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Influencern auf der Spur: Selfie-Hotspots statt “unberührter” Natur

von Lucia Junker und Rebecca Ette

Illustration: Karoline Hummel
Illustration: Karoline Hummel
Illustration: Karoline Hummel

Der Sommer 2022 steht bevor, die Corona-Maßnahmen werden während der warmen Monate voraussichtlich gelockert, uns packt die Reiselust. Aber wo soll es hingehen? Das Reisen war noch nie so einfach wie heute: wir können fliegen, mit dem eigenen Pkw oder dem Zug reisen. Nahezu kein Reiseziel ist unerreichbar, dementsprechend ist die Auswahl groß. Also packen wir das Smartphone aus und lassen uns inspirieren. Strahlend blaues Wasser, kalter Wein, tropische Wälder und schneebedeckte Berge – alles weit verbreitete Fotomotive, begleitet von Menschen mit strahlendem Lächeln, gebräunter Haut und perfekten Körpern. Wir blicken aus dem Fenster, der graue Februar bietet nicht sonderlich viel Schönheit oder Wärme. Also geht es nach Bali, dort kann auch gleich das “Gate of Heaven” für ein Selfie besucht werden.

Reisen, um den eigenen Horizont Feed zu erweitern

So oder so ähnlich ergeht es vielen Menschen. Eine Umfrage von Instagram zeigt, dass 48 Prozent der Befragten die Plattform nutzen, um sich über das nächste Reiseziel zu informieren. Weitere 35 Prozent hiervon lassen sich auf Instagram für neue Orte inspirieren. Die Suche nach immer neuen Inspirationen für die nächste Reise und das nächste Hotel ist jedoch nichts Neues. Bilder beeinflussen schon seit geraumer Zeit unsere Reiseziele.
Warum das so ist, beschreibt der Soziologe Dean MacCannell in seinem 1976 veröffentlichten Buch “The Tourist: A New Theory of the Leisure Class”. So machen Bilder unbekannte Landschaften vorstellbar und treiben somit Tourist*innen dazu, die reale Szene sehen zu wollen. Heute geht es jedoch nicht mehr nur darum, beeindruckende Orte mit den eigenen Augen zu sehen. Es geht auch darum, mit allen anderen zu teilen, dass wir diesen besonderen Ort besucht haben. Eine 2017 durchgeführte britische Studie des Ferienhaus-Versicherers Schofields Insurance ergab, dass 40 Prozent der 18- bis 33-Jährigen ihre Reiseziele nach deren „Instagramability“ aussuchen. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass Bilder dazu gemacht werden, um sich als “interessante” Person auf Instagram zu vermarkten. Vorbild für dieses Verhalten sind Instagrams Reiseinfluencer*innen. Sie besuchen besondere Destinationen, teilen Stories von ihrem Essen und posten Bilder von sich an immer schöneren Orten. Dieses Geschäft kann sich durchaus lohnen. Tolle Reisebilder bringen Likes, Kommentare und Reichweite. Je mehr Reichweite ein*e Influencer*in besitzt, desto mehr Werbedeals bekommt diese Person. Das setzt natürlich voraus, dass die Follower*innen mit regelmäßigem und spektakulärem Content versorgt werden. Ein einfaches Bild reicht dazu häufig nicht mehr. Reiseinfluencer*innen müssen sich immer wieder übertreffen. Statt einem Landschaftsbild, muss es der Backflip von einer Klippe oder das Selfie mit einem Elefanten sein.

Was sind “Geotags”?

“Geotags” oder “Geotagging” ist das Hinzufügen von geografischen Koordinaten zu Webinhalten. So kann mit Hilfe von elektronische Karten (Google Maps) beispielsweise der genaue Entstehungsort einer Bildaufnahme angezeigt und von anderen aufgerufen werden.

“Einzigartige” Reisebilder oder doch eher Mainstream?

Diese Selbstdarstellung ist heute ein allumgreifendes Problem. Eine Umfrage von Booking.com zeigt, dass 34 Prozent der jungen Deutschen nur verreisen, um Fotos davon auf den sozialen Netzwerken zu teilen. Diese Darstellungssucht führt jedoch eher dazu, dass wir alle immer die gleichen Bilder machen. Besonders aufregende Orte werden, da sie Aufmerksamkeit erregen, häufig als Motiv von Reiseinfluencer*innen und anderen Instagram-Nutzer*innen verwendet. Sie werden geliked, gespeichert, geteilt und getaggt. Wir bekommen also über die gesamte Plattform verteilt immer wieder die gleichen Bilder zu sehen. Erscheint uns dieses Bild als schön, möchten wir dorthin und eines von uns selbst in dieser Szenerie schießen. Jedoch haben tausend andere Menschen dieses oder ein ähnliches Bild auf derselben Plattform gesehen und verfolgen den gleichen Gedanken. Der Instagram-Account “insta_repeat” veranschaulicht deutlich, welches Problem unsere Selbstdarstellungssucht verursacht.

