Zwischen Nähe und Abschied: Wie Hoffnung und Widerstand den Hospizalltag begleiten
Von Emil Dröll (25.Mär.2025)
Interview mit Claudia Baaske, Palliativ-Care-Fachkraft im Darmstädter Elisabethenstift: Wie Hoffnung im Hospiz entsteht und wie man dort mit Widerstand umgeht.
Die Gewissheit, dem eigenen Tod nahe zu sein, ruft bei Menschen ganz unterschiedliche Emotionen hervor: Wut, Trauer, Resignation oder auch Widerstand. Im Hospiz des Darmstädter Elisabethenstifts verbringen Menschen ihre letzten Tage – begleitet von einem engagierten Team aus Pflegekräften sowie ihren Angehörigen. Claudia Baaske, die seit mehr als einem Jahrzehnt in diesem Hospiz tätig ist, teilt Einblicke in ihre Arbeit und erklärt, wie es gelingt, an einem scheinbar hoffnungslosen Ort dennoch Hoffnung zu schaffen.

Illustration: Margo Sibel Koneberg
Was unterscheidet die Arbeit im Hospiz von anderen Pflegeeinrichtungen?
Der Schwerpunkt ist hier ein anderer. Unsere Gäste – wir nennen sie bewusst nicht Patienten – sind todkrank und wissen, dass sie sterben werden. Sie kommen zu uns, weil ihre Beschwerden wie Schmerzen, Atemnot, Ängste oder Panik anderswo nicht mehr ausreichend behandelt werden können. Unser Ziel ist es, diese Symptome zu lindern und ihnen die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen.
Wie erleben Sie Hoffnung in Ihrer Arbeit mit den Gästen, angesichts des bevorstehenden Todes?
Hoffnung spielt eine große Rolle, sie zeigt sich aber sehr unterschiedlich. Manche Gäste hoffen bis zuletzt auf Genesung, obwohl es keine Aussicht darauf gibt. Unsere Aufgabe ist es, diese Hoffnung zu respektieren und zu unterstützen, wo wir können. Die wenigsten haben Angst vor dem Tod selbst. Häufiger fürchten sie sich vor Schmerzen oder Atemnot. Ein großer Trost ist es, wenn wir ihnen versichern können: „Ich bin da, ich kümmere mich um dich.“
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Hoffnung und dem Glauben der Gäste?
Ja, das erlebe ich oft. Gläubige Menschen finden häufig leichter Frieden, weil ihr Glaube ihnen Halt gibt. Sie können den Gedanken an ein Leben nach dem Tod annehmen und loslassen. Aber auch Gäste, die nicht gläubig sind, finden Hoffnung – sei es durch Gespräche, Rituale oder einfach durch das Bewusstsein, dass wir sie nicht allein lassen.
Wie zeigt sich Widerstand bei den Gästen?
Widerstand ist häufig, besonders bei jüngeren Gästen oder Menschen, die plötzlich mit der Endlichkeit ihres Lebens konfrontiert werden. Manche sind wütend oder traurig darüber, dass ihr Leben endet, andere kämpfen bis zuletzt. Es gibt Gäste, die ihre Wut auf uns Pflegekräfte oder ihre Angehörigen projizieren. Diese Wut richtet sich oft nicht gegen die Personen selbst, sondern gegen die Situation. Wir versuchen dann, Verständnis zu zeigen und diesen Widerstand nicht zu bewerten.
Wie erleben Sie es, wenn Angehörige Widerstand gegen den Verlust zeigen?
Das passiert oft. In der Regel kündigt sich der Tod an: Die Atmung verändert sich, die Gesichtsfarbe, die Körperhaltung und das Bewusstsein. Wenn gewünscht, informieren wir die Angehörigen, ob Tag oder Nacht. Angehörige haben dann manchmal Schwierigkeiten, loszulassen, und ihre Anwesenheit kann den Sterbeprozess sogar beeinflussen.
