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Natur und Menschen verschmolzen

Reportage von Niklas Wenzel (22.08.2023)

Die Goldenen Kuppeln auf dem Dach erkennt man schon von weitem. Auch die bunten Farben an der Spitze des 41 Meter hohen Turms fallen ins Auge. Beim Abbiegen in die Straße in Richtung des auffälligen Gebäudes ist ein Straßenschild mit der Aufschrift „Waldspirale“ zu sehen. Langsam wird das gesamte Bauwerk sichtbar – inmitten der urbanen Kulisse von Darmstadt erhebt sich eine einzigartige und faszinierende Struktur. Das surreale Kunstwerk zieht Bewohner*innen und Besucher*innen gleichermaßen in ihren Bann. Die Spiralform erkennt man nach einer Umrundung des Gebäudes. Auffällig ist die Einbettung der Natur, der Gegensatz von menschengemachtem Bauwerk und natürlichen Bäumen und Pflanzen. Mit der Waldspirale versuchte der Künstler Friedensreich Hundertwasser, die Grenzen zwischen menschlicher Schöpfung und natürlicher Schönheit verschwinden zu lassen.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

Friedensreich Hundertwasser hieß mit bürgerlichem Namen Friedrich Stowasser und wurde am 15. Dezember 1928 in Wien geboren. Er starb am 19. Februar 2000 an Herzversagen. Schon seit den Frühen 1950er Jahren trat Hundertwasser für eine natur- und menschengerechte Architektur ein. Er war strikt gegen die entstandene rationale, sterile Architektur und versuchte in seinen Bauwerken meist komplett auf gerade Linien und Ecken zu verzichten. Das alles wollte Hundertwasser auch in der „Waldspirale“ umsetzen. „Darmstadt war für Hundertwasser interessant, weil es die Stadt des Jugendstils war. Seine architektonische Vielfalt hat sicherlich ihren Ursprung in diesem Stil“, sagt Heinz Springmann, leitender Architekt der Waldspirale in Darmstadt. Er lernte Hundertwasser 1989 in Plochingen bei Stuttgart kennen. „Da habe ich mit dem Regenturm in Plochingen einen baulichen Wettbewerb gewonnen. Dann hat man den Hundertwasser gebeten, den Innenhof zu gestalten. Das wurde unser erstes gemeinsames Projekt.“ Springmann und Hundertwasser waren schnell mehr als nur Arbeitskollegen: „Er hat mir nach dem Projekt für die gute Zusammenarbeit einen seiner Linoldrucke geschenkt und darauf geschrieben: Für meinen Freund Heinz Springmann. Ich würde schon sagen, dass wir freundschaftlich miteinander verbunden waren.“

Nachdem Springmann und Hundertwasser ihr erstes Projekt erfolgreich abgeschlossen hatten, folgte kurz darauf das zweite: Die Waldspirale in Darmstadt. 1997 beauftragte der Bauverein Darmstadt Hundertwasser, ein Bauwerk mit 105 Wohneinheiten im Bereich des Bürgerparkviertels
zu entwerfen. „Der Bauverein hatte zu dem Zeitpunkt drei Bauten im Bürgerparkviertel gemacht, die alle modern und eben waren. Sie wollten aber auch etwas anderes machen, weshalb sie auf den Hundertwasser gekommen sind“, sagt Springmann. Mit dem ursprünglichen Bebauungsplan, der eine fünfgeschossige, karreeartige Bebauung mit Innenhof vorsah, waren Hundertwasser und Springmann aber nicht ganz einverstanden. „Wir haben zum Beispiel den vorgeschlagenen
Bauplatz getauscht und sind in die Randlage gegangen, damit man einen besseren Bezug zur Grünlandschaft hat“, sagt Springmann. Die Intention des Künstlers war es, wie in fast all seinen Projekten, der Natur durch ein menschengemachtes Bauwerk nichts weg zu nehmen. „Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer grünen Wiese, machen links und rechts zwei gegenüberliegende Schnitte und heben dieses Stück Wiese an. Jetzt bauen Sie darunter ein Gebäude. Die Wiese bleibt grün und ändert nur ihre Höhenlage. Und weil ihm eine grüne Wiese nicht gereicht hat,
haben wir das Dach der Waldspirale noch mit gut 100 Bäumen bepflanzt.“