Während wir also der Oma am Kaffeetisch stolz diese Bilder präsentieren, die über Social Media verbreitet werden und zahlreiche Likes generieren, sind wir Teil eines gefährlichen Trends.

Infinity-Pools, die bayerischen Like-Garanten

Dieser Trend zeigt sich auch in Berchtesgarden: Like-Garant sind die sogenannten “Infinity-Pools” am Königssee. “Es werden viele nahezu identische Aufnahmen von diesen Instaspots gepostet.”, bestätigt die Verwaltung des Nationalparks Berchtesgaden auf Anfrage. Bilder von hellblauem Wasser, ein Becken aus Steinen und ein Ausblick auf den Königssee – gerade zu magisch wirken die Naturpools am Königsbach Wasserfall. Das dachte sich wohl auch die Influencerin Yvonne Pferrer im Juni 2020. Sie postete ein Bild von sich im “Infinity-Pool” auf Instagram, markierte den Ort und fügte eine kurze Wegbeschreibung hinzu.

Der Nationalpark führte bereits 2019 eine Umfrage der Besucher*innen, nach Quellen und Motivation für ihren Aufenthalt, durch. 61,9 Prozent der Befragten gaben an, dass sie über Social Media auf Königsbach aufmerksam geworden sind. Ein Drittel wollte ein Foto von sich auf Social-Media veröffentlichen (Psyplan im Auftrag des Nationalparks 2019). 

Ein gefährlicher Trend

Ein Massenansturm auf den einst unbekannten Ort entwickelte sich über die letzten Jahre, auch durch Posts wie den von Yvonne Pferrer. In Berchtesgaden zeigt sich, wie gefährlich dieser Hype für Mensch und Natur werden kann. “Die Gefahren für den Menschen sind hier das Abstürzen auf dem ungesicherten, sehr abschüssigen Weg dorthin und am Pool selbst, sowie das Ertrinken durch die gefährlichen Strömungen in den Gumpen.”, so die Nationalparkverwaltung. Im Sommer 2019 ertranken zwei junge Männer in einem der Pools. Doch auch die Natur leidet: der Boden wird zertrampelt, Müll wird liegen gelassen und geschützte Vogelarten vertrieben.

Die Nationalparkverwaltung versuchte, das Problem zu lösen. Sie informierte Yvonne Pferrer über die Problematik und bat sie, den Post samt Wegbeschreibung zu löschen. Doch Yvonne Pferrer sei wenig kooperativ gewesen und weigerte sich, den Post zu löschen, schreibt die Nationalparkverwaltung. “Allerdings hat sie diesen zumindest nachträglich mit einen Hinweis versehen, was hier ihr vermutlich auch einen gewissen Eigennutzen brachte, da „gefährliche“ und „verbotene“ Orte in der Instagram-Community noch viel mehr Aufmerksamkeit erregen.” Sie ergänzt, dass der Kontakt mit Influencer*innen im Allgemeinen schwierig sei und sie bisher wenig Erfolg damit gehabt hätten.

Ende Juni 2021 folgt eine drastische Maßnahme. Das Landratsamt Berchtesgadener Land erlässt eine Verordnung zur Sperrung des Gebiets rund um die Gumpe, also die „Infinity-Pools“. Das Gebiet soll für voraussichtlich fünf Jahre gesperrt werden. Vor allem damit sich die Natur erholen kann, gibt die Nationalparkverwaltung an. Nun ist es um Naturpools ruhig geworden. “Das Verbot wird größtenteils akzeptiert, womöglich auch wegen der starken Kontrolle der Zugänge zu dem Gebiet. Ein paar Tourist*innen betreten das Gebiet aber trotz der Hinweise immer noch. Hier gab es schon einige Anzeigen”, ergänzt die Verwaltung.

Nationalparks: das “Must see” der Instagram-Era

Der Massentourismus durch Instagram ist nicht nur im Nationalpark Berchtesgaden ein Problem – in den letzten Jahren hat die Beliebtheit der Parks stark zugenommen. Laut dem “National Park Service” betrug der Besucher*innenansturm auf amerikanische Nationalparks 2016 rund 330 Millionen Besuche, in den 50er Jahren waren es noch unter 50 Millionen und auch in den frühen 2000ern, also in Vor-Instagram-Zeiten, noch weit unter 300 Millionen.
Der Nationalpark Berchtesgaden bleibt weiterhin gut besucht. Der Verwaltung nach gingen auch vor dem Verbot nur ein Bruchteil der Besucher*innen zu den Pools. Das Problem: “Da dieser Ort aber sehr sensibel ist, viele Regeln missachtet wurden und der Weg dorthin sowie der Ort selbst diese Masse an Besucher*innen nicht verträgt, wurde viel Aufmerksamkeit auf diesen Teil der Tourist*innen gelenkt.” Nationalpark-Besuch geht also auch anders. Doch wie können Parkverwaltungen, Influencer*innen und Besucher*innen auch den Zugang zu diesen besonders außergewöhnlichen Orte bewahren und gleichzeitig Mensch und Natur schützen?  

