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Zu viele Neukund*innen, zu wenige Lebensmittelspenden

Von Pauline Dörrich (10.10.2023)

Dieburg, sieben Uhr in der Früh. Keine zehn Gehminuten von meiner WG in der Spitalstraße entfernt, befindet sich inmitten des Industriegebiets die Dieburger Tafel. Im ersten Moment völlig unscheinbar. Erst beim genaueren Hinschauen ist das bekannte orange-weiße Logo der Tafel auf der Hauswand zu erkennen. Eine große Hecke umgibt den kleinen Vorgarten. Noch sind nicht viele Kund*innen da –  nicht verwunderlich, denn der Verkauf beginnt erst um 9:00 Uhr. Die Mitarbeiter*innen der Tafel sind jedoch schon fleißig dabei, den weißen Sprinter in der Einfahrt mit Kisten zu beladen.

Wolfang Blaseck, Vorstand der Dieburger Tafel, erklärt mir, dass die erste Tour gleich beginnt. Es werden Supermärkte und Bäckereien in der Umgebung angefahren und die dort übrig gebliebenen Lebensmittel eingesammelt, die dann später an die Kund*innen der Tafel verteilt werden.

Illustration: Margo Sibel Koneberg

 „Es bleibt jedes Mal spannend, wie viele Spenden wir bekommen
Die Inflation und auch der Krieg in der Ukraine fordern die Tafel Dieburg besonders heraus. Insgesamt 1400 Kund*innen sind berechtigt, bei der Tafel in Dieburg einzukaufen. Im März diesen Jahres musste die Tafel einen Aufnahmestopp verhängen – der Andrang war einfach zu groß, die Lebensmittel reichten nicht aus. „Wir haben sehr lange darüber gesprochen, das Für und Wider erörtert und es uns nicht leicht gemacht. Das ist keine Entscheidung, die man mal aus einer Laune heraus trifft“, so Blaseck. Er selbst ist seit 2013 bei der Dieburger Tafel und kennt die aktuelle Situation nur zu gut. 

“Was wir selbst nicht essen würden, geben wir auch nicht weiter”
Nach rund einer Stunde kommen die Sprinter von ihrer ersten Tour zurück. Die Ausbeute ist „okay” heute, so Blasecks Einschätzung. Könnte aber ruhig mehr sein. In den Kisten befinden sich allerlei Gemüse, Obst, Blumen, aber auch Joghurt und viele andere Lebensmittel. Direkt nach der Ankunft räumen die Tafel-Mitarbeiter*innen die Lebensmittel in schwarze Kisten und anschließend auf einen blauen Wagen. Der blaue Wagen wird in den Sortierraum gebracht, erklärt mir Blaseck, denn die Lebensmittel in den Kisten müssen erst noch sortiert, beziehungsweise aussortiert werden. „Wir gucken uns wirklich alles an, denn bei uns gilt der Grundsatz: „Was wir selbst nicht mehr essen würden, geben wir auch nicht weiter“. 

Ein etwas unangenehmer Duft liegt in der Luft. Im Sortierraum riecht es nach abgelaufenem Obst und Gemüse. Hier heißt es gucken: was ist gut, was schlecht. Was kann dem Kunden noch angeboten werden und was kommt in die Tonne? Dann wird es entsprechend vorsortiert und geht zur Ladenfläche. Die Fahrer*innen der ersten Tour machen im spärlich eingerichteten Aufenthaltsraum ein kurzes Päuschen, bevor es mit der zweiten Tour weitergeht. Der Aufenthaltsraum ist übersichtlich eingerichtet. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch mit einer Kaffeekanne, Zucker und vier Tassen. Gemütlich ist es hier nicht, aber für ein kurzes Päuschen völlig ausreichend. Die Räumlichkeiten der Dieburger Tafel gehörten in den siebziger Jahren einer Heizkesselfirma. 2006, als die Tafel hier in Dieburg gegründet wurde, waren diese Räumlichkeiten frei und wegen der bezahlbaren Miete besonders geeignet. Doch wie Blaseck erzählt, muss die Dieburger Tafel regelmäßig bangen: „Unser Mietvertrag läuft immer nur ein halbes Jahr. Wenn wir hier eines Tages raus müssten, wäre Feierabend mit der Tafel. Wir würden keine neuen Räumlichkeiten finden, zumindest keine bezahlbaren.”

