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Der Kampf gegen die Angst

von Fabienne Kissel

Nachmittags im Zug, auf dem Weg nach Hause von der Berufsschule, da beginnt ihr Herz plötzlich schnell zu schlagen, dann zu rasen. Sie zittert. Die Beine werden butterweich. Ein Gefühl des Erstickens und ein Stechen in der Brust machen sich breit. Amelies* Gedanken werden immer hektischer und irrationaler. Irrationale Ängste und kontextlose Albtraum-Szenarien überrollen sie: „Was wäre, wenn meiner kleinen Schwester etwas passiert?” 

Sie versucht, sich auf die vorbeiziehenden Bäume zu konzentrieren. Die schwitzigen Hände presst sie dabei im Schoß zusammen. Das eine Ende ihrer schwarzen Kopfhörer hat sie im Ohr, das andere baumelt auf ihrer Schulter. Ihr Lieblingslied, Somewhere I belong von Linkin Park, säuselt in ihre Ohren. 

Wenn die Angst wieder zum Vorschein kommt, versetzt die Musik sie in eine Parallelwelt. Stets mit einem Kopfhörer. Niemals beide. Sonst verliert sie die Kontrolle. Amelie leidet an Panikattacken und einer Angststörung. Sie will die Angst aber nicht gewinnen lassen.

Illustration: Karoline Hummel

Seit 2020, als Corona sich breit machte, sind Amelies Ängste katastrophaler geworden. Der Kontakt zu Menschen fehlte, der Alltag war nicht mehr derselbe. Die Momente, aus denen die Chemielaborantin Kraft gezogen hatte, waren nun durch Corona nicht mehr da. Keine Treffen mit Freunden, keine Konzerte, weniger tiefgründige Gespräche. Plötzlich war sie in ihrer Wohnung alleine mit den grenzenlosen Gedanken. Dort, wo sich die Ängste zahlreich versammeln – bereit zum Angriff.

„Ich war nie an einem Punkt in meinem Leben, an dem mir alltägliche Dinge schwer gefallen sind. Durch Corona hat sich meine Angst massiv verstärkt.”, sagt sie. Damit ist sie nicht alleine. Die Corona-Pandemie hat laut der WHO zu einem Anstieg von psychischen Erkrankungen geführt. Die Fälle von Depressionen und Angststörungen sind weltweit um circa 25 Prozent gestiegen. Insgesamt leben fast eine Milliarde Menschen mit einer psychischen Krankheit. 

Manchmal reicht für Amelia schon ein Telefonat – zum Beispiel, um einen Termin auszumachen. Oder das Einkaufen im Supermarkt. Da überfällt sie die Angst. „Ich traue mir das dann nicht zu. Was denken andere Menschen von mir? Nehm’ ich zu viel Platz im Gang weg? Brauche ich zu lange zum Einräumen oder zum Bezahlen?”, erzählt sie mit feuchten Augen. Ihre Ängste haben verschiedene Gesichter: Manchmal sind es Panikattacken, manchmal ein psychosomatischer Schmerz im Arm. Manchmal liegt sie die ganze Nacht wach. Ihre endlosen Gedanken rauben den erholsamen Schlaf. Todmüde beginnt der Kreislauf am nächsten Morgen von Neuem.

Seit Januar 2021 geht Amelie zur Therapie. Sie hatte großes Glück mit dem Therapieplatz und musste nicht unter monatelangen Wartezeiten leiden, wie es viele Hilfesuchenden erleben. Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) warten Betroffene durchschnittlich 22 Wochen auf einen ambulanten Therapieplatz. Hilfe wird schnell gebraucht. Das Problem ist, dass es insgesamt zu wenige Kassensitze gibt. Die Zahl der zugelassenen Psychotherapeuten steigt, doch nur etwas mehr als die Hälfte wird von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Bundesweit bräuchte es zusätzlich 2400 Kassensitze. 

Durch die Therapie gelange sie Schritt für Schritt wieder zu sich selbst, erzählt Amelie. Sie fordere sich selbst heraus, sie konfrontiere sich mit ihrer Angst, anstatt sich zu bremsen. Das alles sei aber ein langer Weg. Der Therapeut leite sie, aber im Grunde führe sie ein moderiertes Selbstgespräch. Beim Autofahren nehme sie neue Wege, beim Einkaufen räume sie extra langsam ein. „Ich hab mich getraut, den Kellner zu fragen, ob wir zahlen können. Darauf bin ich stolz. Früher hatte ich nicht den Mut dazu”, erzählt sie. 

*Name geändert

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