Die Bauarbeiten der Waldspirale begannen 1998. Besucher*innen fällt beim Herangehen als erstes der öffentliche Durchgang zum Innenhof auf. Begibt man sich dorthin, sind einige Gärten der Bewohner*innen zu sehen. Außerdem gibt es einen Kinderspielplatz, ein Café, eine Bar und einen kleinen, künstlich angelegten Teich. Im Inneren des Gebäudes spiegelt sich Hundertwassers Stil sofort wieder. Die Flure sind bunt gestaltet, es gibt kaum gerade Linien und Ecken. Die Beleuchtung ist angenehm warm. Auch einige der 105 Wohnungen sind in diesem Stil gehalten. Beim Betreten einer dieser Wohnungen fällt sofort eine bunte Säule auf, die mitten im Wohnzimmer bis an die Decke ragt und von der Gestaltung ein bisschen an ein einfaches Mosaik erinnert. Die Wände sind alle gelb oder rot gestrichen, auch die Einrichtung der Bewohner*innen passt farblich und förmlich ins Gesamtbild. Auffällig sind auch die Fenster des Gebäudes. Jedes der mehr als 1000 Fenster ist ein Unikat. Aus dem richtigen Winkel kann das Gebäude durch die unregelmäßigen, ungeraden Fenster und die bunte Bemalung der Fassade von außen wie ein Kinderspielzeug wirken. Diese Wirkung erzeugt auch der Turm, dessen Fuß deutlich Breiter ist als die Spitze. Ein ungewöhnlicher Anblick. „Hundertwasser wollte immer, dass seine Gebäude den Ausdruck von Stabilität haben. Deshalb ist der Turmfuß breiter als die Spitze“, erklärt Springmann. Im Innenhof, zwischen den vielen Gärten, wird die Verbindung des Gebäudes zur Natur deutlich. Dort beginnt auch die Spirale, mit dem mit Bäumen und Stauden bepflanzten Schrägdach.

Man vergisst leicht, dass man sich gerade in einem Wohnkomplex in einer Großstadt befindet. Überall ist es grün, die bunte Fassade des Gebäudes unterstützt diese Wirkung. Auf den ersten Blick lässt sie ein einfaches, buntes Linienmuster erkennen. Doch hinter der Entscheidung für dieses Design steckt noch viel mehr. „Wir mussten für den Bau ein biologisches Gutachten durchführen, um die verschiedenen Sedimentschichten der Erde auf dem Bauplatz zu bestimmen. Da wir das Gebäude in einer Spiralform bauen wollten, hatten wir an der einstöckigen Stelle natürlich weniger Druck auf der Bodenplatte als an der zehnstöckigen“, sagt der Architekt. „Bei dem Gutachten wurden die verschiedenen Sedimentschichten in unterschiedlichen Farben gekennzeichnet. Als der Hundertwasser diese farbigen Schichten in meinem Plan sah, sagte er: Klasse, Springmann! Jetzt haben wir die Idee für die Fassade.“ Die farbigen Linien auf den Wänden des Bauwerks spiegeln die Sedimentschichten der Erde wieder, auf denen das Gebäude steht. Der Anblick erzeugt ein beruhigendes Gefühl. Man kommt etwas von den tristen Gedanken des Alltags ab und
fühlt sich mehr mit der Natur verbunden. Umschlungen von der Spirale zieht das Kunstwerk jede*n Besucher*in in seinen Bann – ja, fast in eine andere Welt.

Die Welt in Europa hatte Hundertwasser schnell satt. Durch seinen außergewöhnlichen Stil und sein künstlerisches Können, erreichte er einen hohen Grad an Bekanntheit. Doch das wollte der österreichische Künstler gar nicht.. „Ich habe ihn zu Lebzeiten zweimal in Neuseeland besucht. Das waren mit die wichtigsten Reisen, die ich in meinem Leben machen durfte“, sagt Springmann. „Hundertwasser hat sich gerne nach Neuseeland zurückgezogen, um seine Ruhe zu haben. Er sagte oft: Ich habe jetzt so viele Beispiele gegeben, wie man Architektur machen kann, ich brauche nicht noch ein Haus bauen, das hundert Meter höher oder länger ist.“ Hundertwasser hat es genossen, dass er in Neuseeland wirklich unbekannt war. „Die Nachbarn haben gar nicht gewusst, was für ein international bekannter Künstler er ist.“ Aus Springmanns Sicht war Hundertwasser aber mehr als nur ein Künstler. „Es war immer eine Bereicherung, sich mit ihm zu unterhalten, weil er nicht nur eine berufliche Sparte im Kopf hatte, sondern immer einen Schritt weiter gedacht hat.“ Springmann schweift in Erinnerungen. Vor allem die in Neuseeland sind ihm hängen geblieben. „Wir sind oft an der Küste oder im Wald spazieren gegangen. Das war schon immer ein Erlebnis. Es kam jedes mal sehr schnell eine intensive Konversation zustande. Seine Gedanken hatten oft fast schon philosophische Ansätze.“

