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Wo die wilden Bienen wohnen

von Katarina Neher (18.09.2024)

Der Himmel ist wolkenverhangen und der Boden noch matschig vom Regen der vergangenen Nacht. Zwei gelbe, von der Sonne und Witterung ausgebleichte Aufkleber an dem schon in die Jahre gekommenen Gartentor verraten, was sich auf dem Areal verbirgt: „Imkerei am Bürgerpark – Honig vom Imker hier erhältlich“. Das Grundstück ist größer, als von außen ersichtlich ist. Überall wächst und wuchert es. Die wenigen Objekte, die auf menschliches Leben hindeuten, werden zum Teil von meterhohen Pflanzen wie von einer grünen Wassermasse verschluckt. Einzig ein Bauwagen, ein hölzerner Schuppen und ein futuristisch anmutendes Gebilde aus zu Hexagonen zusammengesetzten Streben sind noch klar zu erkennen. Fernab sind einzelne Autos zu hören, die die Schnellstraße entlang fahren. Schnell wird meine Aufmerksamkeit von dem ungewöhnlich lauten Zirpen und Summen auf sich gezogen, das hier in der Luft liegt. Ein ungewohnter Klang für einen Ort mitten in der Stadt.

Foto: Katarina Neher

Die Hüter:innen der Stadtbienen 
Verantwortlich für  diesen verwunschenen Ort sind eine Gruppe von engagierten Gärtner:innen und die beiden Imker:innen Annika und Filip. Die beiden sind 27 Jahre alt und haben sich im Studium kennengelernt. Annika hat Umweltmanagement, Filip Agrarwissenschaften studiert. „Grundsätzlich hatten wir schon immer Interesse daran, selbst ein landwirtschaftliches Projekt zu starten“, erzählt Annika. „Wir hatten damals auch beide schon ein Interesse an Umweltschutz und Nachhaltigkeit“, fügt Filip hinzu. Gemeinsam haben die beiden 2021 einen Imkerkurs bei dem Darmstädter Imker Stefan Fuchs gemacht. Nach einer turbulenten Saison, in der sie sich unter seiner Anleitung alle wichtigen Fähigkeiten erarbeitet haben, übernahmen sie 2022 die Imkerei am Bürgerpark und die vielen in der Stadt verteilten Bienenvölker. „Es war eine totale Überforderung, sehr viele Informationen und sehr komprimiert, aber es war total schön“, erinnert sich Annika.

Seitdem kümmern sie sich um zahlreiche Bienenvölker in und um Darmstadt. Unter anderem in der Klause am Hauptbahnhof, am Oberfeld und auf der Dachterrasse des Darmstadtiums kann man ihre Völker – und manchmal auch sie selbst – finden, denn die beiden schauen dort regelmäßig nach dem Rechten. Zwischen April und Juni müssen Annika und Filip einmal pro Woche an jedem Standort überprüfen, ob das Bienenvolk schwärmen möchte, um das gegebenenfalls verhindern zu können. Das „Schwärmen“ beschreibt einen Vorgang, bei dem ein Teil des Bienenvolkes mit der alten Königin den Stock verlässt, um eine neue Kolonie zu gründen. Außerdem sind sie mit der Pflege der Ableger, also der jungen Bienenvölker, der Honigernte, dem Honigverkauf und den üblichen Verwaltungs- und Organisationsaufgaben beschäftigt. Besonders die Prozesse, die direkt mit den Bienen zusammenhängen, sind stark abhängig von der Jahreszeit und den Wetterverhältnissen. „Die Bienen sagen mir, was wann gemacht werden muss. Das ist die Imkerei. Sie beruht wahnsinnig stark auf Erfahrung und Beobachtung“, erklärt Filip.

Foto: Katarina Neher

Die Imkerei am Bürgerpark verbindet Umweltschutz und Landwirtschaft 
Für Annika und Filip spielt der Umweltschutz eine große Rolle. Neben der Arbeit mit den Bienen engagieren sie sich in der Umweltbildung und leiten eine Bienen-AG an der freien Comenius Schule in Darmstadt. „Ich finde, die wichtigste Funktion, die wir als Imker haben, ist, dass wir bei Leuten ein Naturerlebnis auslösen. Damit bringen wir ein Bewusstsein dafür in die Stadt, dass Insekten Futter, Wasser und vielfältige Lebensräume brauchen und Städte nicht aus Beton sein sollten. Wir bringen sozusagen ein Stück Natur in die Stadt”, erklärt Filip. 