Wie “Hidden Places” gerettet werden können

Parkverwaltungen können die Besucherzahlen begrenzen, indem nur eine bestimmte Anzahl an Besucher*innen dieses Gebiet betreten darf. Diese Strategie wird beispielsweise schon in Touristen-Metropolen wie Amsterdam angewandt.  hier erließ die Stadt eine Verordnung, in der die maximalen Übernachtungen durch Tourist*innen pro Jahr geregelt sind. Die Parkverwaltung Berchtesgaden klärt bereits auf den eigenen Social-Media-Kanälen über den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur auf. Doch besonders Influencer*innen sollten verantwortungsvoll mit ihrem Content umgehen.

Entscheidend ist hier vor allem das Geotagging. WWF führte dazu eine Kampagne durch, um Influencer*innen für Naturschutz zu sensibilisieren. Anstatt einen Ort zu taggen und so den Standort preiszugeben, können sie den Geotag “I protect nature”, der zum WWF-Sitz in Frankreich führt, setzen. Eine weitere Möglichkeit ist es, ganze Regionen zu taggen. So macht es der Reise- und Landschaftsfotograf Roman Königshofer @rawmeyn auf Instagram. Dadurch kann Tourismus in ganzen Regionen und nicht nur an einzelnen Hotspots gefördert werden.

Auf Geotags zu verzichten bedeutet für Influencer*innen:

Influencer*innen verdienen durch ihre Reichweite Geld. Eine Instagram-Studie von Simply Measured, ergab 2014, dass Posts in denen ein Standort getagged ist, 79 Prozent mehr Interaktion erfahren. 

Das Influencer-Dasein: Ein harter Job

Doch gleichzeitig zeigen viele Reiseinfluencer*innen Bilder, die den Eindruck erwecken, “unberührte” Natur zu zeigen. Auch Königshofers Bilder zeigen einsame Berggipfel in den Alpen oder Gletscher in Grönland. Doch Natur kann nicht unberührt bleiben, wenn tausende Menschen diese traumhaften Orte nach dem Liken und Teilen möglicherweise mit eigenen Augen sehen möchten. Tragen also Influencer*innen wie Roman Königshofer dazu bei, dass solche Orte ihre „unberührte“ Natur durch Massentourismus verlieren? “Klar kann es dazu beitragen, dass irgendwer ein Foto von mir sieht, dann auch dorthin fährt und sich nicht dementsprechend verhält. Aber ich denke, das ist die Ausnahmen und das habe ich ja eh nicht in der Hand. Die einzige Lösung wäre dann ja, dass ich keine Fotos mehr teile und mir einen anderen Job suche… eher unwahrscheinlich.”, meint Königshofer. Was Influencer*innen jedoch ändern können, ist, selbst verantwortungsvolles Verhalten durch ihre eigenen Posts vorzuleben. Sie können zeigen, dass ihr Job harte Arbeit ist, auf die sie sich vorbereiten. Königshofer sagt, dass er seine Reisen im Vorfeld so gut wie möglich plant. “Wie kann das Wetter werden, was gibt es vor Ort, was nicht, und was muss ich mitnehmen? Je nachdem hat man dann entsprechende Ausrüstung dabei. Die ist jedoch immer unterschiedlich.” Auch auf Instagram zeigt er sich mit passender Kletterausrüstung und beschreibt, wie er sich an Natur und Wetterbedingungen anpassen muss.

Die Spuren der Inspiration

Nicht Jede*r bestimmt die nächste Reisedestination anhand von Instagram-Bildern. Dennoch reicht es oft schon aus, sich näher mit dem eigenen Umfeld zu befassen, um diesen Trend zu bemerken. In einer von der Redaktion auf Instagram durchgeführten Befragung gaben sechs von zehn Befragten an, sich für ihre nächste Reise Inspiration auf Instagram zu holen.

Die Social-Media-Plattform ist mittlerweile aus der Reiseplanung vieler nicht wegzudenken. Was dahinter steckt, sollte nicht vergessen werden:

  • Auf ‘ne Pink Lady
    Kaffee und Kiffen statt Kaffee und Kippen: Seit dem 1. April ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für Volljährige zum Eigenkonsum legal. Was bedeutet das für Studierende, die zuvor schon gekifft haben? Und: Was hat sich seit der Legalisierung für sie geändert?
  • Versäumte Bilder – Eine Ausstellungs-Review
    „Frauen in der Wissenschaft sichtbar machen.“ Das hörte sich erstmal interessant an, bevor ich die Ausstellung aber besuche, möchte ich mich aber nochmal genauer informieren. Ich nehme mein Handy aus meiner Tasche, gehe auf Google und suche den Titel der Ausstellung. Das Erste, was mir gezeigt wird, ist fett geschrieben, in roten Buchstaben: „Meinten Sie: Versaute Bilder, Frauen in der Wissenschaft?“
  • Mediencampus: Willkommen im Sommersemester 2024
    Wir wünschen euch den besten Semesterstart für das Sommerhalbjahr! Mit einem – wie wir finden – ziemlich realistischen Eindruck davon, was euch am Mediencampus in Dieburg erwartet.

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