Fertiggestellt wurde die Waldspirale erst sieben Monate nach dem Tod Hundertwassers. Das führte zu einigen Komplikationen in der Schlussphase des Baus. Es gab einige Diskussionen zwischen dem Architekten Heinz Springmann und Hundertwassers Management. „Es ging um Kleinigkeiten, wie zum Beispiel, ob ein Strich neben einer Fliese jetzt sechs oder acht oder zehn Zentimeter breit sein muss“, erzählt Springmann. „Wir wollten das Projekt natürlich so nah wie möglich an Hundertwassers Plänen fertigstellen. Ich als Architekt konnte und wollte diese Dinge aber nicht in seinem Sinne entscheiden. Es dauerte eine Weile, bis das auch die Stiftungsleitung verstand. Am Ende haben wir aber den richtigen Duktus gefunden, denke ich.“

Das Kunstwerk konnte in Hundertwassers Vision fertig gestellt werden. Es steht als zeitloses Zeugnis für die künstlerische Genialität und visionäre Philosophie von Friedensreich Hundertwasser. Mit seiner
einzigartigen Architektur hat er nicht nur einen Wohnkomplex, sondern ein lebendiges Kunstwerk erschaffen.

English version (automated translation):

Nature and people merged together

by Niklas Wenzel (22.08.2023)

The golden domes on the roof can be seen from afar. The bright colors at the top of the 41-meter tower also catch the eye. Turning into the street toward the eye-catching building, a street sign with the inscription „Waldspirale“ can be seen. Slowly, the entire structure becomes visible – a unique and fascinating structure rises amidst the urban backdrop of Darmstadt. The surreal work of art captivates residents and visitors alike. The spiral shape can be recognized after circling the building. The embedding of nature, the contrast of man-made structure and natural trees and plants is striking. With the forest spiral, the artist Friedensreich Hundertwasser tried to make the boundaries between human creation and natural beauty disappear.

Friedensreich Hundertwasser’s real name was Friedrich Stowasser and he was born in Vienna on December 15, 1928. He died of heart failure on February 19, 2000. Since the early 1950s, Hundertwasser advocated an architecture that was in harmony with nature and people. He was strictly opposed to the rational, sterile architecture that had emerged and usually tried to completely dispense with straight lines and corners in his buildings. Hundertwasser wanted to implement all of this in the „Waldspirale“ as well. „Darmstadt was interesting for Hundertwasser because it was the city of Art Nouveau. His architectural diversity certainly originated in this style,“ says Heinz Springmann, lead architect of the Waldspirale in Darmstadt. He met Hundertwasser in 1989 in Plochingen near Stuttgart. „That’s when I won a building competition with the rain tower in Plochingen. Then they asked Hundertwasser to design the courtyard. That became our first joint project.“ Springmann and Hundertwasser soon became more than just work colleagues: „After the project, he gave me one of his linoleum prints for the good cooperation and wrote on it: ‚For my friend Heinz Springmann. I would already say that we were on friendly terms.“

After Springmann and Hundertwasser had successfully completed their first project, the second followed shortly thereafter: the Waldspirale in Darmstadt. In 1997, Bauverein Darmstadt commissioned Hundertwasser to design a building with 105 residential units in the Bürgerparkviertel area. „At the time, the Bauverein had done three buildings in the Bürgerparkviertel, all of which were modern and flat. But they wanted to do something different, which is why they came up with the Hundertwasser,“ Springmann says. But Hundertwasser and Springmann didn’t quite agree with the original development plan, which called for a five-story, square-shaped development with a courtyard. „For example, we switched the proposed building site and went to the outskirts so that you could have a better relationship to the green landscape,“ says Springmann. The artist’s intention, as in almost all of his projects, was not to take anything away from nature through a man-made structure. „Imagine you are standing on a green meadow, make two opposite cuts on the left and right and lift this piece of meadow. Now you build a building underneath it. The meadow remains green and only changes its elevation. And because a green meadow was not enough for him,
we still planted the roof of the Waldspirale with a good 100 trees.“