Insektensterben 
Das Summen, Zirpen und Zischen auf dem Areal von Annika und Filip ist für Stadtohren so auffällig, da sich die Anzahl und Artenvielfalt der Insekten in den letzten Jahren weltweit drastisch verringert hat. Die Versiegelung großer Anteile der Böden, die gut gepflegten Grünanlagen und der intensive Einsatz von Pestiziden lassen in städtischen Gebieten kaum noch Platz für sechs- und achtfüßige Mitbewohner:innen. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die einst vielfältige und lebendige Insektenwelt zunehmend verstummt. Ein Umstand, der tiefgreifende und möglicherweise katastrophale Folgen für das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme haben könnte. Insekten bilden die überwältigende Mehrheit der Tierarten auf unserem Planeten. Allein in Deutschland sind über 33.000 Insektenarten nachgewiesen und stellen damit etwa 70 % aller bekannten Tierarten der Nation.  Diese Lebewesen, die so klein sind, dass sie oft übersehen werden, sind von zentraler Bedeutung für das Funktionieren unserer Ökosysteme. Sie bestäuben Pflanzen, zersetzen organisches Material und dienen als Nahrungsquelle für zahlreiche andere Tiere. Doch das fragile Gleichgewicht ist in Gefahr. Rund 30 Prozent der Insektenarten in Deutschland sind laut den Roten Listen des Bundesamtes für Naturschutz entweder gefährdet oder bereits ausgestorben.

Foto: Katarina Neher

Biene ist nicht gleich Biene
Während die Honigbiene oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, wenn es um die Rettung der Bestäuber geht, wird der Unterschied zwischen ihr und den zahlreichen Wildbienenarten häufig übersehen. Anders als die domestizierten Honigbienen, die in großen, sozial organisierten Völkern leben, sind viele Wildbienenarten Einzelgänger und bauen ihre Nester zum Beispiel im Boden, in Totholz oder in Pflanzenstängeln. Die Wildbiene weist außerdem eine große Vielfalt an Arten und Spezialisierungen auf, welche sie zu unverzichtbaren Bestäubern für bestimmte Pflanzenarten macht. Diese enge Beziehung bedeutet, dass der Verlust einer Wildbienenart auch das Überleben der darauf angewiesenen Pflanzenart bedroht. Um diesen Umstand wissen auch Annika und Filip, die in ihrer Arbeit häufig mit diesem weitverbreiteten Irrtum konfrontiert werden. “Eigentlich geht es beim Insektensterben um die wild lebenden Insekten und Bienen. Das sind Lebewesen, die nur indirekt gefördert werden können, indem man Lebensräume schafft oder sie ihnen zumindest nicht wegnimmt. Honigbienen sind durch die intensive Haltungsform und ihre landwirtschaftliche Nutzung relativ gut abgesichert”, erklärt Annika. “Man muss sich dessen bewusst sein, dass die Honigbiene als Schutzschirmart dient. Der Rückschluss, ‚ich möchte die Bienen retten, deswegen halte ich jetzt ein Honigbienenvolk in meinem Garten‘, ist falsch. Wir haben in der Stadt eigentlich schon eine relativ hohe Dichte an Honigbienenvölkern.” 

Schutzschirmarten
Verschiedene Umweltverbände arbeiten immer wieder mit dem Konzept der Schutzschirmarten. Dabei werden in der öffentlichen Kommunikation beliebte Arten eingesetzt, um auf die Notwendigkeit des Schutzes der Art aufmerksam zu machen und indirekt auch den Arten zu helfen, die ähnliche Bedürfnisse haben, aber weniger populär sind. Andere typische Schutzschirmarten sind Eisbären oder Elefanten.

“Eigentlich müsste man in den Insektenschutz auch zum Beispiel alle Käfer mit einbeziehen. Wenn wir aber alle Arten gleichzeitig fokussieren würden, würde das die Aufmerksamkeitsspanne so stark reduzieren, dass keine mehr übrig wäre”, so Annika. “Am Ende ist Vielfalt einfach die Grundlage für ein gutes Leben für alle Lebewesen. Vielfalt bedeutet immer auch eine Absicherung.“ „Wir brauchen vor allem eine Vielfalt an Strukturen”, ergänzt Filip. “Das bedeutet, dass es nicht nur viele verschiedene Pflanzen geben muss, sondern viele verschiedene Pflanzen im Jahreslauf und an vielen verschiedenen Orten.