Ein schrecklicher Zwischenfall bei der Dieburger Tafel
Wie schnell es vorbei sein kann, das steckt Blaseck bis heute noch in den Knochen: „Es geschah am 16. Januar diesen Jahres. Kurz nach Mitternacht wurde die Feuerwehr gerufen”, erinnert er sich. Jemand hatte die Container angezündet. Die lichterloh brennenden Container hatte Gott sei Dank jemand bemerkt und die Feuerwehr verständigt.  „Die Versicherung hat das glücklicherweise übernommen, den Müll mussten wir entsorgen. Ich bewerte das Ganze als Anschlag“, so Blaseck.

Der alltägliche Wahnsinn bei der Tafel Dieburg
Im Eingangsbereich wartet Roland. Er ist seit April Bundesfreiwilligendienstleistender im Rentenalter bei der Tafel Dieburg. Er ist dabei, die Einkaufsausweise der Kund*innen zu überprüfen und Wartenummern zu verteilen. Ab 7:30 Uhr morgens kommen die Leute hierher, zeigen ihren Einkaufsausweis und kriegen dafür eine Wartenummer. Sie werden dann chronologisch aufgerufen. Roland scannt die Ausweise und bekommt auf einem Monitor die Information zur jeweiligen Person. Der Monitor verrät ihm auch, ob die Person überhaupt berechtigt ist, hier einzukaufen. Eine Frau zum Beispiel will gerade ihren Einkaufsausweis abscannen lassen, doch auf dem Monitor erscheint ein rotes Symbol. Roland erklärt mir, dass ihr Ausweis seit 47 Tagen abgelaufen sei und sie ihn erst am Donnerstagsnachmittag verlängern lassen kann. Jetzt behält die Tafel den Ausweis ein, die Frau darf vorerst nicht einkaufen. Ganz nachvollziehen oder verstehen kann das die Frau nicht, sie möchte eine Wartenummer bekommen. Roland bleibt geduldig. Trotz der vorkommenden Unannehmlichkeiten ist er dankbar, die Tafel unterstützen zu können: „Ich habe bisher immer am Schreibtisch gesessen. Was hier passiert, ist für mich eine sehr körperliche Arbeit”, erzählt er. Er habe nun zum Beispiel weniger Rückenbeschwerden als in seinem vorherigen Beruf. Einzig und allein das schwere Heben bereitet ihm Probleme. “Ansonsten ist es abwechslungsreich und ich mag es, dass ich mit meinen Kollegen gut zusammenarbeiten kann”.

Die Tafel ist kein Supermarkt
Im Verkaufsraum, zwei Räume weiter, ist auch schon einiges los. Es ist kurz vor neun. Ein bisschen sieht es so aus, wie in einem Tante-Emma-Laden. Ein herkömmlicher Supermarkt ist die Tafel dennoch nicht: „Entscheidender Punkt hier ist, dass die Leute nicht selbst ans Regal gehen und sich die Produkte nehmen können”, erzählt Blaseck. Die Kund*innen können sagen, was sie gerne haben möchten – letztendlich entscheiden aber die Helfer*innen, was sie herausgeben. “Das erzeugt manchmal auch gewissen Unmut. Aber die Lage ist nun mal so. Wir sind keine bösen Menschen. Wir müssen das nur irgendwie reglementieren, dass es gerecht zugeht”, so Blaseck.

Was einige nicht wissen: Die Tafel ist ein Zusatzangebot, keine Lebensmittelvollversorgung. Pro Einkaufskorb zahlen die Kund*innen 2€. Ist dieser voll, muss ein weiterer erworben werden. Die Frage, warum man überhaupt Geld für das Essen verlangt, beantwortet Blaseck wie folgt: „Natürlich gibt es einen winzigen Teil unserer Unkosten. Aber uns geht es vor allem darum, den Lebensmitteln noch einen Wert zu geben.”

English version (automated translation):

„Too many new customers, too few food donations“

by Pauline Dörrich (10.10.2023)

Dieburg, seven o’clock in the morning. Less than a ten-minute walk from my shared apartment on Spitalstraße, in the middle of the industrial area, is the Dieburger Tafel. At first glance, it’s completely inconspicuous. Only when you take a closer look can you see the familiar orange and white logo of the Tafel on the wall of the building. A large hedge surrounds the small front garden. There aren’t many customers yet – not surprising, since sales don’t start until 9:00. But the Tafel employees are already busy loading the white Sprinter in the driveway with boxes. Wolfang Blaseck, chairman of the Dieburger Tafel, explains to me that the first tour is about to begin. Supermarkets and bakeries in the area will be visited and the leftover food collected, which will then be distributed to the Tafel’s customers.