Construction work on the Waldspirale began in 1998, and the first thing visitors notice when they approach is the public passageway to the inner courtyard. If you go there, you can see some of the residents‘ gardens. There is also a children’s playground, a café, a bar and a small man-made pond. Inside the building, Hundertwasser’s style is immediately reflected. The corridors are colorfully designed, there are hardly any straight lines and corners. The lighting is pleasantly warm. Some of the 105 apartments are also in this style. Upon entering one of these apartments, one immediately notices a colorful column that reaches up to the ceiling in the middle of the living room and is somewhat reminiscent of a simple mosaic in terms of design. The walls are all painted yellow or red, and the residents‘ furnishings also fit in colorfully and formally with the overall picture. The windows of the building are also striking. Each of the more than 1000 windows is unique. From the right angle, the irregular, odd-shaped windows and the colorful painting of the facade can make the building look like a child’s toy from the outside. This effect is also created by the tower, whose base is much wider than the top. An unusual sight. „Hundertwasser always wanted his buildings to have the expression of stability. That’s why the base of the tower is wider than the top,“ Springmann explains. In the inner courtyard, among the many gardens, the building’s connection with nature becomes clear. The spiral also begins there, with the sloping roof planted with trees and perennials.

It is easy to forget that you are just in an apartment complex in a big city. It is green everywhere, and the colorful facade of the building supports this effect. At first glance, it reveals a simple, colorful pattern of lines. But there is much more behind the decision to use this design. „We had to do a biological survey for the building to determine the different sediment layers of the earth on the site. Since we wanted to build the building in a spiral shape, we naturally had less pressure on the ground slab at the one-story site than at the 10-story site,“ says the architect. „In the survey, the different sediment layers were marked in different colors. When the Hundertwasser saw these colored layers in my plan, he said, ‚Great, Springmann!‘ Now we have the idea for the facade.“ The colored lines on the walls of the structure reflect the sedimentary layers of the earth on which the building stands. The sight creates a calming feeling. You get away from the dreary thoughts of everyday life a little bit and
feel more connected with nature. Wrapped around the spiral, the work of art casts a spell over every visitor – indeed, almost into another world.

Hundertwasser quickly got fed up with the world in Europe. Through his extraordinary style and artistic ability, he achieved a high degree of fame. But this was not what the Austrian artist wanted at all…. „I visited him twice in New Zealand during his lifetime. Those were among the most important trips I was allowed to make in my life,“ says Springmann. „Hundertwasser liked to retreat to New Zealand to have his peace. He often said, ‚I’ve now given so many examples of how to do architecture, I don’t need to build another house that’s a hundred meters taller or longer.'“ Hundertwasser enjoyed the fact that he was really unknown in New Zealand. „The neighbors didn’t even know what an internationally known artist he was.“ From Springmann’s perspective, however, Hundertwasser was more than just an artist. „It was always enriching to talk to him because he didn’t just have one professional field in mind, but always thought one step ahead.“ Springmann reminisces. Those in New Zealand in particular have stuck with him. „We often went for walks along the coast or in the forest. That was always an experience. An intense conversation came up very quickly every time. His thoughts often had almost philosophical approaches.“

The Waldspirale was not completed until seven months after Hundertwasser’s death. This led to some complications in the final phase of construction. There were some discussions between architect Heinz Springmann and Hundertwasser’s management. „It was about little things, like whether a line next to a tile now had to be six or eight or ten centimeters wide,“ Springmann recounts. „Of course, we wanted to finish the project as close as possible to Hundertwasser’s plans. But I, as an architect, couldn’t and didn’t want to decide these things in his sense. It took a while until the foundation’s management also understood that. In the end, however, we found the right ductus, I think.“

The work of art was able to be completed in Hundertwasser’s vision. It stands as a timeless testimony to the artistic genius and visionary philosophy of Friedensreich Hundertwasser. With his unique architecture, he has created not only a residential complex, but a living work of art.

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