Manchmal sind ganz viele Angehörige ums Bett herum, und dann ist es immer wieder so, dass der Sterbende nicht gehen kann. Wenn viele ums Bett sitzen, ihn streicheln und ihm signalisieren: „Wir können nicht ohne dich, bleib da“, fällt das Loslassen schwer. Ich schlage dann behutsam vor, den Raum zu verlassen, um dem Sterbenden die Möglichkeit zu geben, seinen Moment zu finden. Ganz oft passiert es dann, dass jemand stirbt, wenn die Angehörigen kurz draußen sind, um zu rauchen oder Kaffee zu holen. Manchmal möchte der Sterbende aber auch, dass jemand bei ihm sitzt. Das merkt man. Dann bleibe ich, sage kleine Worte, singe ein Lied oder spiele leise Musik, um ihn zu begleiten.
Was bedeutet für Sie selbst Hoffnung in Ihrer Arbeit?
Hoffnung bedeutet für mich, dass wir den Gästen und ihren Familien Trost und Sicherheit geben können. Es ist schön zu sehen, wenn jemand in Frieden gehen kann. Für mich persönlich ziehe ich Hoffnung aus den zwischenmenschlichen Begegnungen und dem Wissen, dass wir in schwierigen Momenten etwas bewirken können.
Wie bewahren Sie Ihre eigene innere Balance angesichts von Widerstand und Trauer?
Es ist wichtig, eine gesunde Distanz zu wahren. Ich fühle mit, aber ich leide nicht mit. Außerhalb der Arbeit tanke ich Kraft durch meine Familie, Freunde und Hobbys. Und im Team lachen wir viel – Humor ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Man muss nur wissen, wann und wo er angebracht ist.
Was können Angehörige tun, um Hoffnung zu bewahren?
Es hilft, offen über Gefühle und Erinnerungen zu sprechen. Manchmal ist es auch wichtig, Konflikte beizulegen oder bewusst gemeinsame Zeit zu genießen. Wir ermutigen Angehörige, das zu tun, was ihnen und dem Sterbenden gut tut, sei es durch Rituale, Musik oder einfach nur präsent zu sein.
Der Tod macht einem die eigene Endlichkeit bewusst. Wir alle wissen das, aber es ist schwer, sich damit auseinanderzusetzen. Abschied zu nehmen ist traurig und oft mit Krankheit und Leid verbunden. Aber ich weiß durch meine Arbeit, dass es möglich ist, gut zu sterben. Mit der richtigen Unterstützung können wir Menschen würdevoll auf ihre letzte Reise begleiten.
Infokasten:
Claudia Baaske ist 51 Jahre alt und arbeitet seit 13 Jahren im Elisabethen-Hospiz in Darmstadt. Sie ist ausgebildete Krankenschwester und hat eine Weiterbildung zur Palliativ-Care-Fachkraft absolviert. Neben der Betreuung der Hospizgäste ist sie als Praxisanleiterin tätig und betreut Auszubildende sowie Teilnehmer von Weiterbildungen.
English version (automated translation:)
Between Closeness and Farewell: How Hope and Resistance Shape Everyday Life in a Hospice
By Emil Dröll (25.Mar.2025)
Interview with Claudia Baaske, Palliative Care Specialist at the Elisabethenstift in Darmstadt: How hope emerges in a hospice and how resistance is handled.
The certainty of being near death evokes very different emotions in people: anger, grief, resignation, or resistance. In the hospice of the Elisabethenstift in Darmstadt, people spend their final days—accompanied by a dedicated team of caregivers and their relatives. Claudia Baaske, who has been working in this hospice for more than a decade, shares insights into her work and explains how hope can still be created in a place that seems hopeless.

Illustration: Margo Sibel Koneberg
How does hospice work differ from other healthcare facilities?
The focus here is different. Our guests—we deliberately do not call them patients—are terminally ill and know they are going to die. They come to us because their symptoms, such as pain, shortness of breath, anxiety, or panic, can no longer be adequately treated elsewhere. Our goal is to alleviate these symptoms and make their remaining time as comfortable as possible.
How do you experience hope in your work with guests, given the imminent death?
Hope plays a major role, but it manifests in very different ways. Some guests hold on to the hope of recovery until the very end, even though there is no prospect of it. Our job is to respect and support that hope wherever we can. Very few people are afraid of death itself. More often, they fear pain or shortness of breath. A great source of comfort is when we can assure them: “I am here, I will take care of you.”
Is there a connection between hope and the guests‘ faith?
Yes, I see that often. Religious people often find peace more easily because their faith gives them strength. They can accept the idea of life after death and let go. But even guests who are not religious find hope—whether through conversations, rituals, or simply the awareness that we will not leave them alone.
