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“Ihr seid gut so, wie ihr seid”

Von Stefanie Eller

Illustration: Karoline Hummel

Noch ist die kleine Bühne leer. Die Menge der Menschen, die sich davor versammelt hat, pfeift und klatscht in Vorfreude darauf, was sie gleich erwartet. Dann setzt die Musik ein. Wie ein Engel gekleidet, ganz in weiß mit blonden, wallenden Locken, tritt Ariana Harmony auf die Bühne. Mit ihrer von fulminantem Applaus getragenen Tanz-Performance zu dem Lied “Come Together”, von der bekannten Drag-Queen Eureka O’Hara, feiert Ariana ihr Drag-Debüt auf der Bühne des Heinerfests in Darmstadt.

“Es war ein unglaubliches Gefühl endlich vor anderen Menschen auftreten zu können und auf der Bühne stehen zu dürfen”, sagt Tim, wie Ariana bürgerlich heißt, “ich habe jede Sekunde geliebt und kann es kaum abwarten, wieder auftreten zu können”. Er lässt seinen Blick über sein WG-Zimmer streifen. Dort ist Ariana überall präsent: Bunte Perücken die auf Styropor-Köpfen ausgestellt sind, das Schuhregal mit High-Heels in allen möglichen Farben und Formen oder auch durch das an einem Kleiderbügel am Schrank hängende Kleid.

Seit etwa vier Jahren verwandelt sich Tim von Zeit zu Zeit in sein “Alter-Ego“, die Drag-Queen Ariana Harmony, was im Schnitt zwischen drei und sechs Stunden in Anspruch nimmt. Alles nahm seinen Anfang damit, dass er 2018 die 7. Staffel der Serie “RuPauls Drag Race“ gesehen hat. “Dann dachte ich mir, was die können, kann ich schon lange”, meint er, “und so ist Ariana entstanden”. Seitdem hat der 24-Jährige viel Zeit und Arbeit, aber auch Geld in Make-Up und Outfits dafür gesteckt. “Aber das ist es mir auf jeden Fall auch wert”, sagt er. Denn Drag ist für ihn nicht nur eine Verkleidung. “Drag bedeutet für mich, eine Facette meiner Persönlichkeit ausleben zu können”, meint er, “und diese Facette darf und will gelebt werden.” Und diese Einstellung färbt laut ihm auf die Menschen ab, die Ariana treffen. “Vor allem auf queeren Veranstaltungen werde ich geliebt und bekomme nur positive Reaktionen.” Aber es gibt auch Situationen, die sich für Tim unangenehm darstellen. “Je weiblicher ich in meinem Auftritt als Drag-Queen aussehe, desto öfter wird mir auf der Straße hinterhergepfiffen oder ich bekomme sexistische Kommentare an den Kopf geworfen.” An eine Situation auf dem CSD in Mannheim vor ein paar Jahren erinnert er sich noch genau: “Da ist eine Gruppe von drei jungen Männern an mir vorbeigelaufen und einer hat dann gemeint, was denn nur aus dieser Menschheit geworden ist.” Glücklicherweise musste Tim in Drag aber noch keine körperlichen Attacken erleben.

Das ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Seit Jahren nehmen die Angriffe auf Menschen aufgrund von sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentität zu. So veröffentlichte der deutsche Lesben- und
Schwulenverband eine Statistik, die für das Jahr 2020 insgesamt 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen queere Menschen registriert, darunter 154 Gewalttaten. Das ist ein Anstieg von 36% gegenüber dem Vorjahr.

Daneben umranken viele Klischees die Kunst der Drag-Queens. Vor allem der Vorwurf, dass die überspitzte Darstellung der klassischen Drag Queen sexistische Züge hätte und bestimmte Rollenmuster weiter vertiefen würde, wird auch in der queeren Community debattiert. Tim kann dem nur widersprechen. “Meine persönliche Einstellung ist, dass mein Drag eine Hommage an alle Frauen auf der Welt ist.” Laut ihm ist Drag auch nicht nur die Verkörperung von purer Weiblichkeit, sondern eine “unfassbar starke und große Kunstform mit sehr vielen Facetten.” Laut ihm sei Drag für alle da. “Jeder kann sich die Kunstform zu eigen machen und sein eigenes Kunstwerk erschaffen” – damit widerspricht er auch dem Klischee, dass Drag nur für schwule Männer da wäre.

Mit dieser Aussage beendet Ariana auch ihren Auftritt auf dem Heinerfest. Mit einer Regenbogenflagge, die sie während der Performance elegant aus dem Kleid hervorgezogen hat, steht sie nach der Show auf der Bühne und wendet sich mit eindringlichen Worten an alle Zuschauer: “Ihr seid gut so, wie ihr seid. Wir stehen alle zusammen unter einer Flagge, und die heißt Mensch.”

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