Volle Kraft voraus
In Darmstadt gibt es bereits zahlreiche Organisationen und Akteur:innen, die sich des Ernsts der Lage bewusst sind und sich aktiv für den Schutz von Insekten und die Förderung der Biodiversität einsetzen. „In den letzten Jahren wurden vom Bauverein die Häuser am Rhönring renoviert”, erzählt Annika. “Dabei haben sie die Vorgärten als Blühwiesen gestaltet. Das ist so ein gutes Vorbild, das bedauerlicherweise viel zu wenig aufgenommen wird.“ Auch das Grünflächenamt versucht an vielen Stellen, das Straßenbegleitgrün in Blühstreifen umzuwandeln. „Vorher wurde das viel stärker gemäht“, sagt Annika, „ich finde es sehr schön, dass es ein größeres Bewusstsein dafür gibt, dass blühende Wiesen wertvoll sind.“

Foto: Katarina Neher

Doch trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es Grenzen, wie Filip betont: „Wir freuen uns darüber, dass viel mehr blüht. Trotzdem wird weiterhin gebaut und das Ballungsgebiet wächst weiter.“ Für die beiden ist klar: Es braucht ein Umdenken in der Stadtplanung, bei dem der Schutz der Natur und die Bedürfnisse der Stadtbewohner:innen gleichermaßen berücksichtigt werden. „Ist es sinnvoll, langfristig immer mehr Eigentumswohnungen zu errichten, oder brauchen wir ein ganz anderes Konzept? Diese Themen sind eng miteinander verknüpft, und wir können sie nicht isoliert betrachten“, meint Annika. Trotzdem ist sie zuversichtlich, was die Zukunft angeht. Für sie sind Veränderungen unvermeidlich, doch sie sieht darin keine Bedrohung, sondern eine Chance. „Die wahre Kunst liegt darin, zu lernen, wie man gut mit Veränderungen umgeht. Am Ende bleibt einem nichts anderes, als sich einzubringen und das Beste daraus zu machen“, sagt sie mit einem Lächeln.

English version (automated translation):

Where the Wild Bees Live

by Katarina Neher (18.09.2024)

The sky is overcast, and the ground is still muddy from last night’s rain. Two yellow, sun-bleached stickers on the old garden gate, weathered by the years, reveal what lies beyond: „Beekeeping at Bürgerpark – Honey available here.“ The property is larger than it appears from the outside. Everywhere, plants grow and spread. The few objects that indicate human presence are partly swallowed by meter-high greenery, as if submerged in a green sea. Only a construction trailer, a wooden shed, and a futuristic-looking structure made of hexagon-shaped struts remain clearly visible. In the distance, individual cars can be heard driving along the highway. My attention is quickly drawn to the unusually loud chirping and buzzing that fills the air—a strange sound for a place in the middle of the city.

photo: Katarina Neher

The Guardians of the City Bees
Responsible for this enchanted place are a group of dedicated gardeners and two beekeepers, Annika and Filip. Both are 27 years old and met during their studies. Annika studied environmental management, while Filip studied agricultural sciences. „Basically, we’ve always been interested in starting an agricultural project of our own,“ Annika says. „At that time, we were both also interested in environmental protection and sustainability,“ Filip adds. In 2021, they took a beekeeping course with Darmstadt beekeeper Stefan Fuchs. After a turbulent season in which they acquired all the necessary skills under his guidance, they took over the beekeeping at Bürgerpark and the many bee colonies spread across the city in 2022. „It was totally overwhelming, a lot of information and very intense, but it was amazing,“ Annika recalls.