How does resistance manifest in guests?
Resistance is common, especially among younger guests or people who are suddenly confronted with the finiteness of their lives. Some are angry or sad that their life is ending, while others fight until the very end. Some guests direct their anger at us caregivers or their relatives. This anger is often not about the people themselves but about the situation. We try to show understanding and not judge this resistance.
How do you experience relatives resisting the loss?
That happens often. Death usually announces itself: breathing changes, facial color, body posture, and consciousness. If desired, we inform the relatives, whether day or night. Sometimes, relatives have difficulty letting go, and their presence can even influence the dying process.
There are times when many relatives gather around the bed, and it often happens that the dying person cannot let go. When many people are sitting around, stroking them, and signaling, “We can’t do without you, stay here,” letting go becomes difficult. I then gently suggest stepping out of the room so the dying person has the chance to find their moment. It often happens that someone passes away just as their relatives step out for a cigarette or a coffee. Sometimes, however, the dying person wants someone to sit with them. You can sense that. In those cases, I stay, say a few quiet words, sing a song, or play soft music to accompany them.
What does hope mean to you personally in your work?
Hope, for me, means that we can provide comfort and security to guests and their families. It is beautiful to see someone pass away in peace. Personally, I draw hope from the human connections I make and from knowing that we can make a difference in difficult moments.
How do you maintain your own inner balance in the face of resistance and grief?
It is important to maintain a healthy distance. I empathize, but I do not suffer with them. Outside of work, I recharge through my family, friends, and hobbies. And within our team, we laugh a lot—humor is an important part of our work. You just have to know when and where it is appropriate.
What can relatives do to preserve hope?
It helps to talk openly about feelings and memories. Sometimes, it is also important to resolve conflicts or consciously enjoy shared time. We encourage relatives to do whatever feels right for them and the dying person—whether through rituals, music, or simply by being present.
Death makes us aware of our own mortality. We all know this, but it is difficult to confront. Saying goodbye is sad and often associated with illness and suffering. But through my work, I know that it is possible to die well. With the right support, we can accompany people with dignity on their final journey.
Info Box:
Claudia Baaske is 51 years old and has been working at the Elisabeth Hospice in Darmstadt for 13 years. She is a trained nurse with additional qualifications in palliative care. In addition to caring for hospice guests, she works as a practical trainer, supervising trainees and participants in further education programs.
- Zwischen Nähe und Abschied: Wie Hoffnung und Widerstand den Hospizalltag begleitenZwischen Nähe und Abschied: Wie Hoffnung und Widerstand den Hospizalltag begleiten Von Emil Dröll (25.Mär.2025) Interview mit Claudia Baaske, Palliativ-Care-Fachkraft im Darmstädter Elisabethenstift: Wie Hoffnung im Hospiz entsteht und wie man dort mit Widerstand umgeht. Die Gewissheit, dem eigenen Tod nahe zu sein, ruft bei Menschen ganz unterschiedliche Emotionen hervor: Wut, Trauer, Resignation oder auch… Weiterlesen »Zwischen Nähe und Abschied: Wie Hoffnung und Widerstand den Hospizalltag begleiten
- “Ein langer Atem für den Darmbach”“Ein langer Atem für den Darmbach” von Lucie Kraft (19.Mär.2025) Wie eine Initiative versucht, das kleine Gewässer im Herzen der Stadt wieder zum Leben zu erwecken Der rund 30 Kilometer lange Darmbach entspringt im Darmstädter Ostwald. Ab dem Vivarium fließt er durch Wiesenlandschaften, durchquert den Botanischen Garten und den Großen Woog, bevor er größtenteils unterirdisch… Weiterlesen »“Ein langer Atem für den Darmbach”
- „Ins Netz gegangen“ Teil 3: Kunst und Social Media – verträgt sich das?„Ins Netz gegangen“ Teil 3: Kunst und Social Media – verträgt sich das? Von Louisa Albert (26.Feb.2025) Ins Netz gegangen Surfen, snappen, schreiben – das Internet und vor allem die sozialen Netzwerke sind seit der Jahrtausendwende zu einem einzigartigen gesellschaftlichen Raum geworden, der nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. Die ganze Welt ist online,… Weiterlesen »„Ins Netz gegangen“ Teil 3: Kunst und Social Media – verträgt sich das?