„It is always exciting to see how many donations we receive.“
Inflation and the war in Ukraine are particularly challenging for the Tafel Dieburg. A total of 1400 customers* are entitled to buy from the Tafel in Dieburg. In March of this year, the Tafel had to impose an admission stop – the rush was simply too great, the food was not enough. „We talked about it for a very long time, discussed the pros and cons and didn’t make it easy for ourselves. It’s not a decision you make on a whim,“ Blaseck said. He himself has been with the Dieburger Tafel since 2013 and knows the current situation only too well.

„What we wouldn’t eat ourselves, we don’t pass on“
After about an hour, the sprinters return from their first tour. The yield is „okay“ today, according to Blaseck’s assessment. But it could easily be more. The boxes contain all kinds of vegetables, fruit, flowers, but also yogurt and many other foodstuffs. Immediately after arrival, the Tafel employees put the food into black boxes and then onto a blue cart. The blue trolley is taken to the sorting room, Blaseck explains to me, because the food in the boxes still has to be sorted, or rather sorted out. „We really look at everything, because we have the principle: „What we wouldn’t eat ourselves anymore, we also don’t pass on.“

There is a somewhat unpleasant smell in the air. In the sorting room, it smells like expired fruit and vegetables. Here it’s a matter of looking: what’s good, what’s bad. What can still be offered to the customer and what goes into the garbage can? Then it is pre-sorted accordingly and goes to the store area. The drivers of the first tour take a short break in the sparsely furnished lounge before continuing with the second tour. The lounge is clearly arranged. In the middle of the room is a table with a coffee pot, sugar and four cups. It’s not comfortable here, but it’s perfectly adequate for a short break. The premises of the Dieburger Tafel belonged to a boiler company in the 1970s. In 2006, when the Tafel was founded here in Dieburg, these premises were vacant and particularly suitable because of the affordable rent. But as Blaseck explains, the Dieburger Tafel regularly has to worry: „Our lease only runs for half a year at a time. If we had to move out one day, the Tafel would be finished. We wouldn’t be able to find new premises, at least not affordable ones.“

A terrible incident at the Tafel Dieburg
How quickly it can be over is still in Blaseck’s bones today: „It happened on January 16 of this year. Shortly after midnight, the fire department was called,“ he recalls. Someone had set fire to the containers. Thankfully, someone had noticed the containers burning brightly and notified the fire department. „Fortunately, the insurance company took care of it; we had to dispose of the garbage. I rate the whole thing as a hit,“ Blaseck said.

The daily madness at the Tafel Dieburg
Roland is waiting in the entrance area. He has been a retired federal volunteer at the Tafel Dieburg since April. He is checking the customers‘ shopping cards and distributing waiting numbers. Starting at 7:30 in the morning, people come here, show their shopping ID and get a waiting number. They are then called chronologically. Roland scans the IDs and gets the information about each person on a monitor. The monitor also tells him whether the person is authorized to shop here at all. For example, a woman is about to have her shopping card scanned, but a red symbol appears on the monitor. Roland tells me that her ID card has been expired for 47 days and that she can’t have it renewed until Thursday afternoon. Now the food bank keeps the card and the woman is not allowed to shop for the time being. The woman cannot fully comprehend or understand this, she wants to get a waiting number. Roland remains patient. Despite the inconveniences that occur, he is grateful to be able to support the Tafel: „Until now, I have always sat at a desk. What happens here is very physical work for me,“ he says. For example, he now has fewer back complaints than in his previous job. The only thing that causes him problems is the heavy lifting. „Otherwise, it’s varied and I like that I can work well with my colleagues.“

The food bank is not a supermarket
In the sales room, two rooms down, there is already a lot going on. It’s just before nine. It looks a bit like a corner store. However, the Tafel is not a conventional supermarket: „The decisive point here is that people can’t go to the shelves and take the products themselves,“ says Blaseck. The customers can say what they would like to have – but ultimately the helpers decide what they give out. „That sometimes creates a certain amount of resentment. But that’s the way things are. We are not bad people. We just have to regulate it somehow so that it’s fair,“ Blaseck said.

What some people don’t know: The food bank is a supplementary service, not a full food supply. Customers pay €2 per shopping basket. If the basket is full, another one must be purchased. Blaseck answers the question of why money is charged for the food at all as follows: „Of course there is a tiny part of our overhead. But for us, the main thing is to still give the food a value.“

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