Lützi Lebt! Lützi Bleibt?
Teil 1 Lucia Junker, Teil 2 Anonym
Teil 1 – Polizei räumt „Lützi“
Am 11. Januar hat offiziell die Räumung des Dorfes Lützerath in der Nähe von Mönchengladbach begonnen. Über 2 Jahre haben Aktivist*innen das Dorf besetzt. Denn ”Lützi”, wie es die Aktivist*innen nennen, soll abgebaggert werden. Der Grund dafür: Unter Lützerath befindet sich Braunkohle. Das Dorf grenzt direkt an den größten Tagebau Deutschlands, den Tagebau Garzweiler von RWE, dem es nun weichen soll. Bereits 2006 hat die Umsiedlung der Region um Lützerath begonnen. Heute leben in Lützerath nur noch Aktivist*innen, sie haben das Dorf wieder belebt. Im Oktober 2022 haben Bund und das Land Nordrhein-Westfalen sich mit dem Energiekonzern RWE darauf geeinigt, dass der Kohleausstieg NRWs auf 8 Jahre vorgezogen wird und 5 Dörfer die eigentlich abgebaggert werden sollten, bleiben dürfen. Jedoch nicht Lützerath. 280 Millionen Tonnen Kohle sollen nach diesem Deal noch verbrannt werden. Laut der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung sei die Räumung Lützeraths unvermeidbar, da die Kohle unter dem Dorf benötigt würde, um die Energiesicherheit sicherzustellen.
Belegt wird dies durch verschiedene Gutachten. Zu beachten ist allerdings, dass die Gutachten teils von RWE in Auftrag gegeben wurden. Außerdem wurden Rechenfehler in den Gutachten entdeckt. Unabhängige Studien kommen zu dem Schluss, dass Lützerath für die Energiesicherheit nicht abgebaggert werden müsste. Damit das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann, dürften laut einer Studie des DIW Berlin maximal 46 Millionen Tonnen CO2 aus dem Tagebau befördert werden und das bis zum 1. Januar 2022. Diese 46 Millionen Tonnen sind natürlich bereits angebrochen. Catharina Rieve, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute of Energy and Environmental Management der Europa-Universität Flensburg, prognostiziert im Interview mit dem Podcastradio detektor.fm, dass diese Menge bis Ende 2023 voraussichtlich bereits aufgebraucht sein wird. Somit hätte der Tagebau bereits seit 2 Jahren nicht mehr weiter ausgebaut werden dürfen, um die Pariser-Klimaziele einzuhalten.
Trotzdem hat die Polizei nun mit der Räumung begonnen. Doch die Aktivist*innen verteidigen Lützerath. Sie haben das Bündnis “Lützerath lebt” gegründet, Barrikaden gebaut und sich in Aktionstrainings auf die Räumung vorbereitet. Tausende Menschen sind in den letzten Tagen nach Lützerath gereist und haben sich dem Protest angeschlossen. Die Bilder, die uns die letzten Tage aus Lützerath erreicht haben, zeigen Hundertschaften, Schlangen von Polizeiautos, Aktivist*innen, die stundenlang in Tripods hängen, auf dem Boden liegen bleiben oder in Menschenketten versuchen, die Räumung aufzuhalten. (Von Lucia Junker)
Doch wie sah das Leben in Lützerath vor dem Beginn der Räumung aus?
Eine Gruppe Studierender der H_da ist vor einigen Wochen gemeinsam nach Lützerath gereist:
Teil 2 – Lützerath lebt
DAS LEBEN IN LÜTZERATH
Das Leben in Lützerath ist vor allem von einem geprägt: Freiheit und Selbstbestimmung. Als wir am ersten Tag einen in Lützerath lebenden Menschen gefragt haben, wie denn hier der Alltag aussieht, hat dieser nur gelacht. Das Wort “Alltag” existiert hier quasi nicht, jeder Tag schaut anders aus.
Es gilt das Motto: “Lützi Lebt”, also Lützerath und die Gemeinschaft am Leben zu halten. Das selbstorganisierte Leben soll kapitalistische Muster von Konkurrenz und Profit ersetzen. In Lützerath gibt es keine Hierarchien, da Entscheidungen durch autonome Selbstverwaltung in Plena gemeinsam getroffen werden.
Aufgaben, die anfallen, werden gemeinschaftlich getragen, jede Person kann sich bei diesen einbringen. Dazu zählen beispielsweise die KüfA (die vegane, tägliche “Küche für Alle”), der Kloputz, die Nachtwache und der Sanitätsdienst. Zudem kann mensch* auch an den Baumhäusern weiterarbeiten, Obst und Gemüse anbauen, Workshops geben, um anderen coole Skills (wie z.B. Klettern oder Stricken) beizubringen, Demos, Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen mitgestalten oder die Infrastruktur weiter ausbessern.
