has become something of a buzzword that’s used too broadly. Often, people use the term for everyday stressors, which isn’t always accurate. It’s important to differentiate clearly between what constitutes real trauma and what should be considered normal life stress that everyone experiences at some point.

Do you think generational trauma is passed on less frequently today?


I can’t say that for sure. That’s something we may need to research again in 20 years. Considering the many current crises—wars and violent conflicts—that have a direct impact on adults and children, the real question is whether a generation will ever grow up again without fear or hatred.
Right now, we’re witnessing what’s happening in Israel and the Gaza Strip and how it spills over into our society. There are conflicts between people who feel connected to Islam and those who feel connected to Judaism. All of this enters our daily lives through modern media.

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