Since then, they have taken care of numerous bee colonies in and around Darmstadt. Their colonies, and sometimes they themselves, can be found in places like the Klause at the main train station, at Oberfeld, and on the roof terrace of the Darmstadtium, where they regularly check on things. Between April and June, Annika and Filip must inspect each location once a week to ensure that the bee colonies do not attempt to swarm, which they would need to prevent. Swarming refers to the process in which part of the colony leaves with the old queen to start a new colony. Additionally, they manage the care of the young bee colonies, honey harvesting, honey sales, and the usual administrative and organizational tasks. Most processes directly related to the bees are highly dependent on the season and weather conditions. „The bees tell me what needs to be done and when. That’s what beekeeping is. It relies heavily on experience and observation,“ Filip explains.

photo: Katarina Neher

Beekeeping at Bürgerpark Combines Environmental Protection and Agriculture
For Annika and Filip, environmental protection plays a major role. In addition to working with bees, they are involved in environmental education and run a bee project group at the Comenius School in Darmstadt. „I think the most important role we play as beekeepers is to create a nature experience for people. That way, we bring awareness to the city that insects need food, water, and diverse habitats, and that cities shouldn’t be made of concrete,“ Filip explains. „We essentially bring a piece of nature into the city.“

Insect Decline
The buzzing, chirping, and hissing in Annika and Filip’s area is striking for city ears because the number and diversity of insects have drastically decreased worldwide in recent years. The sealing of large areas of land, well-manicured green spaces, and the intensive use of pesticides leave little room for six- and eight-legged city dwellers. These factors contribute to the growing silence of what was once a diverse and vibrant insect world. This decline could have profound and potentially catastrophic consequences for the delicate balance of ecosystems. Insects make up the overwhelming majority of animal species on our planet. In Germany alone, over 33.000 insect species have been recorded, representing about 70% of all known animal species in the country. These creatures, so small that they are often overlooked, are crucial to the functioning of our ecosystems. They pollinate plants, break down organic material, and serve as food for numerous other animals. Yet, this fragile balance is in danger. About 30% of insect species in Germany are either endangered or already extinct, according to the Red Lists of the Federal Agency for Nature Conservation.

photo: Katarina Neher

Not All Bees Are the Same
While honeybees often take center stage in efforts to save pollinators, the difference between them and the many wild bee species is frequently overlooked. Unlike domesticated honeybees, which live in large, socially organized colonies, many wild bee species are solitary and build their nests in the ground, dead wood, or plant stems. Wild bees also exhibit a great diversity of species and specializations, making them indispensable pollinators for certain plants. This close relationship means that the loss of a wild bee species could also threaten the survival of the plants that depend on it. Annika and Filip are well aware of this issue and frequently encounter this widespread misconception in their work. „Insect decline is actually about wild insects and bees. These are creatures that can only be supported indirectly by creating habitats or at least not taking them away. Honeybees, thanks to intensive husbandry and agricultural use, are relatively well protected,“ Annika explains. „You have to understand that honeybees are an umbrella species. The idea that ‚I want to save the bees, so I’ll keep a honeybee colony in my garden‘ is wrong. In fact, we already have a relatively high density of honeybee colonies in the city.“

Umbrella Species
Various environmental organizations often work with the concept of umbrella species. In public communication, popular species are used to draw attention to the need for species protection, indirectly helping species with similar needs that are less popular. Other typical umbrella species include polar bears and elephants.

„Actually, insect conservation should also include all beetles, for example. But if we focused on all species at the same time, it would dilute attention so much that none would remain,“ Annika says. „In the end, diversity is simply the foundation for a good life for all living beings. Diversity always provides security.“ Filip adds, „What we need most is a diversity of structures. That means there must not only be many different plants, but also many different plants throughout the year and in many different places.“

Full Speed Ahead
In Darmstadt, numerous organizations and individuals are already aware of the seriousness of the situation and are actively working to protect insects and promote biodiversity. „In recent years, the Bauverein has renovated the houses at Rhönring,“ Annika says. „They turned the front gardens into blooming meadows. It’s such a good example, but unfortunately, it’s not widely adopted.“ The city’s Parks and Gardens Department is also trying in many places to convert roadside greenery into flowering strips. „It used to be mowed much more often,“ Annika says, „I think it’s great that there’s more awareness that blooming meadows are valuable.“

photo: Katarina Neher

Despite these positive developments, there are limits, as Filip points out: „We are happy that more is blooming. But construction continues, and the metropolitan area keeps growing.“ For both, it is clear that urban planning needs a rethink, balancing nature conservation with the needs of city dwellers. „Is it sensible to build more and more condominiums in the long term, or do we need a completely different concept? These issues are closely linked, and we can’t look at them in isolation,“ Annika says. Despite this, she remains optimistic about the future. For her, change is inevitable, but she sees it not as a threat but as an opportunity. „The real art is learning how to adapt well to change. In the end, all you can do is get involved and make the best of it,“ she says with a smile.

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