In Lützerath spielt “Awareness”, also Achtsamkeit, eine wichtige Rolle. Es wird viel Wert auf einen sozialen, diskriminierungsfreien und rücksichtsvollen Umgang gelegt, damit sich alle wohl fühlen. Es gibt Bezugsgruppen, die sich in den verschiedenen Dorfbereichen treffen und untereinander austauschen. Zudem gibt es die “Emotional First Aid”, wo mensch sich austauschen, über Probleme und Sorgen reden kann. Um alle Aktivist*innen an den Treffen teilhaben lassen zu können, finden viele Treffen auf Englisch statt oder werden übersetzt.
Wie und wo mensch in Lützerath wohnt, kann sich jede Person selbst aussuchen. Die selbstgebauten Baum- und Stelzenhäuser, die besetzten Wohnhäuser, aber auch die Zeltplätze bieten viel Platz und Rückzugsmöglichkeiten. Auch Lagerfeuer, Partys, Konzerte, Film- und Themenabende kommen nicht zu kurz und das prägt die Gemeinschaft enorm.
Im krassen Kontrast dazu hört mensch vor allem nachts die großen Schaufelbagger von RWE, die rund um die Uhr laufen und die Erdschichten bis hin zur Kohle abgraben. Der besetzte Weiler befindet sich nämlich direkt am Rande des riesigen Kohletagebaus und die Kante steht sinnbildlich für die Grenze von 1,5 Grad Celsius. Morgens beim Sonnenaufgang einen Kaffee auf einem Campingstuhl an der Kante zu trinken, ist der beste Start in den Tag in Lützerath.
EIN ORT DER HOFFNUNG
Lützerath ist für uns ein Ort der Hoffnung. Das Leben und die Menschen dort haben uns sehr inspiriert. Alle werden direkt in die Gemeinschaft aufgenommen und es ist sehr niederschwellig, in die Strukturen reinzufinden. Auch die Freiheit, zu machen, was einem gut tut und womit mensch sich wohlfühlt, fanden wir sehr erstaunlich. Durch die solidarische Grundeinstellung sind die Menschen sehr hilfsbereit und auch unbequeme Aufgaben werden immer erledigt (z.B. der Kloputz). Zudem kommt es nicht auf die Produktivität, sondern auf die Qualität an. Auch ein ganzer Tag in einer gemütlichen Kaffeerunde mit guten Gesprächen ist ein gelungener Tag. Als wir eine Person gefragt haben, warum sie schon länger in Lützerath lebt, meint diese, sie sei gerne dort, weil sie hier ein Leben mit den wenigsten Widersprüchen leben kann. Und das ist auch unser Eindruck.
Gemeinsam wird für Veränderung und Gerechtigkeit gekämpft und festgefahrene Strukturen im alltäglichen, gesellschaftlichen Leben werden hinterfragt und neu gedacht. Tagtäglich wird die eigene Lebensweise hinterfragt, was einem ganz persönlich auch den Anspruch gibt, dies häufiger zu tun. Wir haben uns vor Ort, aber auch im Nachhinein mehr mit dem Thema Konsumverhalten bis hin zum modernen Kolonialismus befasst und darüber nachgedacht.
Trotz Trauer und Wut gegenüber der Politik und den Großkonzernen überwiegt in Lützerath die Hoffnung und Entschlossenheit, etwas zu verändern. Und das schenkt Kraft und Mut.
Dennoch ist es jedes Mal ein überwältigendes und bedrückendes Gefühl, an der Kante zu stehen und dem Kohlekonzern RWE beim Abbaggern zuzuschauen. Dabei wissen wir längst, welche Auswirkungen fossile Energiegewinnung auf das Klima hat. Doch an einem solchen Ort werden einem die Klimakrise und ihr Ausmaß noch einmal ganz anders bewusst.
Daher ist Lützerath so wichtig, denn hier wird entschieden, welchen Weg wir in Zukunft gehen werden.
Seit die Studierenden in Lützerath waren, ist einige Zeit vergangen. Am Samstag den 14. Januar werden mehr Darmstädter*innen nach “Lützi” zur Großdemonstration fahren. Bis zu 10000 Menschen werden dort erwartet. Was mit dem Dorf in den nächsten Monaten passiert, ist unklar. Klar ist: die Polizei zieht die Räumung durch und das nun auch in der Nacht. Klar ist aber auch: die Aktivist*innen sind entschlossen, Lützerath zu verteidigen.
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Was ein Tag (der 14.01.2023)! Trotz angekündigtem Wind und Regen haben wir uns gegen 6 Uhr in der Frühe in Darmstadt auf den Weg gemacht. Die Mobilisierung in den letzten Wochen und Tagen war enorm, vielerorts hat Fridays for Future gemeinsam mit anderen Politgruppen sowie Studierendenschaften und -vertretungen bundesweit aufgerufen. So waren neben Sozialprotesten die Klimaproteste um Lützerath auf den Social Media Kanälen vieler ASten omnipräsent, nur leider bei unserem eigenen AStA nicht – schade. Weder eine Positionierung noch eine Solidarisierung mit den kriminalisierten Aktivist*innen und auch kein eigener Beitrag zur Großdemonstration. Dafür war die Linke Liste „F.I.S.H.“ umso engagierter dabei – stabil!